Leben Tiere als Paar zusammen, verbessern sie die Chancen für den Nachwuchs. Doch Treue muss nicht sein.
. Bei einem Blaumeisen-Paar sind die Geschlechterrollen anscheinend klar verteilt: Während das Männchen mit seinem Schnabel eifrig Raupen aufpickt und zu seinem Nest in einer Baumhöhle oder einem Nistkasten trägt, kümmert sich dort das Weibchen um den gerade geschlüpften Nachwuchs und wärmt die Küken. Wenn den Kleinen einige Tage später wärmende Daunen-Federn gewachsen sind, ändert sich diese Rollenverteilung aber rasch. Nun schleppt auch das Weibchen Raupen für die hungrigen Schnäbel heran. Beide Situationen zeigen dem Verhaltensbiologen Bart Kempenaers vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Seewiesen, weshalb Blaumeisen ähnlich wie wir Menschen eine starke Neigung zu einem Leben als Paar haben: Ein Vogel allein schafft es einfach nicht, die nackten Küken gleichzeitig zu wärmen und Futter zu holen.
Ein Weibchen hält sich sieben Männchen
„Deshalb sind Paare in der Welt der Vögel die Regel, während andere Gesellschaftsmodelle seltener vorkommen“, sagt Bart Kempenaers. Dabei gibt es durchaus Alternativen, von denen der Galapagos-Bussard eine in Menschenaugen oft besonders faszinierende Rolle lebt: Auf diesen Vulkaninseln im Pazifik halten sich die Weibchen oft einen ganzen Harem mit bis zu sieben Männchen. Auch wenn sie sich mit jedem Mitglied darin paaren, legen sie nur ein bis drei Eier. Daher kann selbst bei einem Einzelkind jedes der Männchen annehmen, der leibliche Vater zu sein. Und prompt kümmern sich alle eifrig um den Nachwuchs. Aber auch konventionelle Vogelpaare können ihre Zweckgemeinschaft sehr unterschiedlich gestalten. So sitzen bei den Blaumeisen nur die Weibchen auf den Eiern und werden von ihren Männchen gefüttert. Bei den Staren dagegen wechseln sich die Geschlechter beim Brüten ab.
Während sich der Nachwuchs von Säugetieren im Leib der Mutter oft weit entwickelt und schon kurz nach der Geburt vor einem Räuber fliehen kann, ist es bei Vögeln anders. Nicht nur die Eier, sondern auch die frisch geschlüpften Küken sind sehr empfindlich wie auch sehr nahrhaft. Hauskatzen, Eichhörnchen und andere Tiere plündern daher gerne die Nester. In solchen Situationen aber steigen die Überlebenschancen von Eiern und Küken enorm, wenn das Gelege von einem Elternteil bewacht und verteidigt wird.
Da ein Vogel während der Brut kaum etwas zum Fressen suchen kann, steigen die Chancen auf eine langfristig erfolgreiche Fortpflanzung, wenn entweder wie bei den Blaumeisen der Partner einer Paarbeziehung den Brutvogel mit Futter versorgt oder wenn sich die Eltern wie die Stare bei diesem Geschäft ablösen. Schlüpfen dann die Küken, ändert sich oft erst einmal nicht viel, weil der Nachwuchs häufig ebenfalls recht wehrlos ist. „Eine Ausnahme bilden etwa die Strandläufer, die im hohen Norden brüten“, erklärt Bart Kempenaers. Deren Küken stehen als Nestflüchter ganz anders als der Blaumeisen-Nachwuchs rasch auf eigenen Beinen. Das scheinen die Mütter auch zu wissen, denn sie brechen gleich nach dem Schlüpfen zu ihrer Sommerfrische im wärmeren Süden auf.
Wenn es bei der Brut darauf ankommt, halten Paare, wie bei den Albatrossen, aber eisern zusammen. Und das meist bis zum Tod. „Hat ein solches Paar eine längere, gemeinsame Erfahrung, meistert es widrige Umstände viel besser als Frisch-Vermählte“, erklärt Kempenaers. Je länger die Eltern also zusammen sind, umso besser sind die Chancen für ihren Nachwuchs. Allerdings klappt das nicht immer. So ziehen Blaumeisen nach der Aufzucht der Jungen erst einmal ihrer eigenen Wege.
Ein Blaumeisen-Männchen erobert seine Angebetete, wenn er ihr neben einer Bruthöhle auch ein gutes Revier anbieten kann, das die wachsende Familie gut versorgt. Eine solche Top-Lage verteidigt der Möchtegern-Vater dann mit einem eindrucksvollen Solo-Gesang, der den Weibchen eine sehr klare Botschaft sendet: „Nur wer so topfit und gesund wie ich ist, kann ein so gutes Zuhause anbieten“. Sind diese guten Lagen besetzt, kann ein Spätankömmling seine Botschaft oft gar nicht mehr loswerden. Männchen haben in dieser Situation die Möglichkeit, auf einen Seitensprung eines in trauter Zweisamkeit lebenden Weibchens zu hoffen. Besonders gut sind ihre Chancen aber nicht. Zwar beobachten die Forscher gerade bei den Arten, die nur wenige Jahre leben und die oft nur ein, zwei oder dreimal brüten, Untreue gar nicht so selten. „Nur zeigen Vaterschaftsanalysen, dass sich die Weibchen in etwa drei von vier Fällen mit einem ihrer Nachbarn eingelassen haben, die ebenfalls brüten“, erklärt Bart Kempenaers.
Seitensprünge lohnen sich
Für Männchen rentieren sich solche Seitensprünge sehr: Nach einem recht kurzen Techtelmechtel kümmern sie sich nicht mehr um ihren Nachwuchs, den der Stiefvater unwissentlich mit aufzieht. Seit Bart Kempenaers bei einem Blaumeisen-Paar in drei Jahren im Nest entweder gar keine oder nur Küken von fremden Männchen fand, keimt in ihm ein Verdacht: „Wahrscheinlich ist das Männchen zwar topfit, aber unfruchtbar. Seitensprünge könnten bei Blaumeisen daher eine Art Versicherung gegen solche Fälle sein“, sagt der Max-Planck-Forscher.
Solche Policen gegen Unfruchtbarkeit werden bei Säugetieren viel seltener nachgefragt und Seitensprünge spielen im Vergleich mit der Vogelwelt eine viel geringere Rolle. Allerdings stehen Paarbeziehungen bei ihnen ohnehin deutlich niedriger im Kurs. Als Peter Kappeler vom Deutschen Primatenzentrum und der Universität Göttingen gemeinsam mit Luca Pozzi von der University of Texas in San Antonio in der Zeitschrift Science Advances die Gesellschaftssysteme von Affen unter die Lupe nahm, „outete“ sich immerhin jede fünfte Art als Anhänger der Paarbeziehung. Ein Drittel der in der Wissenschaft „Primaten“ genannten Affen-Arten bevorzugt dagegen das Single-Dasein – der große Rest lebt in Gruppen mit mehreren Mitgliedern.
Aus der Sicht der Männchen überrascht dieses Ergebnis doch sehr: Schließlich sind gerade bei den Säugetieren die Rollen von Natur aus sehr ungleich verteilt. Während der langen Zeit, in der ihr Nachwuchs gut geschützt im Mutterleib heranwächst und später oft noch viel länger gesäugt wird, tragen die Weibchen allein die Kosten der Vermehrung und müssen eine lange Auszeit in punkto Kinderwunsch in Kauf nehmen. Die Männchen könnten in dieser Zeit weiteren Nachwuchs zeugen und haben so ein erheblich höheres Fortpflanzungspotential. Warum verzichten also die Männchen in jeder fünften Primaten-Art auf diesen Vorteil und gehen eine dauerhafte Zweierbeziehung ein?
„Nach unserer Analyse spielt dabei offensichtlich das „Spacing“ eine entscheidende Rolle“, erklärt Peter Kappeler: Demnach brauchen Arten wie die Gabelstreifen-Makis eine relativ große Fläche, auf der die Weibchen ihren Nachwuchs groß ziehen. Nur dann finden sie genug Bäume, von deren Harzen sie sich ernähren. Um mehr als eine Partnerin für sich zu gewinnen, müssten die Männchen also sehr weit umherstreifen und könnten so ihr theoretisch hohes Fortpflanzungspotential bei Weitem nicht ausschöpfen. Um möglichst viele Nachkommen zu bekommen, ist es für Einzelgänger dann manchmal besser, eine Zweierbeziehung einzugehen. „Tatsächlich zeigen unsere Analysen, dass die allermeisten in Paarbeziehungen lebenden Primaten-Arten von solchen Einzelgängern abstammen“, erklärt Peter Kappeler.
Leben die Paare eng zusammen, können die Männchen nicht nur einfacher kontrollieren, ob sich ihre Partnerin vielleicht mit einem Rivalen einlässt. Gleichzeitig können sie sich auch leichter am Aufziehen ihres Nachwuchses beteiligen, von dem sie obendrein recht zuverlässig wissen, dass sie selbst der Vater sind. Taucht dann ein Rivale auf, versucht dieser oft erst einmal, die Kinder des Weibchens zu töten, weil es erst dann seine eigenen Kinder austragen kann. Leben die Tiere in Paaren, können die Männchen daher viel besser vor einem solchen Infantizid schützen.
Auch die meisten Menschen bevorzugen das Leben zu zweit. Jedoch schafft es ein Paar in der Himalaya-Provinz Ladakh normalerweise kaum, den kargen Äckern genug Nahrung für die Familie abzutrotzen. Noch vor einem halben Jahrhundert drehten die Frauen dort daher den Spieß häufig um: „Während eine Mutter sich zu Hause um die Kinder und den Haushalt kümmerte, bestellten ihre beiden Männer den Acker und hüteten das Vieh“, sagt Max-Planck-Forscher Kempenaers. Nur so schafften es die Menschen in den abgelegenen Hochtälern des Himalaya, ihre Familie zu ernähren.
Von Roland Knauer