Der gebürtige Darmstädter Felix Klein spricht über den Islam in Deutschland, Heimatgefühle eines Weltbürgers – und wie er nach Feierabend Kraft tankt.
. Herr Dr. Klein, seit Mai stehen Sie in der Öffentlichkeit. Ist der neue Job eine große Umstellung?
Fachlich bin ich sehr gut vorbereitet, aber meine Rolle ist nun eine andere. Gerade die Öffentlichkeitsarbeit ist natürlich ein neuer Bereich für mich, aber ich stelle mich dem gerne.
Werden Sie auch angefeindet?
Natürlich. Ich kriege immer wieder Schmäh-Mails, in denen ich unter anderem als „nützliches Werkzeug der Juden“ bezeichnet werde.
Anfang des Monats haben jüdische Organisationen konkrete Maßnahmen von Ihnen gefordert – was werden Sie tun?
Ich nehme an einem von den Organisationen ausgerichteten Symposium Ende August teil, bei dem wir über die geforderten Maßnahmen diskutieren werden. Einiges entspricht dem, was ich auch fordere, wie zum Beispiel die konsequentere Anwendung der von der Bundesregierung verabschiedeten „Arbeitsdefinition Antisemitismus“ der Internationalen Allianz für Holocaust-Gedenken.
Was wollen Sie in Ihrem ersten Jahr erreichen?
Mein erstes großes Projekt wird der Aufbau eines Meldesystems für antisemitische Vorfälle unterhalb der Strafbarkeitsgrenze wie Pöbeleien oder Schmierereien, damit wir ein Lagebild über Antisemitismus in Deutschland erhalten. Denn die Kriminalstatistik zeigt nur die Straftaten auf, dabei beginnt Antisemitismus viel früher. Wir haben so ein Meldesystem schon hier in Berlin, das nennt sich Rias, Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus. Die Opfer werden dort auch beraten und mit den Betroffenen wird entschieden, ob der Fall an die Polizei weitergegeben wird. So etwas brauchen wir in ganz Deutschland. Mir schwebt vor, dass wir noch dieses Jahr einen Bundesverband gründen und in jedem Bundesland Partner dafür finden.
Wie hoch schätzen Sie diese Dunkelziffer?
Viel höher! Die Kriminalstatistik hat etwa 1500 Fälle für 2017 aufgeschrieben, aber die Zahl der tatsächlichen antisemitischen Anfeindungen ist um ein Vielfaches höher.
Droht uns in Deutschland eine Massenauswanderung von Juden wie in Frankreich?
Zum Glück ist es nicht so, dass wir in Deutschland von einer Auswanderungstendenz sprechen können. Aber ich nehme wahr, dass die Diskussion darüber in den jüdischen Familien stärker wird. Mehr und mehr tragen sich mit dem Gedanken, auszuwandern, und zwar ernsthaft.
Was entgegnen Sie Menschen, die sagen, man hätte mit den vielen Flüchtlingen auch den Antisemitismus nach Deutschland gelassen?
Denen sage ich, dass jüdische Einrichtungen in Deutschland auch schon vor 2015 von der Polizei geschützt werden mussten. Und dass es zum Glück nach 2015 nicht zu einem signifikanten Anstieg der antisemitisch motivierten Straftaten gekommen ist. Diese Debatte wird oftmals unehrlich geführt, weil sie ablenken will. Gleichwohl muss man feststellen, dass wir Menschen hier haben, die in Ländern sozialisiert wurden, wo ein Bild von Israel und Juden zum Bildungskanon gehört, das inakzeptabel ist.
Wie kann man das angehen?
Das ist eine riesige Integrationsaufgabe, bei der vor allem die Schulen gefragt sind. Aber nicht nur. Es gibt zum Beispiel Angebote für muslimische Flüchtlinge, Gedenkstätten in ehemaligen Konzentrationslagern zu besuchen. Diese Besuchergruppen reagieren genauso betroffen wie alle anderen auch. Hier sehe ich gute Möglichkeiten. Allerdings funktioniert das nur, wenn diese Besuche gut vor- und nachbereitet werden.
Was machen Sie, um nach Feierabend abzuschalten?
Ich spiele seit meinem sechsten Lebensjahr Geige. Heute bin ich zweiter Geiger in einem Streichquartett mit drei Profis. Wir haben uns spezialisiert auf Musik von Komponisten mit jüdischem Hintergrund.
