Sündenbock Diesel: Wie die kriminelle Energie der Autoindustrie eine Antriebsart diskreditiert hat
„Leute, kauft Diesel! Sie halten länger, verbrauchen weniger und schützen das Klima.“ Jahrelang hat man das den Autofahrern eingetrichtert. Und sie haben gehört: 2015 entschied sich noch nahezu die Hälfte der Käufer eines Neuwagens in Deutschland für einen Diesel. Und das mit gutem Gewissen. Bis jetzt. Der Diesel steht am Pranger, gilt plötzlich als der Luftverpester schlechthin.
Von Ralf Heidenreich
Leiter Redaktion Wirtschaft
Auspuff eines Autos mit Dieselmotor. Archivfoto: dpa
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WIESBADEN / DARMSTADT / MAINZ - „Leute, kauft Diesel! Sie halten länger, verbrauchen weniger und schützen das Klima.“ Jahrelang hat man das den Autofahrern eingetrichtert, hat ihnen den Selbstzünder mit Steuererleichterungen schmackhaft gemacht. Und sie haben gehört: 2015 entschied sich noch nahezu die Hälfte der Käufer eines Neuwagens in Deutschland für einen Diesel. Und das mit gutem Gewissen. Bis jetzt. Der Diesel steht am Pranger, gilt plötzlich als der Luftverpester schlechthin.
Erkrankungen und Todesfälle wegen zu hoher Stickoxid- und Feinstaubbelastung und, nicht zu vergessen, der Klimawandel. Für alles muss derzeit der Diesel herhalten. Er wird zum Sündenbock gestempelt. Die Autobosse haben ganze Vorarbeit geleistet. Und die großen Schwarz-Weißmaler hauen dankbar in die Kerbe. Weil die meisten Hersteller beim Schadstoffausstoß getrickst oder betrogen haben, ist eine Debatte in Gang gekommen, die die altehrwürdige Antriebsart überrollt. Und an deren Ende womöglich nicht nur Fahrverbote stehen, sondern der Niedergang des Selbstzünders. Die Neuzulassungen brechen bereits ein. Ganz zu schweigen von den Preisen für Gebrauchte.
Wie dreckig ist mein Diesel, was ist er überhaupt noch wert?
In der Debatte geht es drunter und drüber, wird vieles durcheinander geschmissen. Beispiel Luftverschmutzung: In manchen Beiträgen, die durch den Blätterwald geistern, werden Stickoxide aus dem Diesel-Auspuff auch maßgeblich für die hohe Feinstaubbelastung in den Städten verantwortlich gemacht. Der Diesel produziert zwar Feinstaub, der bleibt aber heutzutage zum allergrößten Teil im Partikelfilter hängen. Stickoxide wiederum haben primär nichts mit Feinstaub zu tun. Bei Letzterem handelt es sich um Mikropartikel, bei Stickoxiden um Gase. Aus Stickoxiden kann lediglich sekundärer Feinstaub entstehen, wenn diese mit anderen Luftbestandteilen reagieren.
Die Menschen sind tief verunsichert. „Ich möchte verstehen, in welchem Maße ich als Dieselfahrerin für die Luftverschmutzung verantwortlich bin.“ Es ist beileibe nicht die einzige E-Mail dieser Stoßrichtung, die unsere Wirtschaftsredaktion derzeit erhält. Wie dreckig ist mein Diesel, was ist er überhaupt noch wert? Soll ich mir einen Benziner kaufen? Reicht ein Software-Update oder muss ich für meinen Diesel ein spezielles und vergleichsweise teures Nachrüst-Kit kaufen? Mit ihren Fragen fühlen sich viele allein gelassen. In einer Artikel-Serie mit dem Namen „Sündenbock Diesel“, die wir heute starten, wollen wir uns diesen Fragen widmen – Fakten liefern und Legenden enttarnen.
Elektromotor gilt nun als Heilsbringer
Nicht nur der Selbstzünder, der Verbrennungsmotor grundsätzlich droht abzusaufen. Nach Frankreich will auch Großbritannien ab 2040 keine reinen Verbrenner mehr zulassen. Seine Gegner leisten ebenfalls ganze Arbeit, die Stimmung kippt. In einer Emnid-Umfrage beispielsweise sprachen sich 61 Prozent der Befragten dafür aus, ältere Diesel-Autos aus besonders belasteten Gebieten der Innenstädte zu verbannen.
Der Elektromotor, jahrelang belächelt, gilt nun als Heilsbringer. Doch was kann E-Mobilität tatsächlich leisten? Wie realistisch sind Szenarien vom baldigen Umstieg? Zwar arbeiten die meisten Hersteller bereits an Plänen fürs Elektrozeitalter. Dabei werden aber sogenannte Hybride – Autos mit Verbrennungs- und Elektromotor – noch viele Jahre eine wichtige Rolle spielen. „Man stelle sich das Verkehrschaos vor“, meint der Kabarettist Vince Ebert, „wenn Millionen Deutsche gleichzeitig mit ihren Elektroautos in den Urlaub aufbrechen und an der Raststätte Spessart die Zapfsäule nicht mal schnell für zwei Minuten, sondern für jeweils eine Stunde blockieren.“