Zum Tag der Pressefreiheit: Desinformation tötet

Exklusiv für den Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) hat die österreichische Malerin und Bühnenbildnerin Xenia Hausner zum Tag der Pressefreiheit dieses Motiv erschaffen. Sie selbst sagt zu dem Bild: „Das Werk trägt den Titel ‚Out’ – wie aus oder außerhalb. Es hat etwas mit Ausklinken oder Wegschauen zu tun. Es zeigt eine junge Frau, die das sprichwörtliche Brett vor dem Kopf hält. Aber gleichzeitig erlauben die Sehschlitze das ‚Durch-Schauen‘, das genaue Hingucken, was passiert, um sich ein eigenes Bild von der Welt zu machen.“ Bild: Xenia Hausner / BDZV

Journalismus ist viel mehr als ein Beruf. Er ist essenziell für eine demokratische Gesellschaft, schreibt Medienwissenschaftler Prof. Dr. Bernhard Pörksen zum Tag der...

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. Manchmal, in dunklen, pessimistischen Momenten, denke ich: Was muss eigentlich noch passieren, bevor eine lethargische Bildungspolitik – trotz des Desinformationsgewitters der Gegenwart – aus ihrem Tiefschlaf erwacht? Was braucht es, bevor die Medienpädagogik ihr oft anspruchsloses, verdruckst-opportunistisches Herumgefloskel über irgendwelche Digitalkompetenzen einstellt und endlich zu einer klaren Sprache findet? Und was muss geschehen, bevor die offene Gesellschaft begreift, dass sie mit ihrer Weigerung, Medienbildung mit normativer Entschiedenheit zu betreiben, sehenden Auges ihre eigenen Grundlagen zerstört?

Nach den Pro-Brexit-Feldzügen, dem Wahlsieg Donald Trumps mithilfe von Putins Trollen, nach der Pandemie-Infodemie und im Gewirbel der Fake News zum Ukraine-Krieg sind drei Befunde unabweisbar. Erstens destabilisiert die systematische Verschmutzung der Informationskreisläufe überall auf der Welt Demokratien und verleiht Antiliberalen Auftrieb, wie aktuelle Studien im Detail zeigen. Zweitens sind die asymmetrischen Wahrheitskriege skrupelloser Populisten im Verbund mit den Fehlanreizen der sozialen Netzwerke – Dissens schüren, aufpeitschen, emotionalisieren – geeignet, die Fähigkeit von Politik und Gesellschaft zu untergraben, aktuelle Großkrisen zu lösen. Denn diese Krisen (man denke beispielhaft an den Klimawandel) setzen einen Realitätskonsens, einen gemeinsamen Fokus und ein Denken in der langen Linie voraus. Wenig ist also gerade jetzt so nötig wie die Kombination von Konsens, Kompromissfähigkeit, Konzentration und langfristiger Strategiebildung. Und doch wird genau diese Gesprächs- und Strategiefähigkeit ganzer Gesellschaften im Zusammenspiel von gezielter Propaganda und algorithmischer Plattform-Logik unterwandert.

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Zwischen Fake-Videos und echtem Grauen

Und drittens ist längst offensichtlich, dass Desinformation tötet, und zwar ganz direkt und unmittelbar. Denn irgendwann greifen die „QAnon“-Spinner zu den Waffen oder stürmen das Kapitol. Irgendwann schießen die Reichsbürger um sich. Und nur mal nebenbei: Durchschnittlich 40 Minuten nach der Installation der TikTok-App sind die oft sehr jungen Userinnen und User das erste Mal mit Falschmeldungen und russischer Propaganda aus dem Ukraine-Krieg konfrontiert. Sie sehen Video-Fakes, aber natürlich auch authentische Bilder, Explosionen, Erschießungen, ein endloses Mischprogramm aus Lüge, Wahrheit und Gewalt, ungefiltert, ohne klärende Einordnung.

Was also tun? Was mir Hoffnung macht: Es zeichnet sich, von der Öffentlichkeit noch weitgehend unbemerkt, seit ein paar Jahren eine Art Graswurzelrevolution der Medienbildung ab, die aus dem Journalismus kommt. Seit 2019, so berichtet beispielsweise der Verein „Journalismus macht Schule“, war man in Tausenden von Schulen überall in Deutschland.

Prof. Dr. Bernhard Pörksen. Foto: Uni Tübingen
Prof. Dr. Bernhard Pörksen. (© Uni Tübingen)

Es gab Schüler- und Lehrermedientage, Online-Workshops, Podcasts, Medien-Projekte und Lehrer-Fortbildungen, Seminare an Volkshochschulen und Unis in gewaltiger Zahl. Dabei sind jede Menge neue, faszinierende Initiativen und Kooperationen entstanden – zwischen regionalen und überregionalen Zeitungen und dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk, den verschiedensten Stiftungen, Bildungseinrichtungen und Medienhäusern. Viele Journalistinnen und Journalisten machen mit, engagierte Lehrerinnen und Lehrer sind dabei, einfach so, oft in ihrer Freizeit, ehrenamtlich. Auch heute, am Tag der internationalen Pressefreiheit, finden verschiedenste Veranstaltungen statt.

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Journalismus ist mehr als ein Beruf

Die Grundidee dieser Medienbildungsoffensive von unten ist bestechend einfach. Sie besagt: Journalismus ist viel mehr als ein Beruf. Denn in den journalistischen Maximen – „Prüfe erst, publiziere später!“, „Analysiere Deine Quellen!“, „Höre auch die andere Seite!“, „Orientiere Dich an Relevanz und Proportionalität!“, „Sei skeptisch!“ – liegt eine konkrete Kommunikationsethik, die heute alle angeht. Natürlich gibt es auch schlechten Journalismus, Herden- und Meutenverhalten, sinnloses Stichflammen-Spektakel, klar. Aber in der Kenntnis der grundlegenden journalistischen Regeln der Informations- und Quellenprüfung steckt tatsächlich eine Chance. Hier sind die Anfänge einer praktischen Utopie zu entdecken. Hier findet sich ein Ausweg aus dem Desinformationsspektakel in Richtung einer Gesellschaft von Bürgerinnen und Bürgern, die medienmündig sind.

Ist damit alles gelöst? Gewiss nicht. Und doch: Es könnte und sollte allmählich ein großes Gespräch über publizistische Maßstäbe und die Schulung der Urteilskraft entstehen. Es wäre ein Austausch, der auch dem Journalismus nützen könnte und der eine bestenfalls verschlafene Bildungspolitik inspiriert, die – jenseits einer naiv-modischen Technikfaszination – dringend normative Klarheit braucht.

Vielleicht haben Sie, liebe Leserin, lieber Leser, also Lust, am Tag der Pressefreiheit mit ein paar Menschen Ihrer Wahl über die neuartige Macht der Propaganda, den Wert des unabhängigen Journalismus und Wege zur Medienmündigkeit zu debattieren? Damit wäre viel gewonnen. Die Idee der redaktionellen Gesellschaft wäre dann, und sei es nur für einen Tag, ein Stück gelebte Wirklichkeit.

Von Bernhard Pörksen