Mit Statistiken kann man Menschen manipulieren. Im Interview spricht Ökonom Walter Krämer über Panikmache und Dieselverbote.
Von Klaus Köster
Zahlen können verwirren. Mit Statistiken kann man Menschen manipulieren.
(Foto: hurca.com - Adobe Stock;)
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Herr Krämer, in Eiern wurde Fipronil gefunden, im Bier Glyphosat, und derzeit streitet Deutschland heftig über das Stickoxid in der Luft. Werden wir von Chemie und Technik krank gemacht?
Alle paar Monate ist in Deutschland wieder von einem anderen Umweltskandal die Rede. In Summe entsteht dadurch bei den meisten Bürgern der Eindruck, dass das Essen immer giftiger und die Luft immer dreckiger wird. Doch kaum jemand macht sich einmal die Mühe, die Entwicklung als Ganzes zu betrachten. Dabei käme heraus, dass wir seit Jahrzehnten immer weniger Schadstoffen ausgesetzt sind. Das ist eine höchst erfreuliche Nachricht, die durch die ständigen aufgeregten Schlagzeilen völlig überdeckt wird. Es gehört zu den Aufgaben der Medien, nicht nur den Alarmmeldungen von Umweltverbänden hinterherzulaufen, sondern auch das Gesamtbild im Blick zu behalten.
Was macht Sie so sicher, dass die Lage immer besser wird?
Nehmen Sie doch nur die Debatte um den Diesel. Wer bekommt denn schon mit, dass die Konzentration von Stickoxiden seit Jahren sinkt? Auch andere langfristige Entwicklungen, die keine Schlagzeilen hergeben, gehen bei uns völlig unter.
Das Umweltbundesamt und die deutsche Umwelthilfe haben vor Monaten Zahlen präsentiert, wonach in Deutschland jedes Jahr Tausende von Menschen an Dieselabgasen sterben. Ist das kein Grund, Alarm zu schlagen?
Solche Horrorzahlen entstehen durch mathematische Modelle, die voller Annahmen stecken, deren Richtigkeit niemand überprüfen kann. Wer den Menschen Ergebnisse solcher Berechnungen als Tatsache verkauft, hat nichts als Panikmache im Sinn. Und das oft genug aus durchsichtigen Motiven.
Welche Motive?
Organisationen wie die sogenannte deutsche Umwelthilfe haben ein Geschäftsmodell daraus entwickelt, die Ängste der Menschen für ihre eigenen Zwecke zu instrumentalisieren. Mit ihrem Alarmismus treiben sie die Bürger und die Politik vor sich her und sorgen dafür, dass wir Milliarden für Dinge verschwenden, die wir an anderer Stelle sehr viel sinnvoller einsetzen könnten. Unsere Schulen brauchen dringend Geld, stattdessen pulvern wir Unsummen in die Bekämpfung aufgebauschter Minimalgefahren.
Immerhin gibt es beim Stickoxid aber Grenzwerte, die überschritten werden.
Wie beliebig solche Grenzwerte sind, beweist dieser Verein ja gerade selbst. Wenn die Grenzwerte eingehalten würden, wäre das für solche Organisationen eine Katastrophe. Wie sollen sie dann noch Schlagzeilen machen? Deshalb hat die Deutsche Umwelthilfe jetzt, da sich die Erreichung dieser Werte abzeichnet, deren Halbierung gefordert. So kann man natürlich dafür sorgen, dass diese Werte nie erreicht werden, bei denen es sich ohnehin um Fantasiezahlen handelt.
Geht es bei diesen Werten nicht um die Gesundheit?
Für die Festlegung solcher Zahlen muss man weder Chemie noch Medizin studiert haben, man muss nur laut genug damit drohen, Alarm zu schlagen. Viel zu viele Politiker lassen sich davon einschüchtern und tun Dinge, die sie selbst für falsch halten. Oder sie helfen sogar dabei, Probleme aufzublasen, als deren Lösung sie sich dann dem Wähler andienen. So kommt eine Manipulation zur nächsten, und dem Bürger schwirrt der Kopf.
Gibt es auch Gefahren, denen wir zu wenig Aufmerksamkeit schenken?
Fast 10 000 Menschen sterben jedes Jahr in Deutschland durch Unfälle im Haus. Sie fallen zum Beispiel von einer Leiter und brechen sich das Genick. Wegen der Alterung der Bevölkerung werden es sogar immer mehr. Warum schlägt da niemand Alarm? Selbst an Fischgräten sterben jedes Jahr Dutzende Menschen. Stattdessen haben wir einst Unsummen ausgegeben, um den angeblichen Rinderwahnsinn zu bekämpfen - oder jetzt den Diesel.
Warum lassen sich Menschen von manchen Gefahren in Panik versetzen, während sie andere Gefahren kaum beachten?
Vor Gefahren, die sie nicht verstehen, haben die Menschen viel mehr Angst als vor solchen, unter denen sie sich etwas vorstellen können. Deshalb fürchten sie sich mehr vor dem Krebs- als vor dem Herztod, an dem doppelt so viele Menschen sterben. Unter dem Herzen kann man sich etwas vorstellen, der Krebs dagegen befällt einen auf eine unheimliche Weise. Auch das Gefühl, keine Kontrolle ausüben zu können, spielt für das gefühlte Risiko eine große Rolle. Deswegen haben mehr Menschen Angst vor dem Fliegen als vor dem Autofahren, das pro Passagierkilometer ungleich gefährlicher ist.
Heute gibt es ja Zahlen, mit denen man große und kleine Risiken unterscheiden kann. Warum hören viele Menschen trotzdem eher auf ihr Gefühl als auf den Kopf?
Auch hier spielt die Evolution eine Rolle. Die Fähigkeit, instinktiv Gefahren zu erkennen und mit anderen Menschen zu kommunizieren, hat dem Menschen einen Überlebensvorteil gesichert und sich deshalb durchgesetzt. Rechnen zu können oder Statistiken zu begreifen, hat der Menschheit dagegen im allergrößten Teil ihrer Geschichte keinerlei Vorteil gebracht. Deswegen kann ein sechsjähriges Kind, ohne nachzudenken, komplizierte grammatikalische Regeln anwenden, die selbst einem Computer kaum beizubringen sind. Viele sind aber selbst als Erwachsene noch der irrigen Meinung, 40 Prozent seien das Gleiche wie jeder Vierte. Die Intuition steht dem Menschen sofort und mühelos zur Verfügung, die Nutzung des Verstandes erfordert dagegen Zeit und Mühe. Deshalb fürchtet sich der Mensch vor Risiken, die ihm unheimlich vorkommen, mögen sie auch noch so selten eintreten. Gleichzeitig ignoriert er Gefahren, die statistisch viel bedeutender sind, bei ihm aber keine Ängste auslösen. Wer fürchtet sich schon vor einer Haushaltsleiter?