Die USA erinnern mit Trauerfeiern an die rund 3000 Opfer der Anschläge vom 11. September 2001. Das Terrornetzwerk Al-Kaida ruft in einem Video weiter zum Kampf auf. Ein Überblick.
NEW YORK . Zwei Jahrzehnte nach dem Terroranschlag vom 11. September 2001 gedenken die USA mit bewegenden Trauerfeiern der rund 3000 Opfer. Mit Angehörigen und Überlebenden erinnern Präsident Biden und einige seiner Vorgänger an die Attacke, die die Welt veränderte.
Die Ereignisse am 20. Jahrestag des 11. September im Überblick:
USA gedenken Anschlagsopfern
Mit bewegenden Trauerfeiern zum 20. Jahrestag der verheerenden Anschläge des 11. September haben die Vereinigten Staaten von Amerika den Opfern gedacht. Im Beisein von US-Präsident Joe Biden leitete um 8.46 Uhr (Ortszeit) der Klang einer Glocke eine Schweigeminute an dem Ground Zero genannten Anschlagsort im Süden Manhattans in New York ein - genau zu der Zeit, an der islamistische Terroristen vor 20 Jahren das erste von vier entführten Flugzeugen in einen der Zwillingstürme des World Trade Centers geflogen hatten. Nach der Schweigeminute verlasen Angehörige - teilweise unter Tränen - die Namen der fast 3000 Getöteten.
Die Terroristen hatten am 11. September 2001 vier Flugzeuge gekapert. Nachdem sie American-Airlines-Flug 11 in den Nordturm des World Trade Centers steuerten, flog kurze Zeit später ein weiteres Flugzeug in den Südturm. American-Airlines-Flug 77 lenkten die Angreifer in das Verteidigungsministerium in Washington. Eine vierte Maschine stürzte in Pennsylvania ab, nachdem die Menschen an Bord Widerstand gegen die Entführer leisteten.
Der Drahtzieher der Anschläge, Osama bin Laden, wurde 2011 nach langer Suche bei einer US-Militäroperation getötet. Auch am Pentagon und der Absturzstelle in Shanksville fanden am Samstag Trauerveranstaltungen statt. In Pennsylvania nahm auch George W. Bush teil, der am 11. September US-Präsident war. Es sei ein Tag extrem gemischter Gefühle gewesen, sagte Bush bei einer Ansprache. Es habe Entsetzen geherrscht "angesichts des Ausmaßes der Zerstörung" und "der Kühnheit des Bösen", gleichzeitig habe es wegen des Heldenmutes der Einsatzkräfte, des Militärs und der plötzlichen Solidarität und gegenseitigen Hilfe unter Amerikanern "Dankbarkeit" und "Ehrfurcht" gegeben. "Wir waren stolz auf unser verwundetes Land."
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Zur Trauerfeier an der heutigen Gedenkstätte in New York kamen neben Präsident Biden und First Lady Jill Biden auch zahlreiche Angehörige von Opfern sowie Überlebende. Auch die ehemaligen Präsidenten Barack Obama und Bill Clinton waren mit ihren Ehefrauen anwesend. Im Gedenken an die Anschläge solle an "ganz normale Menschen" gedacht werden, sagte Mike Low, dessen Tochter Sara als Flugbegleiterin arbeitete und in einer der gekaperten Maschinen ums Leben kam. Musiker Bruce Springsteen sang sein Lied "I'll See You In My Dreams". Eine Rede Bidens war bei dieser Veranstaltung nicht vorgesehen.
Die nationale Einheit sei die größte Stärke der Vereinigten Staaten, hatte der US-Präsident anlässlich des Gedenkens bereits im Vorfeld per Videobotschaft gesagt. In den Tagen nach den Anschlägen sei heldenhaftes Handeln, Widerstandskraft und "ein wahres Gefühl der nationalen Einheit" demonstriert worden. Ex-Präsident Obama sprach den Angehörigen der Opfer sein Beileid aus und gedachte den damaligen Einsatzkräften und dem US-Militär. Der Mut des Militärs in den vergangenen 20 Jahren habe auch geholfen, Bin Laden zur Strecke zu bringen. Obama war Präsident, als eine Spezialeinheit des Militärs den damaligen Al-Kaida-Chef in Pakistan tötete.
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Nach den Schockwellen, die der 11. September in die Welt aussendete, wurde zum ersten und bislang einzigen Mal in der Bündnisgeschichte der Nato der Artikel 5 aktiviert, nach dem ein bewaffneter Angriff auf ein Nato-Mitglied als Angriff gegen alle Mitglieder gewertet wird. Dies führte dazu, dass Deutschland und zahlreiche andere Nato-Staaten sich am Krieg gegen die Taliban und die Terrororganisation Al-Kaida in Afghanistan beteiligten. Dieser Einsatz ging vor wenigen Tagen nach einem chaotischen und als überstürzt kritisierten Abzug der Truppen zu Ende - die Taliban eroberten das Land innerhalb von kurzer Zeit zurück und sind erneut die faktischen Herrscher Afghanistans.
