Affäre Schönbohm setzt Nancy Faeser unter Druck

aus Landtagswahl 2023 in Hessen

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Wahlkampftermin Anfang der Woche in Hessen: SPD-Spitzenkandidatin Nancy Faeser stellt in Frankfurt Inhalte und Optik der Kampagne vor.
© Tim Würz

Nach einer Böhmermann-Sendung hat die SPD-Ministerin einen Top-Beamten abgesetzt. Es hagelt Kritik – auch weil sie beim Wahlkampf statt im Ausschuss erschienen ist. Worum geht es?

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Berlin/Wiesbaden. Angefangen hat alles im Oktober 2022 mit einer „ZDF Magazin Royale“-Sendung des Satirikers Jan Böhmermann, der gelegentlich das Ziel verfolgt, investigativen (also „aufspürenden“) Journalismus zu betreiben. Und der dem Chef der obersten deutschen Cybersicherheitsbehörde im Zusammenhang mit dessen angeblichen russischen Kontakten schwere Vorwürfe machte. Inzwischen ist daraus ein handfestes Problem für Bundesinnenministerin Nancy Faeser geworden, die zugleich als hessische SPD-Spitzenkandidatin mitten im Landtagswahlkampf steht. Sie setzte den Top-Beamten ab, doch die Vorwürfe bestätigten sich später nicht. Sie selbst sieht sich nun dem Vorwurf ausgesetzt, möglicherweise den Verfassungsschutz instrumentalisiert zu haben.

Neuester Anlass für Kritik nicht nur aus den Reihen der Opposition: Am Dienstagmorgen war Faeser wegen eines Arzttermins nach ihrer Corona-Erkrankung nicht in Berlin bei einer Sondersitzung des Innenausschusses zum Thema; sie nahm aber am selben Vormittag als Spitzenkandidatin Wahlkampftermine in Wiesbaden wahr. Darunter ein Interview bei der Deutschen Presse-Agentur (dpa) – und auch ein Gespräch im Wiesbadener Pressehaus der VRM.

Was ist der Ausgangspunkt der Affäre?

Im Oktober 2022 stellte Faeser den Präsidenten des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), Arne Schönbohm, frei. Das Vertrauen der Ministerin in seine Amtsführung und Neutralität sei „nachhaltig beschädigt“, gerade in der aktuellen Krisenlage, hieß es zur Begründung, in der auch russische Cyberattacken drohen. Vorangegangen war eine Böhmermann-Sendung, in der der ZDF-Mann dem damaligen BSI-Chef eine zu große Nähe zu einem Verein mit angeblichen Kontakten zu russischen Geheimdiensten vorwarf. 

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Wie ging es mit dem BSI weiter?

Der Ex-BSI-Chef setzte sich juristisch gegen das Faeser-Verbot, seine Dienstgeschäfte auszuüben, zur Wehr. Inzwischen ist Schönbohm Präsident der Bundesakademie für öffentliche Verwaltung. Im Februar wurde bekannt, dass Claudia Plattner seine Nachfolge an der BSI-Spitze übernimmt, sie trat ihr Amt Anfang Juli an.

Wie lautet die Kritik an Faeser?

Im Mai wurde bekannt, dass gegen Schönbohm kein Disziplinarverfahren eröffnet wird. Laut dem Portal „Business Insider“ hatte das Innenministerium seinen Anwälten mitgeteilt, dass die Voruntersuchungen keine Anhaltspunkte für die Einleitung eines solchen Verfahrens gebracht hätten. Aus der Union wurde daraufhin Faeser vorgeworfen, auf die Böhmermann-Vorwürfe ohne deren Prüfung reagiert zu haben. Den Ruf Schönbohms und das BSI als Sicherheitsbehörde habe Faeser damit „grundlos beschädigt“. FDP-Vizechef Wolfgang Kubicki sagte, er halte eine öffentliche Entschuldigung Faesers bei Schönbohm für nötig.

Was fordert Schönbohm?

In der vergangenen Woche wurde öffentlich, dass Schönbohm vom ZDF eine finanzielle Entschädigung in Höhe von 100.000 Euro fordert, zugleich die Abgabe einer Unterlassungsverpflichtungserklärung. Unter anderem, sagte sein Anwalt, dürfe nicht mehr behauptet werden, dass der Ex-BSI-Chef bewusst in Kontakt mit Nachrichtendiensten in Russland oder anderen Ländern gestanden habe. Das ZDF wies die Forderungen zurück. 

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Zudem verlangt Schönbohm Schadenersatz vom Bund. Demnach hat er vor dem Verwaltungsgericht Köln Klage erhoben, er fordert 5000 Euro wegen einer Verletzung der beamtenrechtlichen Fürsorgepflicht. Gerügt wird laut Schönbohms Anwalt ein Fehlverhalten der Ministeriumsleitung einschließlich der Ministerin selbst. Schönbohm habe sich eine spätere Erhöhung der Forderung „ausdrücklich vorbehalten“.

Arne Schönbohm, Präsident des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), wurde von Bundesinnenministerin Faeser (SPD) abberufen.
Arne Schönbohm, Präsident des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), wurde von Bundesinnenministerin Faeser (SPD) abberufen.
© Rolf Vennenbernd/dpa

Was sind die neuen Vorwürfe gegen Faeser?

