Anja Wolf-Blanke hat in zwölf Jahren als Präsidentin des Hessischen Leichtathletik-Verbandes vieles bewegen können. In Alsfeld vermisst sie vor allem die Goddelauer Fleischwurst.
Freude über unterschiedliche Abschiedgeschenke und eine herzliche Umarmung mit ihrem Nachfolger Klaus Schuder: Anja Wolf-Blanke tritt beim Verbandstag in Wetzlar als Präsidentin des Hessischen Leichtathletik-Verbandes ab.
(Fotos: Katrin Weber)
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WETZLAR/ALSFELD - Das eine oder andere Tränchen der Rührung wurde während der emotional bewegenden Reden verdrückt, aber dann war tatsächlich Schluss: Nach zwölf Jahren als Präsidentin des Hessischen Leichtathletik-Verbandes (HLV) hat Anja Wolf-Blanke am vergangenen Sonntag beim 45. Verbandstag in Wetzlar sinnbildhaft den Staffelstab an Klaus Schuder (Neu-Isenburg) weitergegeben. Rund 30 Jahre in Riedstadt-Goddelau zu Hause und von dort aus dem HLV, aber auch dem Leichtathletikkreis Groß-Gerau in verschiedenen Funktionen dienlich, genießt die 63-Jährige inzwischen in Alsfeld die deutlich ausgeprägtere Ruhe des Vogelsbergkreises. Gleichwohl als Leichtathletik-Funktionärin Schluss sein soll, hat die studierte Sportwissenschaftlerin und Journalistin sehr wohl Aufgaben und Pläne für die nähere Zukunft.
Kann man gut schlafen, wenn man weiß, dass man am nächsten Tag nach zwölf Jahren als Präsidentin des Hessischen Leichtathletik-Verbandes abtritt und sich ungefähr ausmalen kann, wer alles vorbei kommt und welche Reden zu erwarten sind?
Zum Glück habe ich weder Probleme mit dem Ein- noch Durchschlafen. Aber tagsüber habe ich mir schon einige Gedanken zur letzten Veranstaltung, die ich zu leiten hatte, gemacht. Zum ersten Mal fand der HLV-Verbandstag an zwei Tagen statt. Am Freitag musste der komplette parlamentarische Teil pünktlich erledigt werden. Danach hatten haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiter einen Überraschungsabend geplant. Verbandstage mit ihrer eigenen Dynamik kann man nur schwer zeitlich abschätzen.
Freude über unterschiedliche Abschiedgeschenke und eine herzliche Umarmung mit ihrem Nachfolger Klaus Schuder: Anja Wolf-Blanke tritt beim Verbandstag in Wetzlar als Präsidentin des Hessischen Leichtathletik-Verbandes ab. Fotos: Katrin Weber
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Was werden sie als bewegendste Momente des Abschieds in Wetzlar in Erinnerung behalten?
Sehr gerührt haben mich die Überraschungen der Präsidiumsmitglieder und hauptamtlichen Mitarbeiter. Einerseits hatte man heimlich Gäste aus meiner lange zurückliegenden aktiven Zeit eingeladen, wie meinen ehemaligen Bundestrainer und damalige Konkurrentinnen, und andererseits ein sehr persönliches, abendfüllendes Programm erarbeitet. Bewegend war zudem die Ansprache des Hessischen Ministers des Inneren und für Sport Peter Beuth, der mir völlig unerwartet und mit sehr persönlichen Worten den Hessischen Verdienstorden am Bande überreichte.
Sie sind 63 Jahre alt und damit vergleichsweise noch eine junge Funktionärin. Warum hören Sie auf?
ZUR PERSON
Im April 1956 in Mainz geboren, fand Anja Wolf-Blanke beim TSV Goddelau früh den Weg zur Leichtathletik. Es folgten Vereinswechsel zum USC Mainz und zur LG Frankfurt, wo die studierte Sportwissenschaftlerin neun zweite DM-Plätze im Jugend-, Junioren- sowie Aktivenalter erreichte und neben 13 Einsätzen im DLV-Nationalteam 1971 deutsche Rekordhalterin im Hochsprung war (1,87 m). Wolf-Blanke ist verheiratet, hat zwei erwachsene Kinder sowie eine Enkelin und verbringt ihre Freizeit gerne mit Bildhauerei und lesen. Als Journalistin war sie unter anderem einige Jahre für die „Main-Spitze“ unter dem Kürzel „aw“ tätig.
Ich bin eine Anhängerin von Amtszeitbegrenzung. Man sollte kein Amt länger als zwölf Jahre ausüben. Mit der Zeit gehen Enthusiasmus, Idealismus und auch Ideen verloren. Dies kann man durch jüngere Präsidiumsmitglieder und eigene Offenheit gegenüber neuen Initiativen kompensieren. Aber ein jüngerer Kopf sollte im nächsten Schritt auch die Leitung übernehmen.
Sie haben eine ganze Reihe von Dingen für die hessische Leichtathletik voranbringen können. Welche sind für Sie am bedeutsamsten?
