Samstag,
26.08.2017 - 00:00
5 min
Hongkong ist seit 20 Jahren unabhängig
Von Mona Contzen

Der Blick fällt auf Wolkenkratzer, wenn man die Skyline von Hongkong betrachtet. Foto: Mona Contzen ( Foto: Mona Contzen)
„Little Dragon“ rennt, als wüsste er, worum es geht. Auf der Hongkonger Pferderennbahn Sha Tin steht er für ein Versprechen, das 50 Jahre Gültigkeit haben soll. „Die Pferde werden weiterrennen“, hatte Chinas ehemaliger Staats- und Parteichef Deng Xiaoping schließlich einst prophezeit, um für die Rückgabe der britischen Kronkolonie an die Volksrepublik zu werben. Seit der Nacht, in der die Briten die Millionenmetropole nach rund 150-jähriger Herrschaft endgültig verließen, stehen die Pferderennen stellvertretend für das demokratisch-marktwirtschaftliche System, das das sozialistische China der neuen Sonderverwaltungszone weiterhin gewähren will. Das Pferd mit dem Namen „Kleiner Drache“ ist ein Symbol für eine ganze Gesellschaftsordnung.
Gucci, Armani und schwarze Seegurken
So ist auch 20 Jahre nach der Übergabe längst nicht alles, was britisch ist, aus Hongkong verschwunden. Die roten Briefkästen mit der Krone wurden natürlich abgeschraubt, die Porträts von Elisabeth II. abgehängt. Zusammen mit dem Union Jack sank 1997 auch der Stern des britischen Empires auf den Boden der Hongkonger Tatsachen – die Pacht der „New Territories“ im Norden war nach 99 Jahren abgelaufen, der Vertrag über die Rückgabe der Stadt schon 1984 unterschrieben. Die Flagge wurde eingeholt, Dudelsackklänge ertönten, Prinz Charles sprach ein paar mahnende Worte und winkte noch einmal Goodbye. Er ließ Menschen zurück, die sich noch heute in erster Linie als „Hongkonger“ fühlen, mit internationaler Identität, stolz auf ihr westliches Wertesystem und ihre chinesische Kultur.
Auf Hongkong Island, dem asiatischen Gegenstück zu New Yorks Manhattan, läuft der britische Einfluss wie der Untertitel in einem chinesischen Film bei jedem Schritt mit. Zwischen den Wolkenkratzern herrscht Linksverkehr. Es gibt die Queen’s Road und den Victoria Harbour, die Tram zuckelt heute wie all die Jahre seit 1904 über die Insel. Und vor den Schaufenstern von Gucci, Armani und Co. warten Menschen auf den Bus – in feiner englischer Art brav aufgereiht in Schlangen, die einen ganzen Häuserblock lang sein können. Hier und da behaupten sich auch noch einige Kolonialgebäude wie der „Western Market“ zwischen den spiegelnden Bürofassaden und den verblassten Wohnblöcken mit ihren subtropischen Altersflecken.
Gleich um die Ecke, am sogenannten „Possession Point“, haben die Briten während des Ersten Opiumkriegs 1841 ihre Fahne gehisst und das Fischerdorf Hongkong samt seiner 7000 Einwohner zwei Jahre später zur Kolonie erklärt. Chinesische Einwanderer machten aus dem Stadtteil Sheung Wan ihr eigenes Handelszentrum: Seit über 100 Jahren werden dort, in „Old Town Central“, schwarze Seegurken auf den Straßen zum Trocknen ausgelegt. Walsekret, Ginseng und Vogelnester locken Einkaufstouristen aus China an, die nicht nur bei Luxusartikeln, sondern auch in Gesundheitsfragen lieber auf Hongkonger Qualität als auf heimische Fälschungen setzen.
INFORMATIONEN
Anreise: Zum Beispiel ab Frankfurt mit Cathay Pacific nonstop nach Hongkong, ab circa 730 Euro hin und zurück, www.cathaypacific.com.
Touren: Interessante Touren rund um Kultur und Street Life bieten Veranstalter wie Hohogo (www.hohogo.com.hk) und Walk in Hongkong (www.walkin.hk) an. Kulinarische Ausflüge gibt es bei Hongkong-Foodie-Tours (www.hongkongfoodietours.com). Touren zu Pferderennen sind bei Splendid Tours & Travel (www.splendid.hk) und Gray Line Tours (www.grayline.com.hk) und buchbar.
Jubiläum: Hongkong feiert das 20-jährige Bestehen seiner Unabhängigkeit das ganze Jahr über. Alle Veranstaltungen sind aufgelistet unter www.hksar20.gov.hk .
Auskunft: Hongkong Tourism Board, discoverhongkong.com/german
Touren: Interessante Touren rund um Kultur und Street Life bieten Veranstalter wie Hohogo (www.hohogo.com.hk) und Walk in Hongkong (www.walkin.hk) an. Kulinarische Ausflüge gibt es bei Hongkong-Foodie-Tours (www.hongkongfoodietours.com). Touren zu Pferderennen sind bei Splendid Tours & Travel (www.splendid.hk) und Gray Line Tours (www.grayline.com.hk) und buchbar.
Jubiläum: Hongkong feiert das 20-jährige Bestehen seiner Unabhängigkeit das ganze Jahr über. Alle Veranstaltungen sind aufgelistet unter www.hksar20.gov.hk .
