Südhessens Bankmitarbeiter verzichten auf Krawatten
Jahrelang war sie für Bänker gesetzt: die Krawatte. Doch immer mehr Unternehmen lockern ihren Dresscode und überlassen die Entscheidung den Mitarbeitern selbst. Trotzdem gibt es No-Gos.
Von Marina Speer
Die Vorstandsmitglieder der KSK Groß-Gerau, Norbert Kleinle (rechts) und Sabine Funk, sowie Azubi Noah zeigen, was man(n) heute in der Bank trägt.
(Foto: Vollformat/Heimann)
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DARMSTADT/GROSS-GERAU - Darmstadt/Gross-Gerau. Das weiße Hemd unter dem dunkelgrauen Sakko muss reichen. Den Schlips tragen die Vorstände der Groß-Gerauer Sparkasse nur noch zu besonderen Anlässen. „Damit haben wir gute Erfahrungen gemacht“, sagt Vorstandschef Norbert Kleinle. Auch für die Angestellten ist die Krawattenpflicht seit fast zwei Jahren abgeschafft. Und das kam so: „Damals hatten wir einen heißen Sommer und wir wollten den männlichen Mitarbeitern eine Marscherleichterung gewähren“, berichtet Kleinle. Damit die Kollegen dies auch ernst nehmen, gingen die Chefs als Vorbild voran. Das sei bei den Kunden derart gut angekommen, dass die Sparkasse einfach dabei geblieben ist. Doch es gibt auch Grenzen: Turnschuhe sind nicht erlaubt, ebenso wenig tiefe Ausschnitte, bauchfreie Oberteile oder Tennissocken.
Der Umsatz von Krawatten und Fliegen ist laut Statista in den vergangenen Jahren rapide gesunken. Waren es 2010 noch 137 Millionen Euro, liegt der Umsatz in 2018 bei nur noch 93 Millionen Euro. Die Banker dürften dazu ihren Teil beigetragen haben. In einer Branche, in der Krawatten lange einfach zum Outfit dazugehört haben, lockern immer mehr Arbeitgeber ihren Dresscode.
Goldman Sachs prescht in den USA vor
Sogar bei der amerikanischen Investmentbank Goldman Sachs ist die Krawatte seit kurzer Zeit keine Pflicht mehr. Stattdessen sollen sich die Mitarbeiter so kleiden, wie es den Erwartungen der Kunden entspricht. Doch nicht nur bei Goldman Sachs scheinen die Kunden keine Krawatte mehr zu erwarten. Auch die Banken in Südhessen ziehen bei dem Trend mit. Weder bei der Commerzbank Darmstadt, der Kreissparkasse Groß-Gerau noch bei der Volksbank Darmstadt-Südhessen gibt es noch eine Krawattenpflicht. Und die Sparkasse Darmstadt hat vor Kurzem eine Überarbeitung ihres Dresscodes begonnen.
Die Vorstandsmitglieder der KSK Groß-Gerau, Norbert Kleinle (rechts) und Sabine Funk, sowie Azubi Noah zeigen, was man(n) heute in der Bank trägt. Foto: Vollformat/Heimann
Die Vorstandsmitglieder der KSK Groß-Gerau, Norbert Kleinle (rechts) und Sabine Funk, sowie Azubi Noah zeigen, was man(n) heute in der Bank trägt. Foto: Vollformat/Heimann
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Konflikte mit dem Kunden habe es bislang keine gegeben. „Die Auflösung der Krawattenpflicht kam bei unseren Kunden sogar gut an“, sagt Bärber Fox-Kleinig, Sprecherin der Kreissparkasse Groß-Gerau. Auch bei der Volksbank Darmstadt-Südhessen gab es bislang nur positive Rückmeldungen: „Es wird von den Kunden frischer aufgenommen“, sagt Vorstandssprecher Michael Mahr.
Zum Jahreswechsel wurde die Krawattenpflicht bei der Volksbank in Darmstadt abgeschafft. „Das ist einfach Zeitgeist – und dem haben wir uns angepasst“, sagt Mahr. Auch für ihn als Vorstand war das eine Umstellung: „Ich habe selbst 40 Jahre lang Krawatte getragen“, erzählt er. „Jetzt trage ich sie nur noch bei wichtigen Terminen.“ Manche würden sich die Krawatte aber weiterhin freiwillig umbinden – aus Gewohnheit. Doch für Mitarbeiter im Kundenkontakt gilt: Anzug und Hemd reichen. Für Mitarbeiter ohne Kundenkontakt muss es nicht einmal der Anzug sein. „Wichtig ist, dass unsere Mitarbeiter sich wohlfühlen“, sagt Mahr.
EIN ALTES STÜCK
Die Krawatte geht Legenden zufolge auf ein kroatisches Reiterregiment zurück, das im 30-jährigen Krieg (1618 bis 1648) für den französischen König Ludwig XIV. gekämpft hatte. Diese Reiter trugen angeblich ein Krawatten-ähnliches Tuch um den Hals, welches König Ludwig XIV. adaptierte. So verbreitete sich die Krawatte in Europa. (masp)
Ein altes Stück
Die Krawatte geht Legenden zufolge auf ein kroatisches Reiterregiment zurück, das im 30-jährigen Krieg (1618 bis 1648) für den französischen König Ludwig XIV. gekämpft hatte. Diese Reiter trugen angeblich ein Krawatten-ähnliches Tuch um den Hals, welches König Ludwig XIV. adaptierte. So verbreitete sich die Krawatte in Europa. (masp)
Bei der Commerzbank Darmstadt gibt es keine feste Kleiderordnung. Einzige Maßgabe ist, dass die Kleidung zum jeweiligen Aufgabengebiet passen soll. „Der Mitarbeiter entscheidet bei uns selbst, ob er eine Krawatte tragen möchte“, sagt Niederlassungsleiter Hans-Theo Burtscheidt. Selbst in der Deutschen Bank in Frankfurt müssen die Angestellten nicht mehr mit Schlips erscheinen.
Für Fox-Kleinig von der Kreissparkasse Groß-Gerau hat die Lockerung der Kleidervorschriften viel mit Authentizität zu tun: „Gerade jüngere Leute fühlen sich mit Krawatte oft unwohl“, sagt die Sprecherin. „Nur wenn man sich so kleiden kann, wie man möchte, dann ist man auch authentisch.“
Nicht alle Bekleidungsgeschäfte merken allerdings schon diesen Trend. „Gerade die Generation über 35 hat unserer Erfahrung nach ganz gern eine Krawatte an“, sagt eine Verkäuferin beim Herrenausstatter Engbers im Loop5 in Weiterstadt. „Ich könnte jetzt nicht sagen, dass sich das geändert hat.“ Auch bei Henschel in Darmstadt findet die Krawatte insbesondere für festliche Anlässe immer noch ihren Absatz – auch wenn sie mit der Fliege einen großen Konkurrenten bekommen hat. „Aber wir merken schon, dass Krawatten im Job nicht mehr so oft notwendig sind“, sagt ein Verkäufer. Stattdessen würden viele zu farblich abgestimmten Einstecktüchern greifen, sozusagen als Kompromiss.
Manche binden sich auch ohne Vorschrift gerne einen Schlips um. „Ich mag die Krawatte als modisches Accessoire und wenn ich sie abends ablege, ist das für mich ein Zeichen für den beginnenden Feierabend“, sagt ein Banker aus Frankfurt.