Der Wolf: Gefürchtet, verehrt, geschützt - kaum ein Tier weckt so widersprüchliche Gefühle
Menschenkiller? Nein: Supertier! Das Bild vom Wolf ist widersprüchlich. Für die Römer war der Wolf ein Symbol des Kriegsgottes Mars. Eine fürsorgliche Wölfin säugte der Sage nach die Zwillinge Romulus und Remus, die Gründer Roms. Auch in Deutschland ist er wieder anzutreffen - nicht jeder freut sich darüber.
Von Petra Neumann-Prystaj
Killerblick. Foto: Serge B - adobe.stock
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REGION - In seinem aktuellen Roman „Tyll“ beschreibt Daniel Kehlmann das Vordringen hungriger Wölfe in menschliche Behausungen während des Dreißigjährigen Krieges. „Wie lebendig gewordene Albträume seien sie über die Dörfer gekommen, wie Schreckgestalten aus alten Märchen. Mit hungrigen Augen seien sie in Stuben und Ställen erschienen, ohne die geringste Angst vor Messern oder Mistgabeln...eines der Tiere habe eine Frau mit einem Säugling angefallen und ihr das Kind aus der Hand gerissen…“
Menschenkiller? Nein: Supertier! Das Bild vom Wolf ist widersprüchlich. Für die Römer war der Wolf ein Symbol des Kriegsgottes Mars. Eine fürsorgliche Wölfin säugte der Sage nach die Zwillinge Romulus und Remus, die Gründer Roms. Indianer verehrten den Wolf als Krafttier, doch im Mittelalter glaubte man, das Tier sei diebisch, betrügerisch, verschlagen und vom Teufel besessen. Im Film „Der mit dem Wolf tanzt“ von 1990 freundet sich der Protagonist mit dem herumstreunenden Wolf „Socke“ an. Der Film suggeriert, dass ein konfliktfreies Zusammenleben von Mensch und Wolf möglich ist.
Weil die grauen Beutejäger mit den hellen Augen Jagdkonkurrenten der Menschen waren, wurden sie jahrhundertelang verfolgt, getötet und schließlich in Deutschland – wenn auch nicht in ganz Europa – ausgerottet. Rund 150 Jahre lang streifte kein Wolf mehr durch Hessen, doch das schlechte Image des Tieres wurde durch Märchen wie „Rotkäppchen“ oder „Der Wolf mit den sieben Geißlein“ von Generation zu Generation weitergegeben.
SICHTUNGEN MELDEN
Wolfsbeobachtungen können dem hessischen Umweltministerium über die Hotline 0611-8153999 oder per E-Mail an wolf@umwelt.hessen.de gemeldet werden. Die Telefonnummer in Rheinland-Pfalz lautet: 06306-911199.
Seit 2011 neun nachgewiesene Exemplare in Hessen
Inzwischen wandern die Wölfe langsam aus dem Osten wieder ein. Vor 18 Jahren tauchte in Sachsen die erste Wolfsfamilie seit 150 Jahren auf – ein Erfolg des Artenschutzes. 2011 hatte sich ein Wolfspaar in Niedersachsen niedergelassen, und am 3. September 2017 wurde in Wald-Michelbach im Odenwald erstmals seit 1866 ein Wolf gesichtet.
„Ein schöner Kerl“, sagt NABU-Gebietsbetreuer Hans Oppermann. Oppermann gelang es, im Abstand von etwa 20 Metern zehn Fotoaufnahmen von dem Tier zu machen. Fachleute bestätigten, dass es sich wirklich um einen Canis Lupus und nicht etwa um einen Schäferhund handelte. Ein Wolf ist hochbeiniger, hat eine fast waagrechte Rückenlinie und eine eher quadratische Körperform. Es war der neunte Nachweis eines Wolfs in Hessen seit 2011.
Am 10. November 2017 ließ sich der durchreisende Rüde in Mossautal blicken, am 16. November in Kailbach-Hesseneck (beides Odenwaldkreis), und schließlich wanderte er in Richtung Schwarzwald weiter. Während der NABU-Gebietsbetreuer die Ansicht vertritt, dass man solchen Tieren Platz und Raum lassen sollte, war die Ablehnung bei den Nutztierhaltern groß, zumal der Einzelgänger mehrere Schafe und eine Ziege gerissen hatte. Dass es sich um ein und denselben vierbeinigen Täter handelte, ließ sich aufgrund von Speichelresten auf den Schafskadavern belegen. Auf solche Erbgutanalysen ist das Referenzlabor für Wolfsgenetik in Gelnhausen (Main-Kinzig-Kreis) spezialisiert.