Gegenüber der „Bild“-Zeitung sprach Schönbohms Anwalt von „Mobbing“ durch das Ministerium „und besonders die Ministerin“. Das Fehlverhalten bestehe darin, dass die disziplinarrechtlichen Vorermittlungen gegen Schönbohm auch dann noch über mehrere Wochen fortgeführt worden seien, als bereits festgestanden habe, dass die Vorwürfe gegen ihn haltlos seien. 

Konkret geht es um einen Vermerk aus dem Ministerium von Anfang März aus dem Innenministerium, den „Bild“ öffentlich machte. Demnach sei die Ministerin bei einem Gespräch mit ihrem Zentral-Abteilungsleiter „sichtlich unzufrieden“ gewesen mit den „Dingen“, die zu Schönbohm „zugeliefert“ wurden; die Mitarbeiter sollten nochmals das Bundesamt für Verfassungsschutz abfragen und „alle Geheimunterlagen zusammentragen“. 

Aus Sicht der CDU/CSU-Bundestagsfraktion wiegt der „sich aus den Ministeriumsakten ergebende Vorwurf extrem schwer, die Bundesinnenministerin habe den Verfassungsschutz instrumentalisiert, um ihre Entscheidung im Nachhinein zu rechtfertigen“, wie Fraktionsvize Andrea Lindholz am Freitag sagte. Die Union beantragte eine Sondersitzung des Innenausschusses in Berlin für Dienstag, 5. September, 8.30 Uhr. Dazu müsse Faeser persönlich erscheinen.

Was ist der Zusammenhang zum Wahlkampf in Hessen?

Bei der Sitzung wurde Faeser von ihrer Staatssekretärin vertreten. Aus Teilnehmerkreisen und auch in Medienberichten wurden nach der (nicht-öffentlichen) Sitzung offensichtlich unterschiedliche Gründe genannt: „Corona-Erkrankung“, „medizinische Gründe“, „Arztbesuch“. Tatsächlich war es laut Ministerium ein Arzttermin wegen ihrer überstandenen Corona-Infektion (siehe auch nächste Frage). 

Für scharfe Kritik aus den Reihen von Union, AfD und Linke sorgt nun, dass Faeser am selben Vormittag um 11 Uhr ein Interview mit der dpa in Wiesbaden geführt hat. Öffentlich bekannt wurde der Termin durch einen Text und Fotos, welche die Nachrichtenagentur später am Nachmittag versendete.

Beißende Kritik daran gab es daraufhin am Mittwoch bei der Generaldebatte im Bundestag von Unionsfraktionschef Friedrich Merz: „Danke, dass Sie hier sind heute Morgen, Frau Faeser, nachdem Sie sich gestern krank gemeldet haben und in Wiesbaden dpa-Interviews gegeben haben.“ Linken-Chefin Janine Wissler sagte: „Dass Nancy Faeser sich (…) krank gemeldet hat, um keine kritischen Fragen beantworten zu müssen, aber gleichzeitig Wahlkampf in Hessen machte, wirft ein verheerendes Licht auf sie und erschüttert ihre Glaubwürdigkeit.“ FDP-Vize Kubicki hatte schon zuvor in einem Facebook-Post gefordert, dass Faeser den Gerüchten über eine „falsche Krankmeldung“ schnellstmöglich entgegentreten müsse. Am Donnerstagmorgen (7.30 Uhr) ist Faeser nun aber erstmal erneut geladen: Trotz Widerstands aus der Koalition hat der stellvertretende Ausschussvorsitzende Lars Castellucci (SPD) kurzfristig eine Sitzung des Gremiums anberaumt.

Unstrittig ist: In den vergangenen Tagen hat Faeser mehrere Wahlkampftermine in Hessen wahrgenommen. Zum Beispiel am Sonntag den offiziellen Wahlkampfauftakt in Bad Homburg, am Montagmittag die Vorstellung der Kampagne und ein Interview bei der „Frankfurter Rundschau“. Nach ihrem Termin am Dienstag bei der dpa war Faeser gegen 12 Uhr auch zu einem Gespräch in der Wiesbadener Redaktion der VRM, für ein Kandidatenporträt. Zu den Vorwürfen im Fall Schönbohm wollte sich Faeser dabei nicht äußern. Auch von diesem Termin wurde ein Foto veröffentlicht: In der (nicht-öffentlichen) Facebook-Gruppe der Wiesbadener Redaktion, in der auch viele VRM-Leserinnen und -Leser Mitglied sind. 

Welche Rolle spielt die Covid-Erkrankung Faesers?

Am 27. August hat Faeser selbst bei Twitter öffentlich gemacht, dass das Corona-Virus sie „ein zweites Mal erwischt“ hat. Dies bedeute eine „kurze Pause und Homeoffice“. Auch einen ersten Interviewtermin mit der VRM hat sie deshalb in den Tagen danach abgesagt. Am Dienstagmorgen hatte sie nun nach Auskunft des Innenministeriums gegenüber der VRM „einen wichtigen Arzttermin infolge ihrer überstandenen Corona-Infektion, der in ihrem Heimatort war“. Also Schwalbach am Taunus (Main-Taunus-Kreis). Weil sie aus diesem Grund nicht in Berlin sein konnte, sei sie im Bundestag entschuldigt gewesen, erklärte das Ministerium.

So äußerte sich FDP-Mann Wolfgang Kubicki auf Facebook zu der Angelegenheit: