Jung und jüdisch: Carolin Heymann (25) aus Wiesbaden

Carolin Heymann ist angehende   Theater-, Film- und Medienwissenschaftlerin. Foto: René Vigneron  Foto: René Vigneron

Ich bin in Wiesbaden aufgewachsen. Die jüdische Gemeinde dort ist vergleichsweise klein, so dass ich als Kind und Jugendliche einen großen nichtjüdischen Freundeskreis hatte....

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. Ich bin in Wiesbaden aufgewachsen. Die jüdische Gemeinde dort ist vergleichsweise klein, so dass ich als Kind und Jugendliche einen großen nichtjüdischen Freundeskreis hatte. In meiner Klasse war ich die Einzige jüdischen Glaubens, und wenn im Unterricht das Judentum zur Sprache kam, brachte ich häufig mich und meine Familiengeschichte ein. Mit meinem religiösen Hintergrund gehe ich bis heute offen um. In der Oberstufe gab es allerdings auch schon mal den einen oder anderen Moment, in dem mir die abstrakte und verallgemeinernde Verwendung des Begriffes ,Jude' zu viel wurde. Hinter diesem Begriff stehen Millionen Namen, Menschen: jeder und jede mit einem ganz eigenen Schicksal und ich bin mir bis heute nicht sicher, ob dies bei der Verwendung des nur abstrakten Wortes deutlich wird. In einem nicht-orthodoxen, allerdings traditionellen Elternhaus aufgewachsen, hatte ich während der Schulzeit in Wiesbaden nicht sonderlich viel Kontakt zu jüdischen Gleichaltrigen. Als Studentin in Frankfurt merkte ich allerdings, dass mir dies zunehmend fehlte und ich verstärkte meine Teilhabe an der jüdischen Gemeinschaft vor Ort.

Jüdischsein bestimmt meine Identität, ist ein wichtiger Teil davon. Der Anteil meiner jüdischen Freundschaften hat sich im Laufe der Jahre erhöht. Darüber bin ich froh, da ich den Eindruck habe, mich mit jüdischen Gleichaltrigen offener und direkter über gewisse „Andersseinserfahrungen“ austauschen zu können, die durchaus vorkommen und uns verbinden. So ist bei einem großen Teil der jüdischen Gleichaltrigen aufgrund der Shoah eine gänzlich andere Familiengeschichte vorhanden. In jüdischen Kreisen wird sich oft als Erstes über die Familienherkunft ausgetauscht. Mit meinem nichtjüdischen Freundeskreis rede ich zwar auch über meine Familiengeschichte, aber sie ist nun mal eine ganz andere als ihre und es wäre mir unangenehm, wenn dies zwischen unserer Freundschaft stehen würde. Ob ich antijüdische Ressentiments erlebe? Ich denke, die Tabubrüche nehmen zu. Was vor einigen Jahren noch unaussprechlich gewesen wäre, ist nun immer häufiger möglich. Angefangen von Sprüchen wie ¸Hey, Du Jude‘ bis hin zu Antisemitismus, der sich als Israel-Kritik tarnt. Was mich auch sehr beunruhigt, sind Sätze wie „Ach, das ist ja schon so lange her, irgendwann muss doch gut sein“. Einerseits verstehe ich, dass die dritte Generation auf der Täter-Seite sich nicht mehr mit der Shoah auseinandersetzen möchte. Nur: In meinem Stammbaum ist ein Loch. Und die Traumata auf der Opfer-Seite sind noch in der dritten Generation präsent. Das ist ein Ungleichgewicht, das mir Sorgen bereitet.“