Samstag,
22.04.2017 - 00:00
5 min
Bei der Veranstaltung „Open House“ öffnen einmal im Jahr die Jerusalemer ihr Türen und Tore

Von Ute Strunk
Reporterin Politik

Menschen auf dem Machane-Yehuda-Shuk-Markt Foto: Ute Strunk ( Foto: Ute Strunk)
Am Samstagvormittag ist es ruhig im jüdischen Viertel der Altstadt von Jerusalem. Es ist Sabbat. In den engen Gassen spazieren Familien, die vom morgendlichen Gottesdienst kommen. Die Männer tragen ihre schwarz-weißen Gebetsmäntel um die Schultern, die kleinen Jungen dunkle Anzüge und die Mädchen festliche Kleider mit dicken Strumpfhosen. Mit ihren Kopftüchern und den knöchellangen Röcken wirken die Frauen, als entstammten sie einer anderen Zeit. Wer genau hinschaut sieht, dass etliche von ihnen Perücken tragen.
Die Reise nach Jerusalem fühlt sich an wie ein Besuch in einer anderen Welt. Kein Wunder: Nirgendwo leben so viele orthodoxe Juden wie hier. Nirgendwo sonst sieht man so viele Männer mit schwarzen Hüten und Schläfenlocken. Der Sabbat hat wie in jeder Woche am Freitagabend begonnen. Er ist ein Tag der Ruhe, an dem die Familie zusammenkommt. Weil jegliche Arbeit untersagt ist, wird schon am Tag zuvor gekocht. Am Sabbat verzichten die Gläubigen darauf, fernzusehen und das Handy zu benutzen. Und weil die religiösen jüdischen Gäste im Hotel auch den Fahrstuhl nicht benutzen dürfen, gibt es für sie einen eigenen Sabbat-Lift. Dieser hält in jeder Etage, damit man ein- und aussteigen kann, ohne einen Knopf drücken zu müssen.
Jerusalem ist das Zentrum der drei Weltreligionen. Es ist die Heilige Stadt für Juden, Christen und Muslime – eine Stadt mit einer 3000 Jahre alten Geschichte. Rund drei Millionen Touristen aus aller Welt kommen jährlich nach Jerusalem. Sie strömen durch die Altstadt zur Grabeskirche, wo Jesus gekreuzigt und begraben wurde. Sie wollen den berühmten Felsendom auf dem Tempelberg sehen, von wo der Prophet Mohammed in den Himmel aufgefahren ist, und sie pilgern zur Klagemauer, wo gläubige Juden beten und kleine Zettel mit Wünschen in die Fugen zwischen den Steinen stecken. Es gibt kaum einen Ort auf der Welt, wo Religion so fassbar ist. Wo man ergriffen vor dem Grab Jesu steht und gemeinsam mit den Betenden an der Klagemauer. Es ist ein ungemein faszinierender Ort.
Die Altstadt, das Stadtzentrum und der Museumsbezirk sind das, was die meisten Touristen sehen. Doch es gibt immer mehr Besucher, die nicht wegen des religiösen Aspekts kommen – Chinesen zum Beispiel. „Eine neue Zielgruppe sind auch junge Leute zwischen 35 und 45 Jahren, die urbane Erlebnisse wollen“, sagt Ilanit Melchior von der Jerusalemer Stadtentwicklungsbehörde. Die Stadt versucht diese mit besonderen Veranstaltungen zu locken. Ein Beispiel sind die „Open-House-Tage“, die bereits seit zehn Jahren stattfinden. Ein Wochenende lang öffnen Privathäuser, Galerien, Innenhöfe, Gärten und Synagogen ihre Türen und Tore für die Öffentlichkeit.
INFORMATIONEN
Anreise: El Al fliegt neunmal pro Woche von Frankfurt nach Tel Aviv, hin und zurück ab rund 280 Euro, www.elal.com. Von dort dauert die Fahrt mit dem Taxi etwa eine Stunde bis nach Jerusalem.
Unterkunft: Mitten im Zentrum von Jerusalem liegt das Herbert Samuel Hotel, DZ ab 250 Dollar / Nacht, www.herbertsamuel.com.
Open House: Die nächste Veranstaltung „Open Houses“ in Jerusalem findet vom 26. bis 28. Oktober statt, batim.itraveljerusalem.com.
Auskunft: Staatliches Israelisches Verkehrsbüro, www.goisrael.de; Jerusalem Development Authority, www.itraveljerusalem.com.
Unterkunft: Mitten im Zentrum von Jerusalem liegt das Herbert Samuel Hotel, DZ ab 250 Dollar / Nacht, www.herbertsamuel.com.
Open House: Die nächste Veranstaltung „Open Houses“ in Jerusalem findet vom 26. bis 28. Oktober statt, batim.itraveljerusalem.com.
Auskunft: Staatliches Israelisches Verkehrsbüro, www.goisrael.de; Jerusalem Development Authority, www.itraveljerusalem.com.