Kein Ereignis in der jüngeren Geschichte hat die USA und seine Gesellschaft mehr geprägt als jener verhängnisvolle Dienstag vor 20 Jahren, als das Terrornetzwerk Al-Kaida und sein damaliger Chef Bin Laden noch vergleichsweise unbekannt waren. Nach dem 11. September wurde die Terrorabwehr grundlegend ausgebaut, der staatliche Apparat massiv umgeformt. In der Folge veränderten sich die USA deutlich, viele beschrieben die Zeiten der noch immer anhaltenden Terrorangst als wachsende Paranoia zulasten früherer Leichtigkeit.
Bürgerrechte wurden durch den "Patriot Act" zum Teil empfindlich beschnitten, das hochumstrittene Gefangenenlager in Guantanamo auf Kuba eingerichtet und neue Behörden und Einheiten gegründet. Im Land sind manche Veränderungen gut sichtbar, etwa die Kontrollen an den Flughäfen oder die Polizeipräsenz auf den Straßen. Vieles aber geschieht im Verborgenen, wie die ausgeweitete Überwachung und die intensive Kontrolle von Daten.
Die USA zogen nach den Anschlägen in den "Krieg gegen den Terror". Nach dem Einmarsch in Afghanistan folgte 2003 der Krieg im Irak, dessen Auswirkungen letztlich auch die Gründung der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) begünstigten. Koordinierte Attacken wie die vom 11. September haben vermutlich auch die umfassenden Sicherheitsmaßnahmen in den USA vereitelt. Trotzdem aber kam es vor allem 2015 und 2016 zu tödlichen Angriffen von Einzeltätern in den Vereinigten Staaten.
Zwei Jahrzehnte nach den Anschlägen gibt es unterdessen Millionen Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene, die keine eigene Erinnerung an 9/11 haben. An dem Ort, an dem die Türme des World Trade Center standen, plätschern heute Wasserfälle im Gedenken an die Opfer - das Viertel drumherum ist wieder aufgebaut worden und ein neues Hochhaus, das "One World Trade Center", thront als höchstes Gebäude New Yorks über der Stadt. Aber die Erinnerung bleibt wach in New York - auch weil immer noch Menschen, die damals vor Ort waren, vor allem Rettungskräfte, an Folgeerkrankungen durch Schadstoffe sterben.
Eine Reihe weiterer Persönlichkeiten äußerten sich in Botschaften zum 11. September. "Heute gedenken wir eines dunklen Tages, der sich in die Köpfe von Millionen Menschen weltweit eingebrannt hat", sagte UN-Generalsekretär António Guterres. Der britische Premier Boris Johnson betonte, die Anschläge hätten ihr Ziel nicht erfüllt, den Glauben an Freiheit und Demokratie zu untergraben. Während SPD-Spitzenkandidat Olaf Scholz mitteilte, dass Terror keinen Platz in der Welt haben dürfte, mahnte Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock, dass es auch immer wieder einen kritischen Blick auf die Entwicklung brauche, die der Kampf gegen den Terror genommen habe.
Al-Kaida veröffentlicht neues Video von Anführer Al-Sawahiri
20 Jahre nach den verheerenden Anschlägen vom 11. September hat das Terrornetzwerk Al-Kaida eine neue Videobotschaft ihres Anführers Aiman al-Sawahiri veröffentlicht. In dem am Samstag über die sozialen Medien verbreiteten Film ruft Al-Sawahiri seine Anhänger dazu auf, die Staaten im Westen und ihre Verbündeten im Nahen Osten zu bekämpfen. Das rund 60 Minuten lange Video zeigt die erste Ansprache des Al-Kaida-Chefs, seitdem es Ende vergangenen Jahres unbestätigte Gerüchte über seinen Tod gegeben hatte.
Analysten sehen in der neuen Aufnahme Hinweise, dass Al-Sawahiri zumindest noch zu Beginn dieses Jahres am Leben war. So erwähne er einen Angriff auf das russische Militär im Nordwesten Syriens am 1. Januar, twitterte die Direktorin der auf Propaganda von Extremisten spezialisierten Site Intelligence Group, Rita Katz.
Auch auf den Abzug des US-Militärs aus Afghanistan geht Al-Sawahiri ein. Die USA verließen das Land nach 20 Jahren Krieg "gebrochen und geschlagen", erklärt er. Kein Wort sagt er hingegen zum dortigen Vormarsch der militant-islamistischen Taliban, die mit Al-Kaida verbündet sind. Die Anschläge vom 11. September seien "eine Verletzung", wie sie die USA niemals erlebt hätten, sagt Al-Sawahiri.
Die Annäherung mehrerer arabischer Staaten an Israel bezeichnet er als "Verrat". Dabei handele es sich um einen "Kreuzzug", der von Amerika angeführt werde: "Und Israel ist eines der wichtigsten Werkzeuge dieses Kreuzzuges." Die Vereinigten Arabischen Emirate, Bahrain, der Sudan und Marokko hatten sich im vergangenen Jahre mit Israel geeinigt, ihre diplomatischen Beziehungen zu normalisieren.
