Velos aus Bambus sind im Trend. Etwa 50 Stunden dauert es, bis man mit professioneller Hilfe aus vier Metern nachwachsendem Rohstoff selbst ein Rad gebaut hat
Von Rolf Kienle
Etwa 50 Stunden dauert es, bis aus vier Meter Bambusrohr ein Fahrrad wird.
(Foto: Rolf Kienle)
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Ein Fahrrad ist wie ein Maßanzug. Es muss zum Radler passen wie der Anzug zum Träger. Schrittlänge, Armlänge, Größe, Schulterbreite, einzelne Komponenten. Solche Sachen eben. Ja, und dann kommt es auf den Verwendungszweck an. „Willst du damit auf große Tour gehen oder nur durch die Stadt zum nächsten Straßencafé fahren?“, fragt Oswald Wieser, der Inspiration abverlangt, wo am Anfang wenig entsprechende Ressource ist.
Wir vier Kursteilnehmer in einer Werkstatt im Rhein-Neckar-Raum wollen eigentlich nur eins: Wir haben uns alle ziemlich konkret auf das Material für den Rahmen festgelegt: Bambus. Bambus ist extrem leicht, stabil, ein schnell nachwachsender Rohstoff und langlebig. Dass das Ding sehr schick daherkommt und zudem eine Botschaft aussendet, wollen wir gar nicht verheimlichen. Und komplett abbaubar ist es auch, aber das ist jetzt, am Beginn unseres Workshops, das Unwesentlichste. Es wird erst mal Maß genommen. Weil ein Fahrrad ja ein Maßanzug ist, wie wir gelernt haben.
Vier Meter Rohr, 50 Stunden Arbeit
Oswald, der mit einem Partner im baden-württembergischen Schwetzingen das Unternehmen „Smart Grass Bicycles“ gegründet hat und Bambusrad-Workshops anbietet, drückt uns ein paar Meter dicke und dünnere Stangen Bambus in die Hand, verbunden mit dem süffisanten Hinweis: „Fast ein Fahrrad.“ 50 Stunden und mehrere Workshoptage später ist es dann ein Fahrrad, aber bis dahin braucht es viel handwerkliche Arbeit und Geduld. Messen, Schleifen, Sägen, Bohren, Kleben, Streichen, Montieren. Vier Meter Bambus reichen übrigens für ein Rad.
Etwa 50 Stunden dauert es, bis aus vier Meter Bambusrohr ein Fahrrad wird. Foto: Rolf Kienle
Das Material ist leicht, aber von beeindruckender Härte: Das Sägen und Löcherbohren ist nicht vergnügungssteuerpflichtig. Fotos: Rolf Kienle
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Karl Drais, der fast an der gleichen Stelle, nur gut 200 Jahre zuvor, ein Rad aus Holz zusammenschraubte, hätte Augen gemacht. Bambus ist leichter, stabiler und elastischer als seine schlichte Holzkonstruktion, die vermutlich ein ordentlicher Knochenschüttler gewesen sein dürfte.
Am Anfang fühlt man sich hoffnungslos überfordert. Ich zähle mich eindeutig zur Gruppe der überzeugten Nicht-Bastler. Dennoch bin ich fasziniert von dem Gedanken, dass man sein Fahrrad selbst „zusammenzimmern“ kann. Nicht aus Stahl oder Carbon, sondern einem Material, das vor der Haustür wächst. Mein Bambus wuchs auf einer Plantage bei Freiburg. Es hat keine weiten Wege hinter sich und ist von ausgesuchter Schönheit.
HINTERGRUND
Phyllostachys oder Bambus ist ein Süßgras, das vor allem in China vorkommt. Es wächst bis zu 30 Zentimeter täglich.
Bambus wird als Baustoff eingesetzt und dient selbst bei Hochhäusern wegen seiner Stabilität als Baugerüst. Außerdem werden daraus Möbel und Gebrauchsgegenstände hergestellt. Hierzulande wird Bambus auch im Gartenbau verwendet.