Auskunft: Hongkong Tourism Board, discoverhongkong.com/german
Der Kapitalismus hat überlebt, Hongkong ist eine Business-Stadt: taff, teuer, in ständigem Wandel. Die Mieten in den Apartmentblocks mit Platz für jeweils 1000 Bewohner sind horrend. „Innerhalb von zwei Wochen machen ein Dutzend Läden dicht und neue eröffnen“, erzählt Toby Cooper. Der Engländer führt im Szeneviertel „SoHo“ ein britisches Pub. Die Übergabe Hongkongs an China hat er als junger Tourist im Fernsehen verfolgt. „Wir haben viel Militär gesehen“, erinnert er sich. Manche fürchteten damals, es würden bald chinesische Panzer durch die Straßen rollen. „Aber nichts ist passiert“, sagt Cooper. „Die Institutionen sind gegangen, viele Ausländer geblieben. Vor allem in den vergangenen Jahren sind wieder mehr Europäer gekommen.“
Auch Chinesen zieht es zunehmend in die Metropole: Etwa 40 Millionen Touristen kamen 2016, seit 1997 rund eine Million Einwanderer – etwa jeder siebte Hongkonger ist inzwischen ein „Festländer“, so nennen sie die Neuankömmlinge hier. Einigen alteingesessenen Einwohnern bereitet der stete Zuzug Sorge. Die „Neuen“ hielten sich nicht an die Regeln: Sie spuckten überall hin, drängelten sich vor, würden in der U-Bahn essen. Und dann seien da noch die subtilen Einmischungsversuche aus Peking, vor allem Journalisten und Studenten fürchten um die Unabhängigkeit der Medien und der Justiz.
Weiterführende Links
Kreative Bierszene und bunte Graffitikunst
Das stete Ringen um die eigene Identität und die innere Autonomie äußert sich nicht nur in Protesten wie dem der „Regenschirm-Bewegung“, die 2014 freie Wahlen forderte. Es trägt auch kreative Blüten: Vor allem die Bierszene der Stadt hat eine echte Revolution erlebt. Jüngst haben zwei Dutzend lokale Brauereien eröffnet. Typisch englisch? „Vor 15 Jahren noch hätten sie britisches Bier gebraut“, ist Toby Cooper überzeugt. „Jetzt bekommt die Stadt ihr eigenes Bier – die Brauereien benutzen lokale Kräuter, Gewürze, Tees und erobern langsam den Markt.“
Den trendigen Stadtteil „PoHo“ zum Beispiel. Fünfstöckige Gebäude aus den 40er- und 50er-Jahren – für Hongkonger Verhältnisse geradezu lächerlich winzig – wurden hier vor dem Abriss bewahrt. Gemütliche Teestuben, kleine Antiquitätenläden und originelle Designergeschäfte verbergen sich hinter blauen, grünen und orangefarbenen Fassaden. Bunte Graffitikunst findet bei den Hausbesitzern zunehmend Anklang, am Abend veranstaltet der kleine Blumenladen Jam Sessions.
Auch auf der anderen Seite der Meerenge, in Kowloon, haben kleinere Wohnblöcke vergangener Jahrzehnte überlebt. Die vergleichsweise niedrigen Mieten können sich noch einfache Cafeterias und Handwerker leisten. Die alte Mrs. Ho zum Beispiel verkauft hier ihre handgemachten Waagen, die längst aus der Mode gekommen sind. Seit 90 Jahren schon gibt es den Shop, doch Ende des Jahres wird er abgerissen, um Platz für das moderne Hongkong zu schaffen. „Alles hier wandelt sich sehr schnell“, sagt Ling, die kulturelle Spaziergänge durch das Viertel anbietet. „Deshalb möchte ich, dass die Leute die Plätze unserer Erinnerung entdecken.“
Das Erbe der Briten, es ist in Kowloon weniger offensichtlich. Wer den Pier hinter sich lässt, wo seit über 100 Jahren die „Star Ferry“ in Richtung Skyline abfährt, und den alten Uhrturm aus rotem Backstein passiert, der früher die Immigranten am Bahnhof begrüßte, der findet sich in einer Welt aus Schriftzeichen wieder. In den Hinterzimmern der Läden werden die Messer per Hand geschliffen, die Auslagen zeigen Hühnerfüße, auf den Speisekarten steht Schlangensuppe. Obwohl die kantonesische Küche als beste Chinas gilt, ist man in Hongkong „stolz auf den Mix aus Ost und West“, sagt Yammy Tam, die im Stadtteil Sham Shui Po zur „Foodie Tour“ lädt. Das Ananasbrötchen, das nur wegen seiner Kruste so heißt, sei zum Beispiel eine Imitation westlicher Esskultur, die hiesigen Eierwaffeln haben es sogar zu einiger Berühmtheit gebracht.
Letztlich ist Hongkong eben ein Schmelztiegel: Indonesier, Amerikaner, Deutsche und Chinesen leben Seite an Seite. Der britische Pub-Betreiber identifiziert sich ebenso mit der Stadt wie die in Hongkong geborene alte Dame, die ihre Waagen verkauft. An den Wochenenden treffen sie sich alle beim Pferderennen – die beiden Stadien, die gemeinsam über 100 000 Zuschauer fassen können, sind stets gut besucht. Den ersten Wettkampf hielten die Briten hier schon 1844 ab und die Chinesen haben ihr Versprechen gehalten: Die Pferde rennen weiter.