Sieht man den Krieg aus dem All, Herr Maurer?

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Der Weltraum, unendliche Weiten – Astronaut Matthias Maurer hat sie gesehen. Im Interview verrät er, wie ein Aufenthalt im All den Blick auf die Erde verändert.

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. Herr Maurer, Sie waren ein halbes Jahr im All und haben noch nicht lange wieder Erdboden unter den Füßen. Was ist Ihr Lieblingsort auf der Erde? Mein Sofa (lacht). Ich war jetzt so lange unterwegs, bin so weit gereist, von daher ist es für mich jetzt erst einmal schön, zur Ruhe zu kommen, um all diese Erlebnisse zu verarbeiten. Man sagt grob, wenn man sechs Monate im All war, braucht man sechs Monate Zeit, um sich wieder komplett zu erholen. Und ich merke gerade, dass sich das ganze Adrenalin, was sich im Körper angesammelt hat, langsam wieder abbaut und ich meine innere Ruhe wiederfinde. Sei es mit Freunden oder der Familie – oder aber auch Momente, wo ich einfach nur die Stille in der freien Natur oder die Langsamkeit des Seins genießen kann.

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Matthias Maurer Foto: picture alliance/dpa/Rolf Vennenbernd

Sie haben bereits Interesse an der kommenden Mond-Mission „Artemis“ bekundet. Was fasziniert Sie so an unserem Erdtrabanten? Der Mond ist in dreierlei Hinsicht spannend. Er ist sozusagen das Geschichtsbuch unseres Planeten. Er ist ja, zumindest nach gängiger Theorie, ein Stück Erde und zu einem ähnlichen Zeitpunkt entstanden, hat sich aber ganz anders entwickelt. Der Mond ist an der Oberfläche eingefroren in diesem ursprünglichen Zustand. Wir können also sehr viel über die frühe Erdgeschichte auf dem Mond lernen.

"Das Leben kam mit Asteroiden zur Erde"

Jetzt bin ich gespannt auf die anderen Punkte. Die Erde war ein glühender Planet, auf dem Leben nicht möglich war. Dann ist er irgendwann erstarrt. Eine der gängigsten Theorien ist: Das Leben kam mit Asteroiden oder Kometen, also das Wasser kam aus dem Weltraum. Und in diesem Wasser gab es vermutlich auch organische Substanzen, aus denen dann irgendwann Leben entstand. Das Wasser ist aber nicht nur auf der Erde, sondern auch auf dem Mond eingeschlagen. Eine Hypothese ist, dass darin organische Substanzen und sozusagen die Ur-Materie auf dem Mond tiefgefroren liegt. Das wäre natürlich ein unglaublicher Schatz.

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Was ist die dritte Frage, auf die uns der Mond eine Antwort geben könnte? Das Dritte ist ein noch größeres Ziel, nämlich zu verstehen, wie das Weltall entstanden ist. Es gibt Radiowellen einer bestimmten Frequenz aus der Frühphase des Universums, welches entstand, bevor die aller­ersten Sterne anfingen zu leuchten. Diese Informationen können wir auf der Erde nicht empfangen, da sie von der Erdatmosphäre geschluckt werden. Um dieses wissenschaftlich höchst spannende Signal zu empfangen, benötigen wir ein Radioteleskop auf dem Mond. Jetzt gerade haben wir das James-Webb-Teleskop ins All geschickt. Das kann sehr weit in die Vergangenheit schauen, doch der Blick dieses Radioteleskops auf dem Mond würde noch weiter in die Vergangenheit reichen.

Gibt es einen Konkurrenzkampf bei der Esa um die wenigen Startplätze? Als Astronaut ist man in einem ständigen Miteinander und zarten Gegeneinander, denn es gibt nur einen Flug für einen Europäer pro Jahr zur ISS. Aber Astronauten werden nicht ausgewählt, um sie dann nicht fliegen zu lassen. Das Versprechen des Esa-Generaldirektors war, dass jeder die Chance auf zwei Flüge haben soll. Und da spielt natürlich auch immer eine Rolle, dass man ein guter Teamspieler ist. Es geht nicht darum, seine Kollegen aus dem Ring zu stoßen, dann würde man sich selbst disqualifizieren.

Auf Ihrem Weltraumspaziergang kam es zu Problemen... ...Ja, direkt nach dem Aussteigen. Einmal hat sich bei meinem Kollegen der Joystick des Rettungsrucksacks aus der Halterung gelöst. Das zu reparieren, ist schon eine anspruchsvolle Sache. Dann hat sich auch noch die Leine unter meinem Helmlicht verfangen und die Beleuchtung inklusive Kamera abgelöst. Das mussten wir alles wieder fest installieren. Draußen, im freien Weltraum. Wir haben knapp eine Stunde Zeit verloren. Aber danach waren wir so euphorisch, weil wir gesehen haben, dass wir selbst größere Probleme lösen können. Genau wie im Training. Das war so eine Bestärkung in die eigenen Fähigkeiten, dass überhaupt keine Zweifel mehr aufkamen. Das war zwar ein Fehlstart, aber trotzdem ein idealer Start, weil er unser Selbstvertrauen aufgebaut hat.

