Reisen als Passagier auf einem Containerschiff

Blick vom Frachtschiff „Rossini“. Foto: Melanie Maier
© Melanie Maier

Wer auf langen Strecken auf das Flugzeug verzichten will, der nimmt den Wasserweg. Das ist soweit nicht ungewöhnlich, doch wie wäre es mit einer Kajüte auf dem Frachtschiff?

Anzeige

. Das Zimmer schaukelt und vibriert. Der Wind pfeift durch das Kajütenfenster, draußen knarzen die Container. Die „CMA CGM Rossini“ befindet sich rund 350 Kilometer vor der Küste Australiens. 48 Stunden wird sie noch auf hoher See verbringen, bevor sie im Hafen von Fremantle, nahe Perth, festmachen wird. Dort wird sie entladen und mit neuen Gütern beladen werden.

Blick vom Frachtschiff „Rossini“. Foto: Melanie Maier
Die Autorin Melanie Maier reist seit Mai 2018 um die Welt und benutzt dabei kein Flugzeug. Foto: Schulz

Für die vier Passagiere des Containerschiffs gibt es um 10 Uhr nicht viel zu tun. Während die Besatzung ihrer Arbeit nachgeht, sitzt Alex Schulz auf dem Bett seiner Kabine und liest auf seinem Kindle. Für die siebentägige Überfahrt von Port Klang, Malaysia, nach Australien hat der 32-jährige Grafikdesigner aus Bad Wildbad vier Bücher heruntergeladen. „Ich mag es, eine große Auswahl zu haben“, sagt er und widmet sich wieder seiner Lektüre, einem Island-Krimi.

Auch die anderen Passagiere haben sich nach dem Frühstück in ihre Kajüten zurückgezogen, um zu lesen, Rätsel zu lösen oder noch eine Weile zu schlafen. Auf dem Außendeck, unter den Containern, mag an diesem Vormittag niemand entlangspazieren. Es ist stürmisch, ein Zyklon wirbelt nur wenige Hundert Kilometer entfernt über das tiefblaue Meer.

Anzeige

Um die Mittagszeit sind die Wellen vier Meter hoch und tragen Schaumkronen. Das Schiff rollt ächzend übers Wasser. Trotzdem tischt Jaypee Abar pünktlich um 12.15 Uhr das Mittagessen auf. Als Steward ist der 29-jährige Philippiner für das Reinigen der Offizierskabinen und der Zimmer der Passagiere sowie für das Servieren der Mahlzeiten im Speiseraum der Offiziere zuständig. Mittags und abends trägt Abar ein Vier-Gänge-Menü auf. Die „Rossini“ fährt unter französischer Flagge, Baguette und Käse stehen täglich auf dem Speiseplan. Auch Wein gibt es, doch nur für die Passagiere. Die Crewmitglieder dürfen während ihrer Arbeitszeit keinen Alkohol konsumieren.

„Das Essen ist sehr gut, auf meinem letzten Schiff war es aber noch besser“, sagt Friedrich Probst, kurze graue Haare, blaue Augen, blaues Radlerhemd. „Ich hab’ dem Koch immer gesagt: Du bist der einzige Sternekoch auf See.“ Drei Kilo habe er während seiner 25-tägigen Überfahrt von Venedig nach Kuala Lumpur zugenommen, trotz täglicher Runden auf dem Schiff. „Deshalb lasse ich das Frühstück jetzt aus“, sagt der 63-jährige Rentner aus Waldshut und zwinkert.

Nach dem Essen zieht Probst sich auf sein Zimmer zurück. Seine Englisch-Sprachbücher und der tägliche Mittagsschlaf warten. Für die Passagiere gleichen sich die Tage auf dem Containerschiff. Der Frachter ist zwar sehr gut ausgestattet - es gibt einen Aufenthaltsraum mit DVDs und Büchern, einen Sportraum mit Geräten und sogar ein kleines Schwimmbecken –, ein Bespaßungsprogramm mit Shows oder Fitnesskursen, wie auf Kreuzfahrtschiffen üblich, wird aber nicht angeboten. Die Passagiere sind sich selbst überlassen.

