Eltern und Lehrer, die vor Kinderpornografie warnen, geraten ins Visier der Ermittler. Der rheinland-pfälzische Justizminister erläutert, warum das Gesetz geändert werden muss.
Mainz . Der rheinland-pfälzische Justizminister Herbert Mertin (FDP) hat die Bundesregierung aufgefordert, das Strafrecht schnell so anzupassen, „dass die Staatsanwaltschaft nicht eine Lehrerin anklagt, weil diese kinderpornografische Bilder einsammelt“. In Rheinland-Pfalz gebe es einen konkreten Fall, wo es aufs Tempo für eine Gesetzesänderung von Paragraf 184b Strafgesetzbuch ankomme, sagte Mertin jüngst bei einer Pressekonferenz in Mainz. Denn die Staatsanwaltschaft sei verpflichtet, gegen die betroffene Lehrerin zu ermitteln. Dieser drohe laut Gesetz mindestens ein Jahr Freiheitsstrafe sowie als Beamtin auch der Verlust ihres Jobs. Zudem könne es jederzeit weitere ähnliche Fälle geben. „Das ist ein Unding“, sagte Mertin.
Die Justizministerkonferenz habe die Bundesregierung zweimal aufgefordert, den unter der Großen Koalition neu gefassten Paragrafen im Strafgesetzbuch zu ändern. Es gebe auch Stellungnahmen von Vertretern aller drei Ampel-Parteien, dies tun zu wollen. Passiert sei aber noch nichts. Es laufe „etwas schwerfällig“, kritisierte Mertin. „Für die Betroffenen ist es aber nicht trivial.“
Vor allem Kinder und Jugendliche teilen und verbreiten ohne Kenntnis eines strafrechtlichen Hintergrundes kinder- und jugendpornografische Bilder in Gruppenchats.
In dem aktuellen Fall gehe es um intime Aufnahmen, die eine 13-Jährige von sich gemacht und ihrem Freund geschickt habe. Dieser habe die Aufnahmen verteilt. Als die Lehrerin davon erfahren habe, habe sie sich die Bilder schicken lassen, um die Mutter zu informieren und das Mädchen zu schützen. Da dieses noch nicht 14 Jahre alt war, müsse die Staatsanwaltschaft jetzt ermitteln, sonst mache sie sich strafbar, so Mertin. Es geht um die Verbreitung, den Erwerb und den Besitz kinderpornografischer Inhalte.
Lehrerin wird in Montabaur angeklagt
Die Staatsanwaltschaft Koblenz hat nach eigenen Angaben im Juli Anklage beim Amtsgericht in Montabaur gegen die Frau erhoben. „Der Anklage liegt der gegen die Angeschuldigte gerichtete Vorwurf zugrunde, es unternommen zu haben, sich selbst und tatmehrheitlich hierzu einer anderen Person den Besitz eines kinderpornografischen Inhalts verschafft zu haben“, teilte die Behörde mit. Allerdings habe sich die Beschuldigte wohl „in einem vermeidbaren Verbotsirrtum“ befunden, daher sei eine mildere Strafe möglich.
Ähnlich gelagert war der Fall von Steffen Dillinger, Neffe des verstorbenen katholischen Pfarrers Edmund Dillinger aus dem Bistum Trier. In der Wohnung des Priesters habe er kinder- und jugendpornografisches Material gefunden. Weil ihm der Missbrauchsbeauftragte des Bistums Trier dazu geraten habe, das Archiv zu verbrennen, habe er sich an die Öffentlichkeit gewandt, sagte Steffen Dillinger. Die Staatsanwaltschaft Mainz hat daraufhin die Ermittlungen gegen ihn aufgenommen. Der Verdacht: Verbreitung jugendpornografischen Materials. Dillinger, der beim Bundeskriminalamt in Wiesbaden arbeitet, hätte die Dokumente sofort bei der Polizei abgeben müssen.
Ermittlungen gegen den Neffen von Pfarrer Dillinger eingestellt
Mitte Juli teilte die Staatsanwaltschaft mit, dass sie die Ermittlungen eingestellt hat. Von den Bildern haben demnach nur zehn Aufnahmen strafrechtlich relevante jugendpornografische Schriften zum Gegenstand (Paragraf 184c), weitere zwölf Bilder zeigten Inhalte im Grenzbereich zur Jugendpornografie. „Weil der 54-Jährige ohne erkennbare sexuelle Motivation nur eine vergleichsweise geringe Anzahl an Bildern mit jugendpornografischen Inhalten besaß, um diese der Aufarbeitung des von ihm angenommenen Missbrauchs von Jugendlichen durch den verstorbenen Priester zur Verfügung stellen zu können, war seine Schuld als gering anzusehen. Ein öffentliches Interesse an seiner Strafverfolgung war nicht gegeben“, erläuterte die Staatsanwaltschaft.
Vor der Strafverschärfung 2021 lag es im Ermessen der Behörden, ob sie ermitteln oder nicht. Nun geraten aber zum Beispiel auch Eltern ins Visier, die auf dem Handy ihres Kindes in Chats einschlägiges Material entdecken, andere Eltern warnen und die Schulleitung informieren.
In der polizeilichen Kriminalstatistik für Deutschland sind für 2022 mehr als 42.000 Fälle im Zusammenhang mit Kinderpornografie registriert. 54 Prozent der Tatverdächtigen waren minderjährig. „Vor allem Kinder und Jugendliche teilen und verbreiten ohne Kenntnis eines strafrechtlichen Hintergrundes kinder- und jugendpornografische Bilder in Gruppenchats“, heißt es in Bericht zur Statistik.
Justizminister Mertin regte an, „minderschwere Fälle“ in den Paragrafen 184b einzuführen. Dann müsse die Staatsanwaltschaft solche Fälle nicht mehr vor Gericht bringen. An Lehrer und pädagogische Fachkräfte appellierte er, sich solche Aufnahmen nicht schicken zu lassen, sondern die Polizei zu verständigen.