Viele Bundesländer haben inzwischen einen „Wolfsmanagementplan“ aufgestellt, darunter auch Rheinland-Pfalz und Hessen. Die hessische Umweltministerin Priska Hinz bezeichnet Hessen als „Wolfserwartungsland“ und behauptet, dass der Wolf hier willkommen sei. Rund drei Viertel der Bevölkerung fänden es gut, dass es wieder Wölfe in Deutschland gebe. Umfrageergebnisse in der Schweiz und in Niedersachsen ergeben ein weniger euphorisches Bild: Die Rückkehr des Wolfes wird eher von Städtern als von der Landbevölkerung und eher von jungen als von alten Menschen akzeptiert. Bei Viehhaltern, Bauern und Jägern ist die Ablehnung jedoch weitaus höher als die Zustimmung. Größter Konfliktherd dürften Übergriffe auf Nutztiere sein, die sich meist dort ereignen, wo Wölfe ein neues Jagdrevier erobern.
Zwei Kilo Fleisch pro Tag
Sechzig Rudel, bestehend aus Elterntieren und Jungwölfen, sind deutschlandweit bestätigt, dazu 70 Paare. Die Jungtiere wandern nach zwei oder drei Jahren ab, um im Umkreis von 50 bis 100 Kilometer ein eigenes Jagdrevier zu eröffnen, Geschlechtspartner zu finden und sich zu vermehren. Ein Wolf kann täglich etwa 70 Kilometer zurücklegen und scheut Distanzen von 500 bis 1000 Kilometer nicht, um sich ein Territorium zu erschließen. Er ist anpassungsfähig, braucht lediglich Rückzugsgebiete und Beutetiere, etwa zwei Kilo Fleisch pro Tag.
In Hessen leben zurzeit nach Kenntnisstand der Wolfsbeauftragten Jokisch keine Wölfe – wobei sie nicht ausschließen kann, dass „drei bis vier gerade irgendwo vorbeilaufen, von denen wir nie etwas erfahren werden.“ Die Verbreitung des Wolfes werde nicht gefördert, sondern „hingenommen“. Denn seit 1990 hat der Wolf den höchsten rechtlichen Schutzstatus, und es ist verboten, ihn zu fangen, zu verletzen oder gar zu töten. Das soll sich nach Plänen der neuen Großen Koalition ändern.
Auf dem Speiseplan: Wild
Bei Kotanalysen wurde festgestellt, dass sich das Raubtier hauptsächlich von Niederwild und Rehwild ernährt, meist kranken, alten oder jungen Tieren, und nur zu einem Prozent von Schafen und Ziegen. „Es werden deutlich mehr Rehe überfahren als vom Wolf gefressen“, betont Susanne Jokisch. Wenn eine Herde nicht vollständig eingezäunt ist, werden Schafe und Ziegen für den Wolf zur leichten Beute – an Pferde und Kühe traut er sich nicht heran. Den Schafhaltern im „Wolfserwartungsland“ wird präventiver Herdenschutz empfohlen: ein übersprungsicherer Elektrozaun aus „Euronetzen“, der bis zum Boden reicht und den Wolf durch kurze Stromstöße auf die empfindliche Nase abschreckt, und zusätzlich Herdenschutzhunde – große kräftige Arbeitshunde. Wenn der Nachweis erbracht ist, dass es wirklich ein Wolf war, der ein Nutztier gerissen hat, können Landwirte einen Schadensausgleich beantragen.
Experten versichern, dass Wölfe nicht gefährlicher als Wildschweine sind. Eigentlich gingen sie Menschen aus dem Weg – es sei denn, sie werden von ihnen an Futter gewöhnt. Seit der Rückkehr der Wölfe hat es keine Meldungen über Übergriffe auf Menschen gegeben.
Tier „MT6“ fiel Hunde an der Leine an
Doch warum musste im April 2016 der Problemwolf „Kurti“ in Niedersachsen erschossen werden? Wolfsexpertin Jokisch nennt ihn wissenschaftlich-korrekt „MT6“ (m für männlich, T für Telemetrie, also Messwertübertragung per Sendehalsband, sechs für den sechsten männlichen Wolf seit Beginn des Telemetrie-Projekts). MT6 habe Hunde gebissen, die an der Leine geführt wurden, erklärt sie. Er sei nicht etwa erschossen worden, weil er zu wild, sondern vielmehr weil er zu zahm und zutraulich war und nicht einmal mit Gummigeschossen vertrieben werden konnte. Dagegen hat er Hunde wohl als Rivalen betrachtet.
Jokisch hat noch nie einen Wolf in freier Wildbahn gesehen. Wenn ihr einer begegnen würde, versichert sie, hätte sie keine Angst. Weil gesunde Wölfe eigentlich scheu seien. Aber es kann nicht schaden, Abstand von ihnen zu halten. Falls sie sich neugierig nähern sollten, hilft es, sie mit lautem Sprechen, Klatschen oder Rufen zu vertreiben.