Aus der Routine ausbrechen, ans Limit gehen, selbstgesetzte Grenzen sprengen – die Region Nordwales bietet für Freunde des Nervenkitzels ungeahnte Möglichkeiten. Schon Sir...
. Aus der Routine ausbrechen, ans Limit gehen, selbstgesetzte Grenzen sprengen – die Region Nordwales bietet für Freunde des Nervenkitzels ungeahnte Möglichkeiten. Schon Sir Edmund Hillary trainierte hier, in der Region des Mount Snowdon-Nationalparks, unter extremen Bedingungen für seine Besteigung des Mount Everest. Immerhin ist der höchste Berg von Wales, der Mount Snowdon, 1 085 Meter hoch. Oder 3 506 Fuß, wie die Briten sagen.
Auf Adrenalin-Junkies warten Abenteuer der besonderen Art: auf Felsen klettern, Höhlen erkunden, im Meer schwimmen, von Klippen springen, in Süßwasser-Lagunen surfen und mit Europas längster Seilbahnrutsche durch die Luft sausen. Wer zwischendurch verschnaufen möchte, kommt in den urigen walisischen Gasthäusern oder in den für Wales typischen Burgen und Schlössern auf seine kulinarischen und kulturellen Kosten.
Die Reise startet ohne allzuviel Nervenkitzel. Der kurze Flug von Frankfurt nach Manchester ist ein Klacks und die Fahrt über die Autobahn nach Portmeirion eine willkommene Entspannung. Portmeirion selbst ist ein an Exotik kaum zu überbietender Ort, ein mediterranes Märchendorf, das durch den Stararchitekten Clough Williams-Ellis zwischen 1925 und 1975 farbenfroh und detailreich erbaut wurde.
Auf der Fahrt kann sich das Auge nicht sattsehen an dem strahlenden Grün der Wiesen und Hänge – gemächlich weiden unzählige Schafe auf den Ausläufern des Mount Snowdon und lassen sich von Wind und Wetter nicht stören.
Drei Millionen Menschen leben in Wales oder „Cymru“, wie die Einheimischen ihr Land nennen. Und 13 Millionen Schafe, schätzt unser Guide Noel Clawson. Auch berühmte Schauspieler und Musiker sind hier groß geworden: Catherine Zeta Jones, Christian Bale oder Tom Jones. Wales ist durch weitläufige Wiesen, hügelige Landschaften, Moore und Gebirge geprägt. Große Bereiche sind Landschaftsschutzgebiete.
Alle Schilder in Wales sind zweisprachig, obwohl nur etwa zwanzig Prozent der Bevölkerung zu Hause walisisch sprechen. Ganz ohne Englisch kann man auch hier nicht überleben. Allerdings unterrichten 500 Grundschulen und 50 weiterführende Schulen auf walisisch, das zur Familie der indo-germanischen Sprachen gehört. Seit 2 000 müssen Schüler in Wales das Walisische entweder als erste Sprache oder als Fremdsprache lernen.
„Die meisten Waliser leben von der Landwirtschaft oder vom Tourismus“, erzählt Noel. Auch alternative Energien sind ein großes Thema. Ganze Wind-Parks sind in der Ferne vor der Küste zu sehen. „Sie gehören der Queen“, weiß Noel zu berichten. Auch die Kohle- und Schieferindustrie habe der Bevölkerung lange Zeit Prosperität und Handel beschert. Jetzt lohnt sich die Förderung kaum noch und die Menschen setzen auf den Tourismus. Seit 2012 kann man die walisische Küste komplett erwandern: 800 Meilen erstrecken sich die sanften Hügel am Meer entlang, 1 200 Kilometer. Die Fläche von Wales ist etwa so groß wie die der Schweiz.