Anzeige

Für Douglas Patton war genau das der Grund, die Frachtschiffreise anzutreten. Der 60-jährige Rentner aus Ohio ist begeistert von der Abgeschiedenheit auf See: „Mitten auf dem Ozean, ohne Internet oder sonstige Ablenkungen, hat man die Möglichkeit, ganz bei sich zu sein.“

Eine Führung durch den Maschinenraum ist für Patton dennoch eine willkommene Abwechslung. Mit einer gelben Schutzweste am Körper und einem weißen Helm auf dem Kopf folgt er Chefingenieur Sven Leroy in den Kontrollraum oberhalb des Motors. Im Maschinenraum selbst ist es sehr laut, es sind über 30 Grad – kein guter Ort, um die Funktionsweise des Schiffs zu erläutern.

Die „Rossini“ ist 277 Meter lang, 40 Meter breit und kann bis zu 5782 Container transportieren. Ihre Höchstgeschwindigkeit liegt bei 25,3 Knoten. Normalerweise ist sie aber eher mit 16 Knoten unterwegs, das sind rund 30 Kilometer pro Stunde. Der Motor, sagt Leroy, werde mit Schweröl betrieben. Für den Notfall gebe es noch drei Dieselgeneratoren. Überhaupt gebe es für so gut wie alles ein Back-up, so der 37-Jährige: „Das Wichtigste ist, dass das Schiff rechtzeitig sein Ziel erreicht.“ Zur See gekommen ist Leroy einst, weil er nicht nur im Büro sitzen wollte. „Dieser Job ist etwas ganz anderes als das, was die meisten Menschen machen“, sagt er. Drei Monate am Stück verbringt er in der Regel auf dem Meer, anschließend hat er genauso lange Urlaub. Zu Hause in der Normandie verbringt er viel Zeit mit seiner Familie und in der Natur: „Nach drei Monaten auf dem Blauen brauche ich drei Monate im Grünen.“

28 Crewmitglieder begleiten die „Rossini“ auf ihrem Weg nach Fremantle. Während die Offiziere und Ingenieure

alle Franzosen sind, kommt die Mannschaft, bis auf zwei Inder, von den Philippinen. Für sie gelten andere Arbeitsbedingungen als für ihre europäischen Kollegen, berichtet Ronel Bello während seines Diensts auf der Kommandobrücke ganz oben auf dem Schiff. Vier Stunden lang hält der 29-jährige Philippiner die Armaturen im Blick und beobachtet das Meer. Alles, was verdächtig wirkt, gibt er an den zuständigen Wachoffizier weiter.

Bellos Vertrag läuft neun Monate, danach hat er drei Monate unbezahlten Urlaub. Für ihn ist diese Regelung in Ordnung. „Die Philippinen sind ein sehr günstiges Land“, sagt er. „Als Vollmatrose verdiene ich vergleichsweise sehr gut - und auf dem Schiff sind wir sowieso alle gleich.“ Nicht alle seiner Landsmänner sehen das so. Vor allem die lange Zeit getrennt von der Familie ist für viele sehr belastend. Das Kontakthalten auf hoher See ist schwierig. An Bord gibt es zwar Internet, doch jede Minute kostet.

Gegen die Einsamkeit hilft ihnen das Karaoke-Singen. An diesem Abend sind auch die Passagiere zur Party im Aufenthaltsraum der Mannschaft eingeladen. Die Karaoke-Maschine läuft in voller Lautstärke, es riecht nach Bier und Zigaretten. Die Seemänner singen abwechselnd philippinische Schnulzen, System of a Down und Ed Sheeran. „Ich soll singen? No way!“, sagt Douglas Patton und lacht, als Jaypee Abar sich nach seinem Lieblingslied erkundigt. „Das will keiner hören.“ Der Abend wird trotzdem sehr gesellig - und unüblich lang. Als Alex Schulz sich um kurz nach 22 Uhr ins Bett legt, pfeift der Wind durch das Kajütenfenster, knarzen draußen die Container.

Von Melanie Maier