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Hatten Sie keine Angst? Angst ist immer ein schlechter Begleiter. Man braucht einen kühlen Kopf und muss überzeugt sein, dass man das, was man macht, beherrscht. Aber natürlich bin ich auch nur ein Mensch. Ein paar Minuten, bevor wir ausgestiegen sind, hatten wir einige Momente Pause zur Konzentration und Ruhe. Da schossen einem natürlich auch kurz mal ein paar Zweifel durchs Gehirn. Die waren dann aber sofort weggeblasen, als wir mit dem Ausstieg begannen.

Hier finden Sie unserenLive-Blog zum Krieg in der Ukraine.

Haben Sie sich vor dem Abflug Gedanken über den Tod gemacht? Ja, jede ernsthafte Vorbereitung auf einen Weltraumflug beinhaltet natürlich auch das Schreiben eines Testaments.

Man sagt, von weit oben wirken die Probleme der Menschen oft bedeutungslos. Ist es für einen Astronauten nicht genau umgekehrt, wenn man sieht, wie verletzlich die Erde ist? Ja. Die Probleme wirken einerseits unendlich klein, etwa die Probleme, die die Menschen untereinander haben. Aber andererseits, mit den Zusatzinformationen, die ich habe, kann ich von oben Dinge erkennen, die wir von der Erde aus nicht erkennen können. Und dann sind die Probleme doch wieder viel mehr bei uns, als ich mir das vorgestellt hätte.

Glauben Sie, dass die Menschen den Klimawandel eindämmen können? Ja, ich bin Optimist und denke, wir raufen uns zusammen und schaffen das. Auch wenn wir eigentlich schon die Abfahrt verpasst haben. Je länger wir warten, desto schlimmer wird es sein. Aber ich denke, dass wir in der Energiekrise intensiv lernen, effizienter mit Ressourcen umzugehen, dass wir das Gelernte beibehalten werden und uns verstärkt für neue Technologien öffnen, um nachhaltiger mit den Energie-Kreisläufen auf der Erde umzugehen. Das ist meine größte Hoffnung.

Nicht alle Russen verursachen diesen Krieg

Wie lief die Zusammenarbeit mit den russischen Kosmonauten? Meine russischen Kollegen sind meine Weltraum-Brüder. Wir sind sehr gute Freunde und wir alle sind gegen diesen schreck­lichen Krieg. Keiner von uns kann nachvollziehen, warum es zu dieser Situation gekommen ist. Und es ist ganz wichtig, dass man erkennt: Es sind nicht die Menschen in Russland, sondern es ist die politische Führung, die Verursacher dieses Krieges ist.

Konnten Sie den Krieg aus dem All sehen? Das haben wir nach dem 24. Februar ganz deutlich erkannt aus dem All. Ich sah über der Ukraine ganz kleine Lichtblitze auftauchen und dachte mir: Das ist kein Feuerwerk, da unten herrscht Krieg, da schlagen gerade Raketen ein.

Wie groß sind die Probleme auf der ISS mit Weltraumschrott? Kurz nach unserer Ankunft hat Russland einen alten Satelliten abgeschossen. Dadurch ist eine große Schrottwolke entstanden, welche schon nach wenigen Stunden auf Kollisionskurs mit der ISS war, und wir mussten uns für einige Stunden in unsere Kapseln in Sicherheit bringen. Wir mussten die Umlaufbahn der Station sogar zum ersten Mal in ihrer 22-jährigen Geschichte absenken und zwischen zwei Schrottwolken durchtauchen. Seit diesem Ereignis muss die ISS alle drei, vier Wochen diesen Schrottteilchen ausweichen. Aber dieses Anheben machen wir eh regelmäßig, weil die ISS alle paar Wochen ein bisschen absinkt.

Glauben Sie an Außerirdische? Nein, zumindest nicht im Sinne kleiner grüner Männchen. Aber wenn man sich überlegt, wie viele Milliarden Galaxien es gibt und wie viele Milliarden Sonnensysteme in jeder Galaxie sind, ist die Wahrscheinlichkeit, dass es ein ähnliches Sonnensystem wie unseres mit einer zweiten Erde gibt, deutlich größer, als einen Sechser im Lotto zu gewinnen. Die meisten von uns werden keinen Sechser im Lotto gewinnen, aber irgendjemand auf dieser Erde gewinnt so was trotzdem. Das heißt: Da draußen gibt es höchstwahrscheinlich Leben. Wie entwickelt dieses ist und ob es Leben ist, das genauso wie wir auf organischer Chemie aufbaut, weiß ich nicht.

Von Daniel Batel