Familie Kadari, die im Stadtteil „Ein Kerem“ ein altes Haus gekauft und renoviert hat, ist zum zweiten Mal bei der Veranstaltung dabei. Die Besonderheit im Keller ihres Anwesens ist eine 2000 Jahre alte Mikwe – ein rituelles jüdisches Bad. „Sie ist der Beweis dafür, dass es hier früher schon jüdische Besiedlung gab“, erzählt Oriya Kadari, die wie ihr Mann Künstler ist. Denn eigentlich gehört „Ein Kerem“ zu den alten arabischen Dörfern, die Jerusalem wie einen landwirtschaftlichen grünen Gürtel im Westen umschließen.
Auch Birgitta Yavari-Ilan ist Künstlerin. Die Schwedin lebt seit den 70er-Jahren in der „Yemin-Moshe-Neighborhood“, der Siedlung, die als erste um 1860 außerhalb der Stadtmauern Jerusalems gebaut wurde. Die Häuser sind von üppigen Gärten umgeben. Von Birgittas winzigem Balkon aus haben die Besucher einen wunderbaren Blick auf die Altstadt. Hier sitzt man herrlich im Grünen. Im Wohnzimmer des Hauses hängen Bilder der Künstlerin, die hier früher gemeinsam mit ihren elf Kindern gewohnt hat – „einer Tochter und zehn Kindern, die mir zugelaufen sind“. Heute hat sie drei Gästezimmer, denn Birgitta liebt es, ihr Haus für Gäste zu öffnen. Das ist auch der Grund, warum auch sie bei „Open House“ mitmacht.
Weiterführende Links
Es sind vor allem Künstler, Architekten und Designer, die ihre Häuser öffnen. Vor dem Apartment von Estee Du-Nour stehen die Menschen sogar Schlange, um es besichtigen zu dürfen. Einst gehörte das Haus, das von außen eher unscheinbar wirkt und einem Bunker ähnelt, einer wohlhabenden arabischen Familie. Die Wohnung selbst befindet sich in den Räumen, die ursprünglich für die Bediensteten vorgesehen waren. Die Designerin verbindet modernen Lifestyle mit japanischen Einflüssen in ihrer Einrichtung.
Inspirationen für zeitgemäßes israelisches Wohnambiente finden die Besucher auch bei Tali Porat-Starer. Die Innenarchitektin lebt mit Mann und zwei Kindern in einem 95-Quadratmeter-Apartment im Süden Jerusalems. Vor gut anderthalb Jahren haben sie die Wohnung gekauft und renoviert – Gesamtkosten: 2,5 Millionen Schekel (etwa 620 000 Euro). Etliche Besucher drängen sich durch Wohn- und Kinderzimmer, das im skandinavischen Stil ganz in Weiß eingerichtet ist. In der Küche mit den dunklen Holzschränken stehen Gewürze ordentlich aufgereiht in Flaschen und Gläsern.
„Jerusalem ist teurer als Paris“, bestätigt Arielle von der Organisation New Spirit. „Für eine Neubauwohnung von 100 Quadratmetern zahlt man etwa 1600 Dollar im Monat – und das bei einem durchschnittlichen Gehalt von 2500 Dollar.“ Die Organisation hat das Alliance-Haus, das ganz in der Nähe des berühmten Machane-Yehuda-Shuk-Marktes liegt, zu einem Kulturzentrum umfunktioniert. Schriftsteller, Musiker, Tänzer und andere Künstler können die Räume der ehemaligen Schule als Ateliers mieten. Das Beit-Alliance-Zentrum ist ein weiteres Beispiel dafür, wie Menschen aus ganz verschiedenen Gesellschaftsschichten gemeinsam unter einem Dach arbeiten – ultraorthodoxe genauso wie absolut säkulare Juden und Araber. Ein anderes Beispiel ist Beit-Hansen, ein ehemaliges Krankenhaus für Leprakranke, das vor einigen Jahren zu einem Zentrum für Design, Medien und Technologie umgewandelt wurde. Sie alle öffnen ihre Türen für interessierte Besucher.
Nach so vielen Einblicken in das private Leben und Wohnen der Jerusalemer ist es Zeit für einen Besuch auf dem bekanntesten Markt der Stadt – ein Erlebnis für alle Sinne. Seit über 100 Jahren gibt es auf dem Machane-Yehuda-Markt Obst und Gemüse, Fisch und Fleisch, Gewürze und Backwaren. Doch damit nicht genug: Jeden Donnerstag verwandelt er sich am Abend zu einer pulsierenden Partystätte. Dort, wo am Tag die Händler ihre Waren verkauft haben, sitzen nun junge Leute bei einem Glas Bier zusammen. Die Musik dröhnt aus den Boxen der umliegenden Bars und Restaurants. In den vergangenen sechs Jahren hat sich der Markt zu einem nächtlichen Szenetreff für Einheimische und Touristen entwickelt. Erst am nächsten Abend, am Freitag, ist hier alles wieder ruhig. Es gibt weder Bier noch laute Musik, denn am Sabbat, da kehrt Stille ein in Jerusalem. Da bleibt man daheim bei seiner Familie.