Fahrräder aus Bambus wurden schon Ende des 19. Jahrhunderts etwa in Österreich und in den USA gebaut. In Deutschland vertreiben mehrere Hersteller Bambusräder.
Bambus ist ein schönes Material, hell, leicht, von angenehmer Haptik, vielseitig einsetzbar. Aber versuche mal, flugs ein Loch in eine Bambusstange zu bohren – du wirst kläglich scheitern. Oder den Holzbohrer ruinieren, weil dieses Gras von einer beeindruckenden Härte ist. Löcher müssen aber rein. Die Bremszüge und die Schaltung verlaufen innerhalb des Bambusrohres. Also müssen sie irgendwo hinein und wieder raus. Kurzum: Da läuft der Metallbohrer heiß. Das Sägen eines dicken Bambusrohres ist ein ähnlich zweifelhaftes Vergnügen, das viel Demut abverlangt.
Die Auswahl des Bambus’ steht nach der Frage, welches Einsatzgebiet das Rad bedienen soll, Mountainbike, Trekking- oder Rennrad, naturgemäß an erster Stelle. Der indonesische „Tiger“ ist fleckig und dunkel und schindet mächtig Eindruck. Er verspricht ein optimales Verhältnis zwischen Stabilität und Gewicht. „Das Stabilste, was du kriegen kannst. Darauf schwört die Welt.“ Sagt Coach Oswald Wieser. Er ist rund um die Erde gereist, immer dem Bambus und den Bambusrad-Produzenten auf der Spur. In Vietnam gibt es gleich mehrere Hersteller, selbst im westafrikanischen Ghana schrauben sie Bambusrahmen zusammen. Im Prinzip kommt die Pflanze auf allen Kontinenten außer der Antarktis und in Europa vor. Hier wird sie in Plantagen angebaut.
Nach dem Maßnehmen bringen die Teilnehmer ihre Sattelrohre, Vorder- und Oberrohre auf die entsprechende Länge und übertragen die Koordinaten eins zu eins auf Papier. Und bauen das Ganze in eine Rahmenlehre ein. Ein Akt, der etwas Feinmotorik verlangt, ist das Verbinden der Einzelteile zum finalen Rahmen. Dafür werden mehrere Lagen Flachsgewebe und Epoxidharz verwendet. Und siehe da: Wir kommen dem Fahrrad ein Stück näher.
Am Schluss kommen Sattel, Lenker und Schaltung
Mitbastler Gerd baut ein Laufrad, mit dem er von Anchorage in Alaska bis nach Feuerland, Patagonien, laufen will. Er braucht sich über eine Gangschaltung, Bremsen und Pedale keine Gedanken zu machen. Ihn treibt allenfalls die Frage um, welche Art Schuhsohle die beste ist. Wir anderen entscheiden uns zwischen Zwei-Gang-Nabe und Acht-Gang-Schaltung. Die Komponenten wie Sattel, Lenker, Räder und Reifen sind die nächste Herausforderung, die einen Gang ins nächste Fahrradgeschäft oder die Recherche im Internet nötig machen. Gottlob tummeln sich im Internet schier zahllose Anbieter solcher Komponenten, was den Schluss zulässt, dass sich unendlich viele Bastler ihr Rad selbst zusammenstellen, wenn auch nicht aus Bambus.
Wir nähern uns der Jungfernfahrt. Wie fährt sich mein traumhaft schöner Eigenbau, mein Unikat? Es ist ein gutes Gefühl. So viel vorweg. Auf eines muss man sich allerdings einstellen: Das Bambusrad steht keine zehn Minuten vor dem Straßencafé, da finden sich die ersten Neugierigen ein. Und man wartet nicht lange auf die erste Frage, wo man das Rad denn kaufen könne. Ja, das ist eine längere Geschichte.