Der Ägypter Al-Sawahiri ist Nachfolger von Osama bin Laden, der als Kopf der Terroranschläge vom 11. September 2001 in den USA galt. Bin Laden wurde 2011 in Pakistan von einer US-Spezialeinheit getötet. Die USA haben auf Al-Sawahiri ein Kopfgeld von 25 Millionen Dollar (rund 21 Millionen Euro) ausgesetzt. Fachleute gingen immer davon aus, dass er sich im Grenzgebiet zwischen Afghanistan und Pakistan versteckt.
Ex-Präsident Bush: 11. September war ein Tag gemischter Gefühle
Ex-Präsident George W. Bush hat den Tag der Anschläge vom 11. September als einen Tag extrem gemischter Gefühle beschrieben. Es habe Entsetzen geherrscht "angesichts des Ausmaßes der Zerstörung" und "der Kühnheit des Bösen", gleichzeitig habe es wegen des Heldenmutes der Einsatzkräfte, des Militärs und der plötzlichen Solidarität und gegenseitigen Hilfe unter Amerikanern "Dankbarkeit" und "Ehrfurcht" gegeben, sagte Bush am Samstag bei einer Gedenkveranstaltung. "Wir waren stolz auf unser verwundetes Land", sagte Bush, der zum Zeitpunkt der Anschläge Präsident war.
Bei der Veranstaltung in Shanksville im Bundesstaat Pennsylvania dankte Bush ausdrücklich allen, die seit den Anschlägen im Dienst des US-Militärs gegen den Terrorismus und für den Schutz des Landes gekämpft hätten. "Sie haben ihre Mitbürger vor Gefahren geschützt", sagte Bush. "Sie sind für diese Welt eine Kraft des Guten gewesen."
US-Verteidigungsminister Austin: Keine Demokratie ohne Sicherheit
Zum Gedenken an die Anschläge vom 11. September vor 20 Jahren hat US-Verteidigungsminister Lloyd Austin die Rolle des Militärs als Garant der amerikanischen Demokratie beschworen. Die Vereinigten Staaten seien dank der Werte und demokratischen Prinzipien in ihrer Verfassung für die Stürme der Zukunft gerüstet, sagte Austin am Samstag am Pentagon, das 2001 ebenfalls Ziel der Attentäter wurde. Fast ein Viertel der Bevölkerung sei nach den Anschlägen geboren worden, sagte Austin. "Es ist unsere Verantwortung, uns zu erinnern. Und es ist unsere Aufgabe, unsere Demokratie zu verteidigen", sagte der Verteidigungsminister.
Die Verfassung sei der "Kompass" für den Schutz der Demokratie. Sowohl die Werte als auch die Sicherheit der Republik müssten ohne Unterlass verteidigt werden, mahnte Austin. "Weil wir das eine nicht oder das andere haben können."
Austin dankte auch ausdrücklich allen US-Soldaten, die in Afghanistan gedient haben - ein Krieg, der von den Anschlägen ausgelöst worden war. Die letzten Soldaten zogen erst Ende August aus dem Land ab.
184 Menschen waren ums Leben gekommen, als Flug 77 der American Airlines am 11. September 2001 in eine Seite des Pentagon stürzte. Die meisten Opfer waren Angestellte des Verteidigungsministeriums.
Austin betonte, das Pentagon sei nach wie vor die Zentrale des US-Militärs. "Wir arbeiten weiter hier. Wir erinnern uns hier weiter. Und wir halten unsere Werte hier weiter hoch. Mit klaren Köpfen und furchtlosen Herzen", sagte Austin.
New York gedenkt mit Schweigeminute des 11. September
Im Beisein von US-Präsident Joe Biden hat New York am Samstag an die Opfer der Terroranschläge vom 11. September 2001 erinnert. Um 8.46 Uhr (Ortszeit) begann eine Schweigeminute an dem Ground Zero genannten Anschlagsort im Süden Manhattans - genau zu der Zeit, an der islamistische Terroristen vor 20 Jahren das erste von vier entführten Flugzeugen in den Nordturm des World Trade Centers in New York gesteuert hatten. Insgesamt kamen bei den Anschlägen fast 3000 Menschen ums Leben.
Zur Trauerfeier an der heutigen Gedenkstätte kamen neben dem Präsidenten und First Lady Jill Biden auch zahlreiche Angehörige von Opfern sowie Überlebende. Auch die ehemaligen Präsidenten Barack Obama und Bill Clinton waren mit ihren Ehefrauen anwesend. Vor der Schweigeminute hatte ein Chor die US-Nationalhymne gesungen.
Bei den Angriffen ein weiteres Flugzeug in den Südturm des World Trade Centers. Beide Türme stürzten dann in sich zusammen. Eine dritte Maschine lenkten die Terroristen in den südwestlichen Teil des US-Verteidigungsministeriums nahe Washington. Flugzeug Nummer vier stürzte in Pennsylvania ab, nachdem die Passagiere Widerstand gegen die Entführer geleistet hatten. Der Drahtzieher der Anschläge, Osama bin Laden, wurde 2011 von US-Spezialeinheiten getötet.
Lesen Sie hier nochmal die multimediale Chronologie der zentralen Ereignisse vom 11. September 2001.
Von dpa