Das passt ja zu Ihrer Aufgabe!
Genau. Die Idee kam mit meinem letzten Amt. Da dachte ich mir, wenn ich so eine Aufgabe habe, dann kann ich auch den Beitrag, den Juden zur deutschen Kultur geleistet haben, nach vorne bringen und das macht mir großen Spaß. Wir machen viele Konzerte und musikalische Umrahmungen von Veranstaltungen.
Wie heißt Ihre Kombo?
„Diplomatisches Streichquartett“, was lustig ist, weil ich der einzige Diplomat bin. Irgendwer hat uns diesen Namen verpasst und wir sind dabei geblieben. Gerade sind wir übrigens mit der jüdischen Gemeinde in Frankfurt im Gespräch und wollen noch dieses Jahr dort auftreten.
Wie schaffen Sie es, mit Profis mitzuhalten?
Ich nehme mir die Zeit zum Üben und für unsere Proben. Das ist ein Ausgleich und gibt mir Kraft.
Eifern Sie Ihrem verstorbenen Vater nach, der Geiger war?
Ich habe mir an ihm ein Beispiel genommen, wie man Musik auch aus Freude spielen kann, ohne den Druck, den man als Profi hat. Nachdem mein Vater aus Siebenbürgen nach Deutschland kam, studierte er Mineralogie und fing danach bei Merck in Darmstadt an, hat aber die Geige weiter auf sehr hohem Niveau betrieben. Er war auch Gründungsmitglied des Kammerorchesters Merck, aus dem die Deutsche Philharmonie Merck hervorgegangen ist und hat auch in anderen Ensembles gespielt. Dort hat er noch nach seiner Verrentung gespielt.
Sie haben in Triest Abitur gemacht, in London studiert, waren als Diplomat in Kamerun und leben heute in Berlin. Wo fühlen Sie sich zuhause?
Ich unterscheide zwischen Heimat und Zuhause-Sein. Ich fühle mich immer da zuhause, wo ich gerade lebe. In Berlin fühle ich mich sehr wohl. Aber wenn ich nach meiner Heimatstadt gefragt werde, sage ich immer Darmstadt. Ich bin dort aufgewachsen und verbinde viele tolle Erinnerungen mit der Stadt. Meine Mutter lebt auch noch dort, einer meiner Brüder ebenfalls. Er hat ihre Zahnarztpraxis übernommen. Ich bin auch noch regelmäßig bei meiner Familie zu Besuch.
Was an Ihnen ist besonders diplomatisch?
Vielleicht das Erkennen verschiedener Interessen und Situationen und die Fähigkeit, Leute zu vernetzen.
Und wann sind Sie undiplomatisch?
Bei Rassismus und wenn darauf gleichgültig reagiert wird. Das bringt mich wirklich aus der Fassung.
Wie würden Sie sich selbst mit drei Worten beschreiben?
Optimistisch. Pragmatisch. Aufmerksam.
Sie haben Ihre Doktorarbeit über „Eheschließung und Ehescheidung in Kamerun“ geschrieben. Können Sie die Ergebnisse in einem Satz zusammenfassen?
Schöne Frage – ja: Dass ein Land, das über völlig verschiedene Rechtssysteme im Familienrecht verfügt – in Kamerun laufen Stammesrecht und modernes Recht nebeneinander – es schaffen kann, Rechtsfrieden herzustellen, und das in einem so komplizierten Bereich wie Familienrecht, Eheschließung und -scheidung.
Wie sind Sie auf dieses Thema gekommen?
Ich war Leiter der Rechts- und Konsultats- stelle der deutschen Botschaft in Kamerun und bin ständig auf die rechtliche Situation aufmerksam gemacht worden. Zum Beispiel beim Familiennachzug: Da stellte sich die Frage, ob wir es anerkennen können, wenn Menschen polygam verheiratet sind. Also, ob wir ein Visum auch für die Zweit- oder Drittfrau ausstellen. Das haben wir nicht gemacht. Aber diese Fragen haben mich zu meiner Doktorarbeit inspiriert.
Sie sprechen Englisch, Französisch, Italienisch und Spanisch. Waren Sie im Urlaub trotzdem schon mal aufgeschmissen?
Ein einziges Mal: In Russland musste ich feststellen, dass die Leute nur Russisch sprachen. Da musste ich tatsächlich gestikulieren, um mich zu verständigen.
Von Mara Pitz