Digitales Bezahlen: Die Schweden schaffen Bargeld ab

Keine Münze und keine Scheine im Geldbeutel: in Schweden Alltag. Foto: jesadaphorn – stock.adobe
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Selbst auf dem Flohmarkt zahlen die Schweden per App. Einblick in eine Welt ohne Cash.

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MAINZ. Vorbei die Zeiten, als jede TV-Dokumentation über Geld mit den Geräuschen des klimpernden Kleingelds aus Pink Floyds „Money“ versinnbildlicht wurde. Vorbei bald die Zeit, als dickhosige Rapper „Fuffies“ in den Club warfen. Schreitet die Digitalisierung in ähnlichem Tempo voran wie bisher, wird der Wohlstand künftig weder rascheln noch klimpern: Bargeld wird vielerorts zum Auslaufmodell erklärt. In Schweden beispielsweise piept es ständig: Barcodes, QR-Codes, Kartenlesegeräte, Apps – meistens wechselt dabei Geld den Besitzer.

Als erstes Land in Europa versucht Schweden seit einigen Jahren, aktiv das Bargeld abzuschaffen. In einem Großteil der Geschäfte der schwedischen Hauptstadt Stockholm ist es längst kein Zahlungsmittel mehr. Man könnte dort stundenlang mit einem Geldschein winken, würde aber trotzdem nichts zu essen bekommen. Nicht mal Kaugummis am Kiosk. Mal bereits am Eingang, mal an der Kasse weisen Schilder darauf hin, dass lediglich Karten akzeptiert werden: „No Cash, Just Cards“.

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Laut Experten werden 80 Prozent des Geldflusses in Schweden derzeit schon unbar gehandhabt. Tendenz steigend – auch, weil kaum noch Möglichkeiten erhalten oder gepflegt werden, „altmodisch“ mit Scheinen und Münzgeld zu bezahlen. Denn Bargeld bereitet in Schweden Umstände, selbst wenn man es besitzt: Wer es zur Bank bringen möchte, muss teils weite Strecken und stattliche Gebühren in Kauf nehmen, und wer es ausgeben möchte, findet nur schwer Abnehmer. Das ist die Dramaturgie eines fast perfekten Kreislaufes.

„Hä? Und jetzt?“, fragt ein Tourist noch ohne gültigen Fahrausweis, aber durchaus willens, einen zu erstehen – wäre doch nur der Ticketautomat nicht defekt. Bezahlt wird im Stockholmer Nahverkehr üblicherweise mit einer Art Scheckkarte, auf der Monats-, Wochen- oder Tagestickets abgespeichert sind. Für gelegentliche Einzelfahrten nutzt man die App des Nahverkehrsanbieters SL (Storstockholms Lokaltrafik) oder die fast antiquiert anmutenden Kartenautomaten an einigen Haltestellen, doch selbst denen ist Bargeld zu altmodisch.

Schwarzfahren wiederum ist ein Ding der Unmöglichkeit. In Bahnen, Bussen und auf der Fähre wird entweder bereits am Einlass kontrolliert oder der Schaffner, der ständig im Wagen mitfährt, kommt, sobald die Fahrt beginnt. „Äh, und was jetzt?“, fragt der Tourist noch mal. Der Schaffner in der Tram berät den Mann in aller Seelenruhe beim Herunterladen der App auf das Smartphone, hilft bei der Hinterlegung seiner Kreditkarte in der App und beim Ticketkauf. „Hier: einmal klicken und fertig. Gute Fahrt!“, sagt er. Keinerlei Hektik, keinerlei Murren oder Knurren. Münzen und Scheine taugen hier nicht mal mehr zum Plan C.

Björn Ulvaeus, einst Mitglied der schwedischen Popgiganten Abba, hält auch wenig von Alternativen und „wagte“ bereits 2014 den Selbstversuch: Der mittlerweile 73-Jährige wollte ein Jahr lang ohne Bargeld auskommen. Lediglich im Supermarkt sei Ulvaeus an seine Grenzen gestoßen – denn auch in Schweden werden Einkaufswagen angekettet und lediglich gegen Münzeinwurf freigegeben. Dafür gibt’s mittlerweile wahnsinnig viele Plastikmünzen.