Das erste Abenteuer wartet in Dolgarrog bei Conway. Seit dem 1. August gibt es hier, im ersten von Menschenhand erschaffenen Surfpark, die perfekte Welle. Das Gelände ist so groß wie sechs Fußballfelder. Und zwar in einer Süßwasserlagune, die sich aus Regenwasser speist. „Surf Snowdonia“ lockt Besucher aus aller Welt an und eignet sich gerade für Anfänger. Ein Trainer gibt Tipps und unterrichtet in Kleingruppen bis zu vier Personen. Ein Neoprenanzug sorgt dafür, dass es in der Lagune nicht zu kalt wird. Es gibt Bereiche für Anfänger, Fortgeschrittene und Profis: Alle 90 Sekunden rollen die ein bis zwei Meter hohen Wellen heran. Auf dem Brett zu stehen fühlt sich großartig an. Aber auch im Liegen macht es großen Spaß, den Wellen hinterherzujagen. „Ich habe lange nicht mehr so gelacht! Ich bin vor Lachen von meinem Surfbrett gerutscht“, erzählt eine Surferin freudestrahlend nach ihrem Erlebnis.
Die längste Seilbahn Europas „Zip World Titan“ öffnete im Juni 2014 in den Llechwedd Slate Caverns, den alten, stillgelegten Schieferminen nahe der historischen Schiefer-Stadt mit dem schwer auszusprechenden Namen „Blaenau Ffestiniog“. Zip World Titan ist in ein Erlebnis, das man im Leben nicht mehr vergisst: 1,5 Kilometer sausen bis zu vier Personen gleichzeitig bergab, festgeschnallt in einem Anzug und gebremst nur durch einen kleinen Fallschirm. Drei Seilbahnen gibt es, die sich in Länge und Schnelligkeit immer weiter steigern. Und gleich im Anschluss kann man in der Höhlenwelt der alten Schieferminen seine Schwindelfreiheit unter Beweis stellen: Festgehakt an sicher befestigten Metallseilen geht es kletternd, balancierend und rutschend von einer Station zur nächsten – Nervenkitzel pur.
Die Belohnung wartet dann in der großen Trampolinwelt „Bouncing below“. Hier springt man von Riesen-Trampolin zu Riesen-Trampolin, rutscht bunte Röhren hinab und wird durchgeschüttelt, bis einem vor Lachen der Bauch weh tut. Wer sich nochmal wie ein kleines Kind freuen will, ist hier genau richtig. Als Gruppe wächst man hier zusammen und hat den größten Spaß. Ein bisschen gruselig ist es dann nur, wenn man durch die Netze, fünfzig Meter in die Tiefe der Höhle hinabschaut. Wer Höhenangst hat, muss sie hier definitiv überwinden. Die meisten schaffen das. Der Andrang bei „Zip World Titan“ und „Bouncing Below“ ist so groß, dass das Telefon nicht still steht. Die Eigentümer mit den verrückten Ideen sind heute Millionäre. Zwei Erfolgsgeschichten für die Region Nordwales und der Garant für Arbeitsplätze.
Auch beim „Coasteering“ kommen Abenteurer voll auf ihre Kosten. Diese spannende Mischung aus Klettern, Naturerkundung und Klippenspringen ist nichts für Feiglinge. Mit Neoprenanzug, Schwimmweste, Schuhen und Helm gesichert, geht es schwimmend, kletternd und springend voran. Da muss man sich auch mal von der einen oder anderen Klippe „stürzen“, zwischen Felsen hindurch schlängeln oder mit einem Seil an Felswänden empor hangeln. Aber es lohnt sich, die eigenen Grenzen zu sprengen. Ein Adrenalinkick, der stolz macht und Wales aus einer ganz besonderen Perspektive zeigt, nämlich vom Wasser aus. Zwei Guides sind dabei und passen auf, dass nichts passiert. Nebenbei halten sie die Gruppe mit witzigen Anekdoten über Land und Leute bei Laune.
Auch in puncto Kultur und Geschichte hat Nordwales viel zu bieten: Cowny Castle gilt beispielsweise als eine der größten Festungen des mittelalterlichen Europas und ist zweifelsohne eine der faszinierendsten Burgen in Wales. Die 1286 errichtete Burg war die Schlüsselfestung des „Iron Ring“, des eisernen Rings von insgesamt neun durch Edward I. errichteten Burgen.
2016 hat Wales das „Year of Adventure“ – das Jahr des Abenteuers – ausgerufen. Und in der Tat gibt es keinen besseren Ort für walisische Abenteuer der besonderen Art.
Von Laura Jung