Diese Vorerkrankungen machen Corona lebensgefährlich

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Atemnot ist bei oder nach einer Corona-Erkrankung ein häufiges Symptom.  Foto: dpa

Die Studie eines Rechtsmediziners zeigt, wie massiv bestimmte Krankheiten das Risiko erhöhen, an Covid-19 zu sterben. Dabei ahnen viele Betroffene nichts von ihren Vorerkrankungen.

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HAMBURG/AACHEN. Einer der ersten Corona-Toten war ein 59-jähriger Feuerwehrmann aus Hamburg, der 2020 im Ägypten-Urlaub verstarb. Der Hamburger Rechtsmediziner Klaus Püschel fand bei der Obduktion später heraus, dass der Mann erhebliche Vorerkrankungen hatte, unter anderem ein geschädigtes Herz. Vorerkrankungen, von denen der Feuerwehrmann selbst wohl nichts gewusst hat, so seine Frau laut einem Gastbeitrag Püschels bei „Focus-online“. So habe ihr Mann sich wegen seines Jobs regelmäßig medizinischen Tests unterziehen müssen. Er sei total fit gewesen, ging joggen und fuhr viel Fahrrad.

Schon seit Beginn der Pandemie heißt es, dass vor allem Menschen mit Vorerkrankungen gefährdet sind. Das jedoch trifft hierzulande auf viele Millionen Menschen zu und viele wissen gar nicht, dass sie betroffen sind. Püschel wollte herausfinden, warum die Krankheit bei manchen Menschen einen ganz harmlosen Verlauf nimmt und bei anderen einen sehr schweren, gar tödlichen.

Bei vielen Covid-Toten ist die Lunge vernarbt

Von März bis Dezember 2020 wurden 735 Corona-Todesfälle am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf obduziert, um genauere Informationen über die konkreten Todesumstände zu erhalten. Davon wurden 618 als Covid-19-Todesfälle klassifiziert. Die überwiegende Mehrheit der Personen, die direkt an einer Sars-CoV-2-Infektion starben, war im fortgeschrittenen Alter und hatte mehrere Vorerkrankungen, insbesondere an Herz und Gefäßen. Die meisten Patienten starben an Lungenentzündung und geschädigten Lungenbläschen, lautet eines der Ergebnisse der Studie, die im September 2021 in der Fachzeitschrift „Nature“ veröffentlicht wurde.

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Weitgehend zerstörte Lungenbläschen, deutlich verdickte Wände und eine außergewöhnlich stark vernarbte Lunge bei der Mehrheit der Patienten mit starkem Covid-19: So lautet auch das Ergebnis einer Studie aus dem November, die in der Fachzeitschrift „Cell“ vorgestellt wurde. Auch hier war die untersuchte Patientengruppe höheren Alters und mit unterschiedlichen Vorerkrankungen, so Professor Peter Boor, der die Studie am Institut für Pathologie der Uniklinik RWTH Aachen geleitet hat. Die Forscher fanden heraus, dass das Coronavirus möglicherweise eine fehlgeleitete Reaktion der sogenannten Makrophagen, auch Fresszellen genannt, auslöst, die den Prozess der Narbenbildung höchstwahrscheinlich befeuern. Ein ähnlicher Prozess tritt auch bei der chronischen Lungenfibrose auf: Die Zellen des Bindegewebes vermehren sich stark und produzieren in großer Menge Narbengewebe.

„Das erklärt vielleicht, warum einige Risikofaktoren für Covid-19 auch Risikofaktoren für die chronische Lungenfibrose sind: zum Beispiel Grunderkrankungen, Rauchen, ein männliches Geschlecht und ein Alter über 60 Jahren“, sagt Antoine-Emmanuel Saliba, Arbeitsgruppenleiter am Helmholz-Institut für RNA-basierte Infektionsforschung in Würzburg und zweiter korrespondierender Leiter der Studie. Es gebe allerdings einen entscheidenden Unterschied zwischen den beiden Erkrankungen: „Bei Covid-19 ist die Vernarbung zumindest potenziell reparabel“, so Saliba.

