Attentat auf Walter Lübcke: Politiker beklagen Lücken im...

aus Der Mordfall Walter Lübcke

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Gegen rechtsterroristische Netzwerke wird in Deutschland viel getan – aber nicht immer mit der letzten Konsenquenz.

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WIESBADEN. Konstantin von Notz war nicht der einzige, der sich nach Verhaftung von Stephan E. kritisch zur Arbeit der Sicherheitsbehörden äußerte: Wenn es um rechtsextremistische Netzwerke gehe, hätten sie „eine analytische Schwäche, genau zu erkennen, mit was man es zu tun hat“, so der Grünen-Politiker zu den Ermittlungen im Fall des ermordeten Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke. Auch der hessische Linken-Politiker Hermann Schaus wirft dem Innenministerium in Wiesbaden vor, die rechtsradikale Szene in Hessen heruntergespielt zu haben. Doch gibt es auch andere Stimmen. Die von Michael Boddenberg etwa. Er habe „großes Vertrauen in die Sicherheitsbehörden“, hat der CDU-Fraktionsvorsitzende im hessischen Landtag jetzt gesagt.

Tatsächlich ist der hessische Verfassungsschutz heute gänzlich anders aufgestellt als noch vor zehn Jahren, hat ganze Abteilungen aufgebaut, die sich mit Rechtsterrorismus befassen. Und Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) hat in der Vergangenheit durchaus gegen Neonazis in Nordhessen durchgegriffen: 2015 hatte er den Verein „Sturm 18“ verboten, weil dessen Mitglieder der rechtsex-tremistischen Szene zuzuordnen seien.

Im Vorfeld der Verbotsverfügung hatten die Sicherheitsbehörden das rechtsextreme Umfeld in Nordhessen immer wieder gescannt und gerastert. Ein Neonazi namens Stephan E. war ihnen nicht aufgefallen. Was heute als Indiz dafür gewertet werden darf, dass Stephan E. seit 2009 tatsächlich nicht mehr auffällig geworden war: Damals war er mit sechs anderen Neonazis aus Kassel nach Dortmund gereist, um sich an einem Angriff auf eine DGB-Demonstration zu beteiligen.

Doch das Verbotsverfahren offenbarte auch die Lücken im System. Bernd T. hatte den Verein gegründet, der 40-Jährige galt als gewaltbereit und als treibende Kraft in der rechtsextremen Szene. Dennoch war es ihm 2006 gelungen, kurzzeitig Geschäftsführer eines öffentlich geförderten Multikultivereins in Kassel zu werden. Ein weiteres Mitglied von „Sturm 18“, René S., war Mitarbeiter einer Sicherheitsfirma, wurde von ihr in einer Heidelberger Flüchtlingsunterkunft eingesetzt.

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„Sturm 18“ ist verboten. „Combat 18“ nicht. Bei Hermann Schaus von den Linken stößt das auf Unverständnis. „Combat 18“ gilt als bewaffneter Arm des vor 19 Jahren verbotenen Neonazi-Netzwerks „Blood and Honour“. Und der Verfassungsschutz geht davon aus, dass zumindest bei einem Teil der Mitglieder eine „Waffenaffinität und Gewaltbereitschaft besteht“. Diesem „bewaffneten Arm“ wird auch der jetzt verhaftete Stephan E. zugeordnet.

Der frühere Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Heinz Fromm, war davon ausgegangen, dass die Bombe des dem NSU zugeordneten Nagelbomen-Attentats in Köln der Anleitung des „Combat 18“ entsprochen hatte. Warum also kein Verbot? Schon gibt es Spekulationen, „Combat 18“ sei von den Sicherheitsbehörden installiert, um Militante anzulocken, deren internationale Vernetzung auszuspähen und deren Aktivitäten in gewünschte Bahnen zu lenken.

Von Christoph Cuntz