Astronaut Matthias Maurer: So bekämpft ihr den Corona-Frust!

Foto: dpa, Bearbeitung: vrm

Deutscher ESA-Raumfahrer im Interview: Über Höhlentraining für Himmelsstürmer, Essensbestellungen drei Jahre im Voraus und seine besten Tricks, um Isolation auszuhalten.

Anzeige

. Herr Maurer, vor einem Monat sind Sie 50 geworden. Mussten Sie schon ohne Freunde feiern?

Ja, ich habe meinen Geburtstag zu zweit gefeiert – und abends gab es dann eine Videokonferenz mit Freunden. Das ist ein Geburtstag, an den ich mich immer erinnern werde.

Isolation ist das Kerngeschäft eines Astronauten, ganz egal, wo er zum Einsatz kommt. Wie trainieren Sie das?

Anzeige

Ans Team zu denken, ist in der Isolation enorm wichtig. Man muss ein Bewusstsein dafür schaffen, dass kein Mensch perfekt ist. Die anderen nerven mich, ich nerve die anderen. Wenn man das begriffen hat, dann kann man den nächsten Schritt gehen und die Ursachen ausschalten. Dafür ist es wichtig, dass man miteinander redet, und zwar zu einem Zeitpunkt, an dem man noch gut gelaunt ist. Jeder muss sagen, was ihm wichtig ist – und er muss dem anderen zuhören.

Ist das Training in der Höhle ein Teil davon?

Ja, beim Höhlentraining machen wir das ganz bewusst. Dort geht es nicht nur um wissenschaftliches Arbeiten unter Extrembedingungen, sondern auch darum, das Team unter Druck zu setzen. Jeder hat eine Aufgabe. Und alles ist so aufgebaut, dass keiner sein Pensum ohne die Hilfe von anderen leisten kann. Das ist clever gemacht. Ganz nebenbei lernen wir beim Abseilen auch noch die Regeln für einen Weltraumspaziergang. Da treffen verschiedene Kulturen aufeinander. Wenn Sie an einem Seil hängen, das von einem russischen Militärpiloten gesichert wird, dann ist das in diesem Moment kein Fremder, sondern Ihr allerbester Freund.

Und was haben Sie in der Höhle gelernt?

Abends haben Psychologen und Teamspezialisten alles mit uns durchgesprochen. Das war sehr spannend. Es zeigt sich: Man ist immer blinder bei den eigenen Aktionen als bei den anderen.

Anzeige

Welche Rollen braucht ein Team, damit es funktioniert?

Bei uns in der Höhle gab es einen Commander und einen Planer. Nach der Hälfte der Mission konnte man tauschen. Das könnte man ja jetzt auch so machen – und die Rollen durch die Familie rotieren lassen. Vielleicht braucht es auch jemand für das Fernsehprogramm.

Wie hält man die Angst im Zaum? Wie geht man mit Ungewissheit um?

Viele sind jetzt verunsichert. Das verstehe ich. Anders als wir Astronauten konnten sich die Menschen auf diese Isolation nicht vorbereiten. Mein Tipp ist: nicht Monate vorausdenken, sondern nur die nächsten zwei, drei Tage ins Visier nehmen. Etwas machen, was Spaß macht. Ziele setzen, die man gut schaffen kann. Und immer schauen, dass das Team bei guter Stimmung ist.

Sie haben auch zwei Wochen an Bord einer Unterwasserstation der NASA gelebt. War das schwieriger auszuhalten als der Aufenthalt in der Höhle?

Beides war körperlich sehr anstrengend. In der Höhle waren wir bergsteigen unter Tage, in der Station dagegen ist man als Taucher unterwegs und muss den ganzen Tag einen erhöhten Druck aushalten. Der Raum dort war extrem begrenzt, etwa so groß wie drei VW-Busse: Einer für die sechs Etagenbetten, einer diente als Gemeinschaftsraum und einer war für Experimente da. Dann gab es noch eine Plattform für den Ausstieg ins Wasser. Dank Taucherglocken und Versorgungsschläuchen konnten wir uns im Umkreis der Station bewegen. So haben wir vier Stunden lang die Unterwasserwelt erkundet wie bei einer Mars-Mission.

Sie sagen, an die Gemeinschaft zu denken, sei die wichtigste Eigenschaft. Wer kann das besonders gut?

Ich denke, jeder kann das lernen, wenn erst einmal das Bewusstsein geweckt ist. Bei der ESA ist es zum Beispiel Standard, dass die Kollegen aus dem Kontrollzentrum einen Teil des Isolationstrainings mitmachen. Das ist wichtig für das gegenseitige Verständnis in Notsituationen. Dann muss man einen kühlen Kopf bewahren und rechtzeitig Hilfe anfordern, wenn man sich überlastet fühlt. So etwas auszusprechen muss man ja auch erst lernen.

Es gibt auch viele Menschen, die allein leben und sich mit der Isolation schwertun. Was raten Sie ihnen?

Als Astronaut ist man eigentlich nie ganz allein. Gefährliche Dinge machen wir immer zu zweit, damit der eine den anderen retten kann. Allein auf dem Mars überleben zu müssen wie der Astronaut Mark Watney – so etwas trainieren wir nicht. Prinzipiell gilt nämlich: Wir lassen niemand zurück. So ein bisschen MacGyver steckt aber trotzdem in uns allen.

Was meinen Sie damit?

Auf der Raumstation kommt ja auch nur alle paar Monate eine Versorgungskapsel vorbei. Deshalb gehe ich die Isolation zu Hause jetzt auch gleich an. Ich gehe einmal pro Woche einkaufen, brauche alles auf und kaufe nichts nach. Man darf wirklich nicht in Panik verfallen, nur weil der Kühlschrank mal nicht so voll ist wie sonst.

Ist das auf der ISS so, dass das Lieblingsessen auch mal fehlt?

Das Essen für da oben muss ich mir drei Jahre im Voraus aussuchen. Manchmal stellt man an Bord der ISS dann fest, mir schmeckt das nicht. Wenn es allen so geht und jeder das Curry haben will, bleibt das Gemüse übrig. Aber der Vorrat ist ja berechnet. Irgendjemand muss auch das essen, was weniger beliebt ist.

Wie viel Platz haben Sie eigentlich an Bord der Raumstation?

Die ISS hat das Volumen einer Boeing 747, ist aber innen deutlich kleiner. Wenn man seine Ruhe haben will, kann man sich gut einen Tag lang zurückziehen. Der wirklich private Raum hat aber nur die Größe eines Ikea-Schranks. Da bleibt gerade genug Platz für einen Schlafsack, einen Computer und noch ein paar Kleinigkeiten.

Wenn Sie die Corona-Isolation wie einen Raumflug geplant haben, was gehört noch dazu?

Flexibel sein ist ganz wichtig. Wenn Plan A nicht klappt, dann klappt halt Plan B. Auf jeden Fall lasse ich mir die gute Laune nicht verderben. Ich spiele im Kopf alles durch: Wie würde es normalerweise laufen, was könnte passieren? Wie bei Apollo 13 – nur so hat das Team von Mission Control die Notsituation damals so schnell gelöst.

Sie sprechen von dem Problem mit den Luftfiltern.

Genau. Die Luftfilter im Landemodul gingen zur Neige. Die Kollegen am Boden improvisierten daraufhin einen, den die Astronauten an Bord nachgebaut haben. Damals fiel ein wichtiger Satz: „Failure is not an option“, zu Deutsch: Ein Fehlschlag ist keine Option. Diesen Gedanken möchte ich jedem mitgeben. Wir schaffen das.

Von Anja Tröster