Korruptions-Expertin Sylvia Schenk sieht den Fußball-Weltverband FIFA bei der Aufarbeitung der jüngsten Skandale auf gutem Weg: Neue Strukturen sind aber nötig
DARMSTADT. „Ein Skandal alleine löst noch nicht das Problem. Da geht eigentlich die Arbeit erst los, wenn man die Vergangenheit halbwegs aufgearbeitet hat, muss man parallel schon für die Zukunft und die Prävention arbeiten.“ Dieser Aufgabe hat sich Sylvia Schenk als Leiterin der Arbeitsgruppe Sport bei der Antikorruptionsorganisation Transparency International verschrieben. Und wie die ehemalige Leichtathletin beim Darmstädter Sport-Forum durch das ausufernd scheinende Thema Korruption fegte, hatte etwas vom Tempo ihrer früheren 800-Meter-Läufe. Dabei ist eigentlich eine Langstrecke zu bewältigen. „Wir müssen weiter daran arbeiten, das hört nicht auf“, weiß die 67 Jahre alte Juristin. Doch die frühere Präsidentin des Bundes Deutscher Radfahrer sieht wichtige Etappenerfolge erreicht und inzwischen auch die großen Sportorganisationen auf gutem Weg – angeführt von Weltfußballverband Fifa und Internationalem Olympischen Komitee (IOC), die allerdings nach schweren Krisen auch besonders in der Kritik standen und stehen.
Bei ihrem Vortrag „Vom Skandal zu Good Governance im Sport“ entwickelte Schenk am Montagabend ein durchaus positives Bild. „Es kommen zwar immer mehr alte Sachen hoch, aber im Moment sehe ich kein neues Ereignis, das ist ein gutes Zeichen.“
Zuvor war allerdings ein krasser Bewusstseinswandel nötig. Gerade in Deutschland, das Korruption lange exportiert habe. Denn bis 1996 sei die Auslandskorruption nicht strafbar gewesen, stattdessen aber als nützliche Aufwendung steuerlich absetzbar. Inzwischen ist das Thema „mehr in den Köpfen“, in der Gesetzgebung national wie international verankert. Im Fokus steht dabei zwar die Wirtschaft. Doch Schenk belegte, dass gerade der Sport oft helfe, bestimmte Themen zuzuspitzen, „damit zu skandalisieren, aber auch zu Änderungen zu führen“. Passende Schlüsselereignisse sind nötig. Beispiel Kinderarbeit, das sich erst durch Vorfälle bei Sportartikelherstellern zum Skandalthema entwickelte. Oder die Ausbeutung von Migranten beim Bau der Fußball-WM-Stadien in Katar. „Den Gewerkschaften konnte nichts Besseres passieren, als die Vergabe der Weltmeisterschaften an Katar, denn da war auf einmal der öffentliche Druck da, an das Thema heranzugehen“, beschrieb Schenk die Wechselwirkung. Inzwischen seien selbst in Katar Fortschritte für die Arbeitsbedingungen erreicht worden.
In den Verbänden gelte es nun Strukturen aufzubauen, „dass es nicht mehr zu so etwas kommt“. Ein großer Erfolg: In den jüngsten Ausrichterverträgen und Bewerbungskriterien für Großveranstaltungen wurden inzwischen Menschenrechtsprinzipien verankert. Bei der EM 2024 könne Deutschland beweisen, wie das umgesetzt werde. Auch die Verbände an sich sollen ihren Betrieb nach den Prinzipien aufstellen. Dabei sei die Fifa der Verband, „der am Weitesten fortgeschritten ist“, erklärte Schenk. „Was nicht heißt, das alles wunderbar ist, was die Fifa macht.“ Solche Prozesse bräuchten Zeit, räumt Schenk ein. Gute Führung (Good Governance) kämpfe schließlich nicht allein gegen Korruption. Auch Wettbetrug, Rassismus, sexualisierte Gewalt oder die Vermischung von Sport und Politik zählen zu den Problemfeldern. „Das gehört alles zusammen.“
Auch in Deutschland gebe es viel zu tun, etwa der Aufbau eines einheitlichen Hinweisgebersystems. „Wobei wir im Sport besondere Risiken haben.“ Dazu gehörten etwa die Rahmenbedingungen des Ehrenamts: gekennzeichnet durch Überforderung der Vorstände, Strukturwirrwarr zwischen Haupt- und Ehrenamt, Interessenskonflikte oder falsch verstandene Solidarität. Schenk plädiert für einen offenen Umgang bei Fehlern, denn oft sei der vergebliche Versuch des Vertuschens, „das Schlüsselereignis, was den eigentlichen Skandal ausmacht“. Ähnlich wie bei einem Fußballspiel verhalte es sich auch mit Good Governance. „Wenn der Schiedsrichter nicht von Anfang an konsequent pfeift, funktioniert das nicht.“ Es brauche Strukturen, Regeln, Information und Schulung darüber, dazu Kontrollen und Sanktionen und als Grundlage eine Werteorientierung und eine offene Diskussionskultur. Wenn dem ersten sexualisierten Witz nicht widersprochen werde, „dann kriegen sie es nicht in den Griff, dann verbreitet sich eine entsprechende Stimmung. Das muss von oben kommen, eigenes Vorbild und null Toleranz sind ganz wichtig.“
Von Volker Bachmann