Mein Herz schlägt seit Kindertagen für den Leistungssport. Eine stete Verbesserung der Trainings- und Wettkampfvoraussetzungen für HLV-Nachwuchsathleten zieht sich durch meine gesamte Amtszeit. So wurde die Zahl der Landestrainer aufgestockt, Lehrer-Trainer besser integriert, regionale Stützpunkte ins Leben gerufen, ein medizinisches Team gegründet und Verbesserungen der Trainingsinfrastruktur realisiert. All dies hängt natürlich von den finanziellen Möglichkeiten des Verbandes ab, die sich dank zusätzlicher Mittel der Landes- und Bundesregierung gerade in den letzten Jahren erheblich gesteigert haben. Im Breitensport ist aktuell die Kooperation mit dem Hessischen Behinderten und Rehabilitationsverband zu nennen, wo gemeinsame Inklusionsprojekte ins Leben gerufen wurden. Und natürlich war es sehr schön, dass das Kasseler Auestadion so als Leichtathletik-Standpunkt ausgebaut worden ist, dass dort 2021 wieder die deutsche Meisterschaft stattfinden wird.
Und was hätten Sie gerne noch umgesetzt gesehen beziehungsweise konnte nicht verwirklicht werden?
Alle Erfolge der Athleten sind nur durch die Arbeit unzähliger Ehrenamtlicher möglich. Die gesellschaftliche Wertschätzung des Ehrenamtes, wie sie in den zulässigen steuerlichen Höchstbeträgen zum Ausdruck kommt, ist bei Weitem zu gering. Dies gilt für Übungsleiterpauschalen gleichermaßen wie für die Unkostenerstattung von Kampfrichtern und sonstiger ehrenamtlicher Mitarbeiter.
Beim HLV ist in den Haushaltsentwürfen noch nicht einmal die Ehrenamtspauschale in den gesetzlichen Grenzen festgeschrieben. Alle zur Verfügung stehenden Mittel werden in sportliche Weiterentwicklung gesteckt. Erst bei einem Jahresüberschuss können nachträglich Gelder an Ehrenamtliche ausgeschüttet werden. Ist dies nicht der Fall, gibt es nichts. Wir sprechen hier über einen Jahreshöchstbetrag von 740 Euro, also rund zwei Euro am Tag.
Wo sehen Sie die hessischen Sportlerinnen und Sportler im bundesweiten Vergleich?
Die Zahlen sprechen momentan für den HLV. Wir verzeichnen 2019 einen Mitgliederrekord, liegen bei den Bundesstützpunkten mit Frankfurt bundesweit auf Position drei und haben 2019 die meisten Medaillen bei deutschen Meisterschaften seit Jahrzehnten feiern dürfen.
Was darf von den Hessen im DLV-Team nächstes Jahr bei Olympia in Tokio erwartet werden?
Zunächst einmal muss die Qualifikation nach dem neuen Modus der IAAF mit Weltranglistenpunkten gelingen. Erfahrungen gibt es hierzu bislang nicht. Nach der Papierform dürfte Siebenkämpferin Carolin Schäfer die einzige Medaillenkandidatin eines hessischen Vereins sein, da Gesa-Felicitas Kraus als gebürtige Hessin für Trier startet. Fünf bis zehn weitere HLV-Athleten haben das Vermögen, sich zu qualifizieren.
Woran liegt es Ihrer Meinung nach, dass deutsche Erfolge bei großen Events zuletzt nicht mehr so zahlreich ausgefallen sind und in manchen Disziplinen eine gewaltige Lücke klafft?
Wir haben zu wenige und vor allem zu wenige gute Trainer. Ich mache dies mal an einem Beispiel fest: Als Ariane Friedrich als deutsche Rekordhalterin im Hochsprung mit 2,06 m immer besser wurde, hatte ihr Trainer, der auch HLV-Landestrainer war, immer weniger Zeit, sich um den Nachwuchs zu kümmern. Bis wir das realisierten, war eine Generation an Hochspringern verloren. Vor sechs Jahren haben wir eine weitere Landestrainerin für diesen Bereich gewonnen. Die ersten Erfolge der von ihr betreuten Athleten sind inzwischen sichtbar. Das gleiche Phänomen trifft auf viele Disziplinen der deutschen Leichtathletik zu.
Sie waren vor Ihrem Umzug nach Alsfeld ja auch 30 Jahre in Riedstadt-Goddelau und damit im Kreis Groß-Gerau zu Hause. Gibt es etwas, was Sie im Vogelsbergkreis aus der alten Heimat vermissen?
Ja, die Fleischwurst der Goddelauer Metzgerei Georg Müller. Aber zum Glück bekomme ich ab und zu mal etwas davon mitgebracht.
Haben Sie schon Ideen, wie sich die zeitlichen Freiräume neben der Hobby-Bildhauerei füllen lassen?
Aus der Leichtathletik bin ich zwar ganz raus, aber beim Landessportbund bleibe ich noch zwei Jahre in der Sprechergruppe der Fachverbände und kümmere mich darüber hinaus um das Mentoring für Frauen. Wenn ich im nächsten Frühjahr von einem sechswöchigen Urlaub in Neuseeland zurückkomme, werde ich mich mal umschauen, bei welchen sozial tätigen Vereinen in Alsfeld ich mich einbringen könnte.