Wie kein anderes Säugetier ist der Mensch in der Lage, sich an Temperaturen anzupassen. Was Hitze und Kälte mit dem Körper machen und wie man sich wappnen kann.
RHEIN-MAIN. Im Schatten ist es noch kühl an diesem Sommermorgen. Ein leichter Wind bläst durch den Park. Fahrräder rauschen an Spaziergängern vorbei. Vögel zwitschern. Eine Frau sitzt auf einer Bank in der Sonne, die Jacke abgelegt, das Gesicht gen Himmel gereckt. Wärme durchflutet ihren Körper und löst Glücksgefühle aus. Doch die Sonne hat mehr Kraft als gedacht, nach ein paar Minuten brennt die Haut im Gesicht und auf den Unterarmen. Am Morgen hat sie keine Sonnenmilch aufgetragen, den Sonnenhut hat sie auch nicht dabei. Sie weiß, sie sollte in den Schatten gehen. Andererseits: Was hat man vom Sommer, wenn man die Sonne nicht wenigstens kurz genießen kann?
„Die gute Nachricht ist, dass der Mensch, verglichen mit anderen Säugetieren, relativ gut an Hitze angepasst ist“, sagt Professor Peter Walschburger, Biopsychologe an der Freien Universität Berlin. Säugetiere mit geschlossenem Fell litten viel stärker unter Hitze als der Mensch, der evolutionsgeschichtlich fast die ganze Körperbehaarung verloren habe.
Bei Hitze braucht der Körper mehr Energie als sonst
Es sei aber wichtig, sich nicht nur in temperierten Räumen aufzuhalten. „Das ist eine sehr künstliche Form des Lebens, die unsere Anpassungsfähigkeit an Hitze und Kälte verringert.“ Der Mensch habe einen großen Indifferenztemperaturbereich, das heißt, eine Bandbreite zwischen etwa 20 und 30 Grad Celsius, innerhalb derer er sich im Allgemeinen wohlfühle. Bei angemessener Kleidung muss der Körper in diesem Spektrum nicht thermoregulatorisch tätig werden. Bei Hitze hingegen werde körperliche Arbeit – und weniger präzise messbar: geistige Arbeit – schwieriger, auch weil die Thermoregulation selbst Energie verbraucht. Aber wer sich schwankenden Temperaturen öfter und stärker aussetze, habe einen viel größeren Bereich, in dem der Körper Temperaturschwankungen einfach wegstecke, sagt Walschburger.
Individuelle Unterschiede
Die durchschnittliche menschliche Wohlfühltemperatur liegt mit leichter Kleidung und bei mäßiger Aktivität zwischen 21 und 25 Grad, nackt bei 28 Grad – Voraussetzungen sind wenig Wind und niedrige Luftfeuchtigkeit. Aber auch wenn alle Menschen gemeinsame Grundbausteine haben, beim Temperaturempfinden gibt es erhebliche individuelle Unterschiede, die sowohl genetisch als auch durch Gewöhnung entstehen. Bewohner kalter Regionen können selbst viel mehr Wärme erzeugen, weil sich ihr Grundstoffwechsel über Generationen hinweg den äußeren Bedingungen angepasst hat und die Hautgefäße anders auf Kältereize trainiert sind.
Und: Frauen frieren oft schneller als Männer. Angela Schuh ist Professorin für medizinische Klimatologie an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Ihr zufolge produzieren Frauen weniger innere Wärme, weil sie einen angeregteren Stoffwechsel haben und generell kleinere Mengen und weniger fettreich essen als Männer. Außerdem haben Frauenkörper weniger Muskelmasse und geben über ihre im Verhältnis größere Hautoberfläche mehr Wärme ab. Als wäre das noch nicht genug, ist die Haut von Frauen dünner. Ihre Thermorezeptoren sitzen also dichter an der Oberfläche und schlagen bei Kältereizen schneller an.
Bei großer, lange anhaltender Hitze, insbesondere wenn die Temperaturen auch nachts nicht unter 20 Grad fallen und es feucht ist, schlafen viele Menschen unruhig. „Tagsüber leidet dadurch die Konzentrationsfähigkeit und müde Menschen neigen zu Reizbarkeit, Aggressionen und Depressionen“, erklärt der Psychologe Peter Walschburger. Beispielsweise würden dann auch unter Autofahrern und an sozialen Brennpunkten Konflikte ungehemmter ausgelebt.
