Der (muslimische) Antisemitismus in Hessen nimmt zu. Um ihn zu bekämpfen, möchte die Landesregierung künftig sämtliche Fälle erfassen - auch jene unterhalb der Strafbarkeit.
WIESBADEN. „Der neue Antisemitismus kommt aus der Welt des Islam“: Diesen Satz hat ausgerechnet ein Moslem formuliert, Bassam Tibi, namhafter deutscher Politikwissenschaftler aus Göttingen, der noch in seiner Schulzeit in Damaskus zu lernen hatte, Juden seien die „Hauptverschwörer der Welt“. Und Jakob Gutmark, in Hessen Vorsitzender des Landesverbandes der jüdischen Gemeinden, sagt: „Flüchtlinge bringen Legenden über Juden mit." Einer aus Somalia hatte ihm erklärt, woher Hitlers Hass auf Juden stammt: Weil sein Großvater Schuster gewesen sei, und Juden auf seinem Rücken ihre Schuhe geputzt hätten. „Flüchtlinge bringen ihre Wahrheit mit“, sagt Gutmark. „Wahrheiten“, die sie in der Schule gelernt haben.
Doch auch bei muslimischen Migranten der dritten Generation hält sich hartnäckig ein übler Antisemitismus. Der hessische Verfassungsschutz hat Internet-Kommentare zu Medienberichten ausgewertet. Ergebnis: Bei Beiträgen über Israel und den Nahostkonflikt überwogen eindeutig antisemitische Kommentare aus der muslimischen Ecke. Nur wenn es allgemein um Juden und Judentum ging, gab es ebenso viel antisemitische Kommentare aus dem muslimischen Spektrum wie aus dem rechtspopulistischen.
Muslime als Wähler-Potenzial
Es klingt vor dem Hintergrund dieser Untersuchung wie Hohn, dass Juden ausgerechnet in der rechtspopulistischen AfD eine Untergruppe „Jüdische Alternative für Deutschland“ gegründet haben. Begründung: Die AfD sei die einzige Partei, die muslimischen Antisemitismus entgegentrete.
„Es ist leider so, dass andere Parteien den muslimischen Antisemitismus nicht thematisieren“, meint Susanne Schröter, Islamforscherin an der Frankfurter Goethe-Universität. Das Phänomen werde negiert, um die muslimische Minderheit in Deutschland nicht in die Enge zu treiben. Auch spielten Muslime als Wähler-Potenzial, mit dem man es sich nicht verscherzen wolle, eine Rolle.
Jakob Gutmark indes widerspricht. Die Parteien nähmen muslimischen Antisemitismus durchaus wahr. So hat Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) im April darauf hingewiesen, dass zwar nicht jeder Muslim ein Antisemit sei. „Aber gerade dort haben wir besondere Aufgaben“. Denn viele Menschen aus arabischen Ländern, die Deutschland aufgenommen habe, „kennen nichts anderes als Erziehung zum Hass gegen Juden.“
Beuth: Existenzrecht von Israel ist nicht verhandelbar
Und Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) hat schon vor einem Jahr dazu aufgerufen, der „Zuwanderung von Antisemitismus“ entgegenzutreten. Jedem hier Lebenden müsse klar sein: „Das Existenzrecht Israels ist nicht verhandelbar, sondern gehört wie der Kampf gegen jegliche Judenfeindlichkeit zur DNA der Bundesrepublik.“
Es gebe eine Zunahme von Antisemitismus, sagt Walter Fischedick, Referatsleiter für Kirchen und Religionsgemeinschaften in der Staatskanzlei. „Wir nehmen die Sorge der jüdischen Gemeinden wahr.“ Hessen werde darauf reagieren. Bislang werden antisemitische Straftaten seitens der Polizei dem Bereich „Politisch motivierte Kriminalität rechts“ zugeordnet, so lange nichts Näheres über Tat oder Täter bekannt ist. Jetzt hat sich die Landesregierung mit den Sicherheitsbehörden und den jüdischen Gemeinden darauf verständigt, sämtliche Fälle von Antisemitismus zu erfassen. Mithin auch Vorfälle, die unterhalb der Strafbarkeitsschwelle liegen. Ziel sei es, den Antisemitismus besser zu bekämpfen, so Walter Fischedick.
Von Christoph Cuntz