„Der Antisemitismus in Deutschland äußert sich immer dreister“

Der Antisemitismus in Deutschland äußere sich „immer dreister, anmaßender und auch physisch brutal“. Das sagte der neue Antisemitismusbeauftragte der hessischen...

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WIESBADEN. Der Antisemitismus in Deutschland äußere sich „immer dreister, anmaßender und auch physisch brutal“. Das sagte der neue Antisemitismusbeauftragte der hessischen Landesregierung, Professor Felix Semmelroth, bei der offiziellen Berufung in dieses Amt am Montag in Wiesbaden. Der 68-Jährige erinnerte an die Angriffe gegen Kippa-Träger in Berlin und die Attacken gegen einen Rabbiner in Offenbach. Dass es mehr als 70 Jahre nach dem Ende der nationalsozialistischen Diktatur überhaupt der Funktion eines solchen Beauftragten bedürfe, zeuge von der ungebrochenen Virulenz dieses Phänomens, sagte Semmelroth. Antisemitismus gebe es auch in der Mitte der Gesellschaft und auch bei kultivierten und gebildeten Menschen. Deswegen sei es eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe in Deutschland, dagegen vorzugehen.

Mit der Berufung des früheren Frankfurter Kulturdezernenten setze das Land ein klares Zeichen, dass Hass und Hetze gegen Juden in Hessen keinen Platz hätten, sagte Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) bei der Amtseinführung des Beauftragten in der Staatskanzlei, wo Semmelroth sein Büro haben wird. „Die Judenfeindlichkeit wird stärker, die Vorfälle werden sichtbarer und die Hemmschwellen sinken. Das dürfen und werden wir nicht einfach hinnehmen“, so der Regierungschef. Semmelroths Berufung gelte zunächst für die laufende Legislaturperiode, die im Januar kommenden Jahres endet, sagte Bouffier. Er könne sich aber nicht vorstellen, dass die Tätigkeit dann von einer neuen Regierung beendet werde.

„Breites Spektrum der Hässlichkeiten“

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Semmelroth soll als unabhängiges Bindeglied zwischen den jüdischen Gemeinden in Hessen und der Landesregierung fungieren und Konzepte und Strategien entwerfen, um Judenhass und Vorurteilen in der Gesellschaft entgegenzuwirken. Die neue Aufgabe werde fordernd sein, aber Professor Semmelroth fange nicht bei Null an, meinte Bouffier weiter. Die Landesregierung sei sich seit Jahrzehnten der besonderen Verantwortung für jüdisches Leben bewusst und stehe fest an der Seite der jüdischen Mitbürger. Es sei keine Selbstverständlichkeit, dass sich jüdisches Leben in Hessen habe entfalten können.

Beim Antisemitismus gebe es in allen gesellschaftlichen Schichten ein „breites Spektrum an Hässlichkeiten“, sagte Jacob Gutmark, Vorsitzender des Landesverbands jüdischer Gemeinden. 20 bis 25 Prozent der Bevölkerung seien latent judenfeindlich, erklärte der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Frankfurt, Salomon Korn. Das Phänomen habe sich über Generationen vererbt.

Bouffier warnte vor Judenfeindlichkeit, die sich als Kritik am Staat Israel tarne. Selbstverständlich könne man die Politik Israels kritisieren. Es sei aber eine besondere deutsche Verpflichtung, nicht seine Existenz infrage zu stellen. Mit Blick auf die Vergangenheit sagte der Ministerpräsident, es dürfe keine Schlussstrichmentalität geben. Das, was war, dürfe nicht relativiert werden.

FDP fordert bedarfsgerechte Ausstattung des Amtes

Die FDP begrüßte die Berufung Semmelroths, insbesondere die Beteiligung der jüdischen Gemeinden bei der Suche nach einer geeigneten und allseits respektierten Persönlichkeit. Die Bekämpfung jeder Form des Antisemitismus könne nur durch das tagtägliche Engagement der Gesellschaft und der politischen Akteure gelingen, sagte der integrationspolitische Sprecher Jörg-Uwe Hahn. Er forderte die Landesregierung auf, die Stelle des Antisemitismusbeauftragten mit bedarfsgerechten personellen, finanziellen und sachlichen Ressourcen auszustatten.