Gastkommentar: Inflation, das ererbte Trauma

Friedrich Küppersbusch. Foto: dpa
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Was tun, in Sachen Inflation? Mit unverarbeiteten Geschichten von früher kommen wir nicht weiter, sagt Friedrich Küppersbusch in unserem Gastkommentar.

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. Ich bin Millionär. Von Kindesbeinen an. Entsprechend gelassen stehe ich jetzt diesen wuchernden „10 % Inflation“ gegenüber. Ich hatte Stapel von Geldscheinen, die mit „Eine Million Reichsmark“ bedruckt waren, oder nochmal mit „Eine Milliarde“ hastig überdruckt. Aus dem Nachlass einer Großtante, die in einer beispielgebenden Mischung aus Verschrobenheit und Bauernschläue ihre Zwanziger-Jahre-Ersparnisse bis in die Siebziger hinein in den Markt drückte. Kam der Briefträger mit einer Nachnahme oder sonstwie unterfrankiert längs, gab sie ihm einen Schnaps und „eine Million, stimmt so“.

Der Mann muss nacheinander arm, Alkoholiker und Numismatiker geworden sein. Als die Tante starb, landete der unverbrauchte Rest ihres Milliardenvermögens bei mir. Ich entwickelte die Geschäftsidee „Für eine Mark Millionär“ und verkaufte die faserigen Lappen auf dem Schulhof. Abends wurden meine Eltern telefonisch von Eltern der Klassenkameraden beschimpft. Das ganze Taschengeld sei weg für ein nutzloses Stück Papier, und das Kind sehr traurig. Kapitalismus, ich habe immer davor gewarnt, nun fresst es.

Eier- und Zigarettenwährung: Ein Bügeleisen gegen ein paar Eier

Einmal im Thema, hörte ich auch von der Eier- und Zigarettenwährung. Mein Opa habe in seiner kriegsbedingt aufgelassenen Werkstatt aus Einzelteilen Bügeleisen zusammengestoppelt. Damit bewehrt zu Fuß über die Dörfer, ein Bügeleisen gegen ein paar Eier. Bauern, die noch was hatten, waren Könige; meine Mutter stand Schmiere, wenn Großvater Fabrikant Kohlen klaute. Nicht unwahrscheinlich, in jeder Familie, die damals schon in Deutschland lebte, solche Schnurren verwahrt zu finden.

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„Denn ich, der Herr, dein Gott, bin ein eifernder Gott, der die Missetat der Väter heimsucht bis ins dritte und vierte Glied an den Kindern derer, die mich hassen.“ Das Bibelwort aus dem Buch Mose mag man als Schauermärchen wegwischen, wenn nicht die moderne Traumaforschung im Wesentlichen zum gleichen Ergebnis käme: Leidvolle Erlebnisse der Groß- und Urgroßeltern, so die Psychologen, wirken fort bis in die dritte und vierte Generation. Oft auch, ohne dass die Betroffenen es wüssten. So dürfte auch das papierne Wissen aus dem Geschichtsunterricht noch stets mit wirkmächtigem, düsterem Gefühl unterlegt sein.

Mehr zum Ukraine-Krieg und dessen Folgen lesen Sie in unserem Dossier.

Unser größtes Erbe, die unbezifferbare Schuld, dräut und dröhnt fort in die Gegenwart. Die Katastrophe in der Ukraine beantworten viele mit Argumenten aus unserer Geschichte: Gerade weil wir das damals getan haben, müssen wir heute die moralisch richtige Position einnehmen und auch danach handeln. Zweckmäßig benutzt die russische Seite das gleiche Narrativ für seine Zwecke.

Daneben ist die Angst vor der Inflation den Deutschen zum Wesenszug geworden. Andere Europäer gehen leichter damit um; gern spottet man hier über die „Südländer“. Vor dem Euro habe man da ja mit Schulden gewuchert und alle paar Jahre einfach das Komma verschoben, ein paar Nullen gestrichen und von vorn angefangen. Deutsche „Austeritätspolitik“ klang ihnen wie der reichste Bauer im Dorf, der seine Eier selber mampft und allen anderen zu Disziplin und Enthaltsamkeit anhält. Erst mit Corona und nun mit den sprießenden Rüstungsausgaben gelang es unseren Nachbarn, die ängstlichen Spargermanen behutsam an ein anderes Denken heranzuführen: In der Not gemeinsam Schulden machen.

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Hier beginnt unser Abenteuer. Das Schulwissen über die „galoppierende Inflation“, das ererbte Trauma – wirkt fort und verblasst. Es schadet nichts, das nochmal anzuschauen und Anekdote von Legende, Nostalgie von bitterer und leidvoller Erfahrung zu scheiden. Der Geldwertverlust trifft zuerst und vor allem die, die eben noch eben so damit auskamen. Große Gefühle, unverarbeitetes Zeug von vorgestern, hohl klingende Mahnungen und leutseliger Optimismus gehen allesamt fehl. Die Kraft, uns gegen die Gemeinheit des Diebstahls – nichts anderes ist Inflation – zu wehren, können wir gut darauf lenken, denen zu helfen, die es jetzt hart trifft. Lustige Geschichten erzählen dann, hoffentlich, unsere Enkel.

Von Friedrich Küppersbusch