Doch was genau passiert bei Hitze im Körper? Die Organe funktionieren bei 37 Grad am besten, daher setzt der Körper alles daran, die Körperkerntemperatur zwischen 36 und 38 Grad zu halten. Die Hautoberfläche ist in der Regel deutlich kühler. Im Bereich der Indifferenztemperatur (Wohlfühltemperatur) kann der Körper die Kerntemperatur allein durch die Durchblutung der Haut auf 37 Grad halten. Bei andauernder Hitze muss das Herz rund um die Uhr auf erhöhtem Niveau arbeiten. Vor allem für Menschen mit einer Herz-Kreislauf-Erkrankung kann das lebensgefährlich werden. Wenn die Außentemperatur über der Körpertemperatur, also über 37 Grad, liegt und die relative Luftfeuchtigkeit über 75 Prozent ist, kann keine Wärme abgegeben werden. Es droht ein Hitzestau im Körper, im schlimmsten Fall ein Hitzschlag, bei dem die Körperkerntemperatur auf über 40 Grad ansteigt und das Gehirn gefährlich anschwillt.
Doch die Anpassungsfähigkeit des Körpers lässt sich trainieren. „So ist es mit allen Körperfunktionen“, sagt Peter Walschburger. „Wenn Sie trainierter sind, ist die körperliche Minderleistung unter Hitze nicht mehr so ausgeprägt.“ Bei Hitze sollte man vor allem viel trinken, damit der Körper ausreichend Schweiß produzieren kann. Ein Erwachsener, der trainiert und hitzeadaptiert ist, kann bis zu vier Liter Schweiß produzieren, normal sind zwei Liter. „Nach etwa zwei Wochen gewöhnt sich der Körper an die Hitze, man schwitzt schneller und mehr“, sagt Hanns-Christian Gunga, Mediziner unter anderem für extreme Umwelten an der Berliner Charité. Außerdem verliere man weniger Elektrolyte und schwitze weniger am Körperstamm, dafür mehr an Armen und Beinen. Dadurch könne der Schweiß schneller verdunsten und die Kühlung werde effektiver. „Außerdem erhöht sich das Volumen des Blutplasmas. Das Herz muss somit etwas weniger schlagen und wird entlastet.“ Andererseits seien Temperaturen von über 35 Grad auch für gesunde und körperlich fitte Menschen kritisch. „Sie sind ständig damit beschäftigt, den Wasserverlust auszugleichen“, sagt Gunga.
Blut-Umverteilung auf Kosten der inneren Organe
In der Mittagshitze herrscht im Park fast gespenstische Ruhe. Die Tiere haben sich verkrochen und die Menschen sitzen ermattet im Schatten. Wenn der Körper die Durchblutung der Haut steigert, um das erwärmte Blut aus dem Körperinneren vermehrt an die Oberfläche zu leiten, können die Skelettmuskeln weniger durchblutet werden, dafür schwellen Hände und Füße an. Normalerweise fließen nur maximal zehn Prozent des Blutes durch die Haut, bei Hitze bis zu 80 Prozent. Diese Umverteilung geht auf Kosten der inneren Organe, so bekommt etwa der Magen-Darm-Trakt nur noch so viel Blut, wie gerade nötig ist. Wenn man bei Hitze große Portionen und schwer Verdauliches isst, fehlt das Blut an der Hautoberfläche zur Kühlung.
Aber welchen Einfluss haben sommerliche Temperaturen auf unser Immunsystem? Bei Wärme belüften wir Innenräume besser, unsere Schleimhäute sind besser durchblutet als bei Kälte und Heizungsluft und unser Immunsystem ist generell widerstandsfähiger. Zudem werden einige Virus-Arten bei Wärme schwächer und somit auch die Krankheitsverläufe.
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Für unser Wohlbefinden jedenfalls ist die gefühlte Temperatur entscheidend, die übrigens nicht nur von Sonneneinstrahlung, Feuchtigkeit und Windstärke abhängt, sondern auch von den Erwartungen, die wir etwa an die Jahreszeit haben. „Wenn wir im Sommer eine Kälteperiode von maximal 10 Grad hätten, würde das sehr unnatürlich auf uns wirken und die meisten von uns würden mehr frieren und psychisch mehr darunter leiden als im März“, sagt Peter Walschburger. Andererseits musste sich der Mensch schon immer den klimatischen Verhältnissen anpassen. Im Jahr 2050 soll es Klimaforschern zufolge in Wien so warm sein wie im nordmazedonischen Skopje. Am besten, man fängt heute schon an, den Körper an die Wärmeperioden anzupassen.