Antisemitismus war nie weg: Vier junge Menschen aus dem...

Chana (l. oben), Aaron, Carolin und Alexander (r.) erzählen von ihren Erfahrungen mit Antisemitismus. Fotos: Sascha Kopp, René Vigneron (2) und Guido Schiek

Der ganz alltägliche Antisemitismus war nie weg. Chana, Alexander, Carolin und Aaron aus Mainz, Wiesbaden, Darmstadt und Frankfurt berichten hier vom Leben in ihrer Heimat, der...

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. Der ganz alltägliche Antisemitismus war nie weg. Chana, Alexander, Carolin und Aaron aus Mainz, Wiesbaden, Darmstadt und Frankfurt berichten hier vom Leben in ihrer Heimat, der Rhein-Main-Region.

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Zahlen

• Die Zahl der in Deutschland lebenden Juden wird auf rund 200.000 geschätzt. Etwa 100.000 sind unter dem Dach des Zentralrats der Juden in 23 Landesverbänden mit 105 jüdischen Gemeinden organisiert.

• Mit mehr als 7000 Mitgliedern zählt Frankfurt zu den größten Gemeinden Deutschlands, die Jüdische Gemeinde Wiesbaden dagegen mit rund 750 Mitgliedern zu den eher kleineren Gemeinden. Der rund 1000-köpfigen Gemeinde in Mainz, eine der ältesten in Deutschland, gehören auch die Wormser Juden an.

Vier Straftaten pro Tag

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• 1453 antisemitische Straftaten bundesweit verzeichnet die Polizeistatistik für das Jahr 2017, das sind im Schnitt vier pro Tag. So steht es im Antisemitismusbericht 2017 des Bundestags. In Wirklichkeit dürfte die Zahl antisemitischer Delikte sehr viel höher liegen. Denn nicht jede Tat wird angezeigt.

• Über 95 Prozent der antisemitischen Straftaten 2017 wurden von Rechtsextremen begangen, nur wenige Fälle ließen sich Muslimen zuordnen. Gewalt, Drohungen, Beleidigungen, Hakenkreuz-Schmierereien, HassMails, in Witze verpackte Klischees und Stereotypen: Antisemitismus gehört in Deutschland zum Alltag. „Antisemitismus ist nicht das Problem eines Milieus“, stellt Grünen-Politiker Volker Beck fest, „wir haben ihn rechts, links, in der Mitte der Gesellschaft. Und wir haben ihn im muslimischen, im christlichen und im atheistischen Milieu.“

Ideologie

• „Antisemitismus“ wird in der Regel mit „Judenfeindschaft“ übersetzt. Experten unterscheiden klassischen und sekundären Antisemitismus.

• Klassischer Antisemitismus umfasst 1. religiösen Antisemitismus: entwickelte sich im Mittelalter aus der Absolutsetzung des Christentums (Klischee: „Juden schuld am Tod Jesu“) 2. sozialen Antisemitismus: resultiert aus dem Verbot nahezu aller beruflichen Tätigkeiten für Juden außer Geldverleih und Handel (Klischee: „mächtige Akteure in der Finanzwelt“) 3. politischen Antisemitismus: speist sich aus der Vorstellung, Juden bildeten eine homogene Gruppe, die sich zu gemeinsamem Handeln zusammengeschlossen hat (Klischee: „jüdische Weltverschwörung“) 4. nationalistischen Antisemitismus: Juden werden als „Fremdkörper“ und nicht zur Nation gehörende Minderheit betrachtet 5. rassistischen Antisemitismus: Juden werden „von Natur aus“ negativ bewertet.

• Sekundärer Antisemitismus: Judenfeindschaft äußert sich in der Unterstellung, die Erwähnung der massenhaften Ermordung der Juden im Nationalsozialismus werde dazu benutzt 1. Deutschland zu diffamieren 2. Wiedergutmachungszahlungen zu erhalten und/oder 3. die israelische Politik zu rechtfertigen. Kritik an Israel gilt als antisemitisch, wenn sie Klischees bedient oder der Staat Israel als jüdisches Kollektiv betrachtet wird, für dessen Handlungen Juden insgesamt verantwortlich gemacht werden. Hier liegt der Versuch einer „Täter-Opfer-Umkehr“ nahe, was ein israelischer Psychoanalytiker so auf den Punkt brachte: „Die Deutschen werden den Juden Auschwitz nie verzeihen.“

• Laut Antisemitismusbericht der Bundesregierung nimmt in Deutschland der klassische Antisemitismus ab, dagegen ist sekundärer Antisemitismus weit verbreitet.

Von Birgit Schenk