Wohin können wir noch reisen?

Corona verunsichert Reisende und Veranstalter. Aber das Virus ist nicht das einzige Sicherheitsrisiko. Auch Terror und Naturkatastrophen bereiten Sorge.

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. Coronavirus in Europa, Waldbrände in Australien, gewaltsame Proteste in Hongkong: Blickt man auf die „Travel Risk Map 2020“, die einmal im Jahr von den britischen Dienstleistungsunternehmen International SOS und Control Risks erstellt wird, könnte man glatt die Lust am Reisen verlieren. Auf der Weltkarte sind Reiserisiken aufgestellt – unter Berücksichtigung der Faktoren Sicherheit, Gesundheit und Verkehr. Gefühlt nehmen die Risiken jedes Jahr zu. Wir sprachen mit Oliver Schneider, ehemaliger Bundeswehroffizier und heute geschäftsführender Gesellschafter bei der Sicherheitsberatung Riskworkers GmbH in München.

Herr Schneider, welche Faktoren werden in den kommenden Jahren unser Reiseverhalten bestimmen?

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Wenn ich eine Glaskugel hätte, dann könnte ich Ihnen das sicherlich besser sagen. Leider gibt es keine Möglichkeit, exakte Vorhersagen zu treffen. Fest steht: Politische Entwicklungen, Terroranschläge, Naturkatastrophen wie Erdbeben und Vulkanausbrüche, die Folgen des Klimawandels und gesundheitliche Gefahren werden unser Reiseverhalten auch in Zukunft beeinflussen. Aber weil man derartige Ereignisse eben nicht vorhersehen kann, ist es schwierig zu sagen, welche Orte oder Länder in Zukunft sicher zu bereisen sein werden und welche nicht. Das aktuellste Beispiel dafür: Niemand hätte noch vor ein paar Wochen gedacht, dass uns das Coronavirus so schnell und so intensiv beschäftigen wird.

Die Entwicklungen in vielen Weltgegenden werden also immer unvorhersehbarer?

In gewisser Weise ja. Ein ganz aktuelles Beispiel ist Saudi-Arabien. Noch vor einem Jahr war es so gut wie unmöglich, dort als Individualtourist hinzukommen. Firmen mussten jede Menge Bürokratie über sich ergehen lassen, um ihre Mitarbeiter ins Land zu bringen. Im Handumdrehen hat sich das Land geöffnet, will Tourismus – und alles ist auf einmal viel einfacher. Gleiches gilt für Kolumbien: Vor wenigen Jahren noch eines der gefährlichsten Länder der Erde, ist das Land seit dem Friedensschluss der Regierung mit der Rebellenorganisation FARC im Jahr 2016 ein verhältnismäßig sicheres Reiseland. Ganz anders das unmittelbare Nachbarland. Noch vor wenigen Jahren war Venezuela ein beliebtes Pauschalreiseziel. Heute riskiert man sein Leben, will man dorthin reisen.

Wie sicher ist ein gerade bei Deutschen beliebtes Touristenziel wie die Türkei?

Die Türkei ist grundsätzlich ein sehr sicheres Reiseland. Natürlich gibt es aufgrund des militärischen Engagements in Syrien und Libyen ein leicht erhöhtes Risiko für Terroranschläge. Doch was heißt das schon, wo wir den Terror mittlerweile auch mitten in Europa haben. Die Gründe dafür, eine Reiseentscheidung zu treffen, sind gerade im Fall der Türkei andere als aktuelle Risiken. Noch vor Kurzem wollte wegen der rigiden Politik von Präsident Recep Tayyip Erdogan kaum einer in die Türkei reisen. Jetzt kommen nicht nur deutsche Urlauber zurück, weil die Angebote vieler Hotels einfach so unschlagbar günstig sind. Das zeigt, dass auch ganz banale Faktoren wie Geld ausschlaggebend für eine Reiseentscheidung sein können.

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Welches sind denn statistisch gesehen die größten Risiken auf Reisen?

Mit meinem Unternehmen arbeite ich viel mit Versicherungen zusammen, zum Beispiel mit der Europ Assistance, einer Tochter der Generali. Dort untersuchen wir die Schadensfälle sehr genau. Die mit Abstand größten Risiken auf Reisen sind Krankheit und Unfall. Mit deutlichem Abstand folgen Schadensfälle durch Naturgewalten. Erst ganz am Ende der Liste kommen solche durch kriminelle Übergriffe oder politische Unruhen. Das Risiko durch einen bewaffneten Überfall oder einen Terroranschlag ums Leben zu kommen ist sehr gering.

Ist das Risiko, auf Reisen zu Schaden zu kommen, heute größer als noch vor zehn Jahren?

Die Tatsache, dass Nachrichten über das Fernsehen und soziale Netzwerke quasi in Echtzeit um die Welt gehen, lassen bei vielen Menschen den Eindruck entstehen, dass die Reiserisiken eher zunehmen. Natürlich ist das allgemeine Risiko durch die Gemengelage von Terrorismus, Naturkatastrophen und Epidemien in den vergangenen Jahren etwas größer geworden. Doch sind wir ehrlich: Ansteckende Krankheiten, Vulkanausbrüche und Erdbeben gab es früher auch. Der Unterschied liegt eher in der Risikokommunikation als in den Risiken selbst. Um zu erfahren, dass es eine Coronavirus-Epidemie in China gibt, vergehen nicht mehr Tage, sondern Stunden oder Minuten. Die globale Vernetzung führt dazu, dass die Menschen Risiken nicht nur anders wahrnehmen, sondern in ihrem Reiseverhalten tatsächlich auch schneller darauf reagieren.

Wo können sich Reisende informieren, die in ein vermeintlich unsicheres Land fahren möchten oder müssen?

Für Urlaubsreisende bieten die Länderinformationssysteme der Außenämter mittlerweile sehr ordentliche Informationen an. Dabei schließe ich die Behörden Österreichs, der Schweiz, Frankreichs und Großbritanniens mit ein, denn die Informationen können sich von Amt zu Amt unterscheiden. Für Unternehmen, die die Sicherheit ihrer Mitarbeiter garantieren wollen, eignen sich private Länderinformationssysteme wie Drum Cussac, Crisis 24 und A3M. Diese bieten meist sehr konkrete und detaillierte Informationen zu den Risiken im Land. Vor allem für im Ausland tätige Unternehmen und Hilfsorganisationen können diese Frühwarn-, Informations- und Kommunikationssysteme sehr hilfreich sein. Aber auch in der Reiseindustrie spielen einige davon eine immer größere Rolle.

Was würden Sie Reisenden außerdem empfehlen, um die eigene Sicherheit zu erhöhen?

Neben den üblichen Vorsichtsmaßnahmen kann es bei Reisen in bestimmte Länder sinnvoll sein, sich in die Krisenvorsorgeliste Elefand des Auswärtigen Amtes einzutragen und dort Reisedaten zu hinterlegen. Das gilt nicht nur für Hochrisikoländer wie Afghanistan, Pakistan, den Irak, Somalia und Nigeria, sondern auch für viele andere Länder wie das Beispiel China jüngst gezeigt hat. Dort griff das Auswärtige Amt bei der Rückholaktion deutscher Staatsbürger aus Wuhan im Zuge der Corona-Epidemie nicht nur auf die Informationen von in China tätigen deutschen Unternehmen zurück, sondern auch auf die Daten von Elefand.

Das Interview führte Fabian von Poser.