Ulvaeus, Texter des Abba-Klassikers „Money, Money, Money“, ist einer der lauten Befürworter des unbaren Bezahlverkehrs. Ein Umstand, der sich auch in seinem großen Projekt, dem Abba-Museum im Stockholmer Stadtteil Djurgården, niederschlug. Vor knapp fünf Jahren eröffnete das Museum, und die bislang nach offiziellen Angaben fast zwei Millionen Besucher bezahlten dort ausschließlich ohne Scheine und Münzen. Das Museum, der Fan-Shop, das angeschlossene Pop-Hotel und sowohl die Bar als auch das Restaurant sind komplett bargeldfrei gehalten. Am Tresen ein Schild: „Diese Bar akzeptiert Dich für alles, was Du sein magst. Aber sie akzeptiert kein Bargeld. Nur Karten.“

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Erst nach mehrmaligem Nachfragen erklärt die junge Frau vom Service, man könne mit Bargeld notfalls eine Geschenkkarte mit Guthaben erstehen, die im Haus als Zahlungsmittel akzeptiert werde. Wahrscheinlich auch deshalb, weil ein Teil der Abba-Fans das Alter erreicht hat, in dem man sich nicht mehr mit Apps und Kreditkarten herumplagen möchte. Wer Trinkgeld entrichten möchte, erhöht derweil den Betrag bei der Kreditkartenzahlung. Einer der Geschäftspartner des Abba-Museums ist das Kreditkartenunternehmen Mastercard.

Innerhalb von Sekunden ist der Betrag übermittelt

Auch das private Segment des Bezahlverkehrs ist in Schweden bestens abgedeckt, schließlich tragen Privatpersonen selten Kartenlesegeräte in der Jackentasche. Swish heißt die App, die maßgeblich von den schwedischen Großbanken mit- entwickelt wurde: Mittels der Mobilfunknummer und des Kontos des Nutzers lassen sich in Sekundenschnelle Beträge zwischen Privatpersonen hin- und hertransferieren: Flohmarktkäufe, Gefälligkeiten, das Geburtstagsgeschenk von Oma oder Taschengeld für die Kinder. Die Altersspanne der Zielgruppe für Dienstleistungen, Smartphones oder Kreditkarten erweitert sich damit. Die Kalkulation: kein Bargeld, mehr Kunden.

Dieser durchdigitalisierte Lebensstil ist, einmal eingerichtet, durchweg praktisch und unanständig bequem. Wer sich trotz der horrenden Alkoholpreise dafür entscheidet, sich zu betrinken, kann darauf bauen, dass sich der Abend später dank Kreditkarten-Abrechnungen und Co lückenlos rekonstruieren lässt.

Irgendwo in der Ferne hört man gerade einen Datenschützer seufzen. „Hast du was zu verbergen?“, fragt die Barfrau im Abba-Museum. „Wer dich überwachen will, kann doch längst dein Handy anzapfen.“ Sie zuckt mit den Schultern. Doch Freiheit ist eben auch die Möglichkeit, überhaupt etwas verbergen zu können.

Wer den Schweden nun mangelnde Weitsicht und zu viel Freude an progressiven Ideen und digitalem Spieltrieb unterstellen möchte, sei gewarnt: Es waren auch die Schweden, die einst in Europa das Papiergeld erfolgreich eingeführt haben. Das war ungefähr 1661, als die Stockholms Banco die ersten gedruckten Banknoten in Umlauf brachte.

Auch diesem Umstand lagen damals praktische Ideen zugrunde: Münzen sind schwer. Das hat sich bis heute kaum geändert: lieber einen 50-Euro-Schein in der Tasche als 50 einzelne Euromünzen oder - um Himmels willen: das Ganze in 50-Cent-Münzen. Der Zeitgeist jetzt: lieber ein Smartphone und eine Kreditkarte mit sich führen als zusätzlich noch ein Portemonnaie, das die Hosentasche am Hintern oder die Handtasche ausbeulen würde.

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Von Michael Setzer