Die Rolle der Obduktion

Obduktionen dienen also nicht nur dazu, die genaue Todesursache zu diagnostizieren, sie ermöglichen auch ein besseres Verständnis von Krankheiten. So legt laut den Wissenschaftlern die wichtige Rolle der Fresszellen für beide Krankheiten nahe, dass eine Hemmung der Zellen dazu beitragen könnte, die Vernarbung der Lunge zu verhindern. An der Charité in Berlin wird bereits an einer wirksamen Blockade der entsprechenden Rezeptoren dieser Fresszellen geforscht.

Eine andere Erkenntnis aus der Hamburger Studie wird bereits bei der Therapie von Covid-Erkrankten umgesetzt. Die Rechtsmediziner hatten herausgefunden, dass Thrombosen bei 39,2 Prozent der untersuchten Fälle vorkamen und tödliche Lungenembolien bei 22,1 Prozent gefunden. Covid-19-Patienten werden deshalb inzwischen vermehrt mit Blutverdünnungsmittel behandelt.

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„Unsere Erkenntnisse gehen dahin, dass nahezu alle Verstorbenen Vorerkrankungen hatten, die meisten von ihnen chronische Lungenleiden oder eine massive Schwächung des Herz-Kreislauf-Systems. Etliche litten an anderen Organerkrankungen wie Nierenversagen, hatten Krebs, waren starke Raucher, litten an Diabetes oder waren schwer fettleibig“, schreibt der Hamburger Rechtsmediziner Püschel in seinem „Focus“-Gastbeitrag vom Dezember. Bei Todesopfern unter 60 Jahren, habe er ebenfalls relevante Vorerkrankungen festgestellt, auch wenn den Menschen diese teilweise selbst nicht bewusst gewesen seien. Dabei zieht Püschel das Fazit aus der Studie, dass für die allermeisten Menschen keine allgegenwärtige tödliche Gefahr durch eine Covid-19-Infektion bestehe.

Gute Nachrichten für Kinder

Nur ein ganz geringer Anteil der obduzierten Verstorbenen – nämlich 1,2 Prozent – habe keine Grunderkrankungen gehabt, bestätigt Püschels Nachfolger Professor Benjamin Ondruschka, der das Institut für Pathologie seit Oktober 2020 leitet. Er sagt auch, dass das Fehlen von Grunderkrankungen bei Kindern aus morphologischen Gesichtspunkten als einer der Gründe anzunehmen sei, warum diese nur selten schwere Covid-Verläufe haben. „Das Problem ist, dass man auch ohne Vorerkrankungen oder Risikofaktoren einen schweren Verlauf haben kann und man kann nicht vorhersagen, bei wem es auftreten könnte“, sagt hingegen der Aachener Pathologe Boor.

Mit Blick auf die vielen Bürger, die unter den sogenannten Zivilisationskrankheiten leiden, kann der Rückschluss, dass für die allermeisten Menschen keine allgegenwärtige tödliche Gefahr durch eine Covid-19-Infektion bestehe, auch kritisch gesehen werden. Zumal viele von ihren Vorerkrankungen nichts wissen. So haben laut der Deutschen Hochdruckliga etwa 20 bis 30 Millionen Deutsche Bluthochdruck, aber nur vier von fünf Menschen wissen von ihrer Krankheit. Laut der Deutschen Gefäßliga leiden vier Millionen Menschen in Deutschland unter Arteriosklerose, doch nur bei jedem Dritten ist die Krankheit diagnostiziert.

Ein Viertel der Erwachsenen ist stark übergewichtig

Und auch die Zahl der Diabetes-Erkrankungen in Deutschland ist nach Angaben der Techniker-Krankenkasse in den letzten 25 Jahren um mehr als ein Drittel gestiegen. Aktuell leben etwa 8,5 Millionen Bürger mit der Diagnose Diabetes mellitus, so die Deutsche Diabetes Hilfe. Hinzu komme eine Dunkelziffer von etwa zwei Millionen Menschen, die nichts von ihrer Erkrankung wissen. Am deutlichsten aber wird das Problem beim Blick auf das Thema Übergewicht: Laut Robert-Koch-Institut sind zwei Drittel der Männer (67 Prozent) und die Hälfte der Frauen (53 Prozent) davon betroffen. Ein Viertel der Erwachsenen ist sogar stark übergewichtig – nämlich 23 Prozent der Männer und 24 Prozent der Frauen.