Wetzlarer Todesschütze kommt lebenslang hinter Gitter
Im Prozess um den Mord an einem Gastronomen aus Bad Kreuznach im Wetzlarer Westend ist das Urteil gefallen.
WETZLAR/LIMBURG. Es kommt nicht allzu häufig vor, dass Staatsanwaltschaft, Nebenklage und Verteidigung eine so ähnliche Bewertung eines Tatgeschehens finden, dass sie auf die gleiche Strafe plädieren: lebenslänglich. Eine Bewertung, der sich am Donnerstag auch das Limburger Landgericht anschloss. Der Mörder von Hasan Yildiz wird lange Zeit hinter Gitter kommen.
Der 28-Jährige hatte die tödlichen Schüsse am 1. September 2019 auf den Kreuznacher Gastronomen im Magdalenenhäuser Weg in Wetzlar gleich zu Beginn des Verfahrens eingeräumt. Ob und durch welche Handlungen sich zwei mit ihm verwandte Mitangeklagte ebenfalls schuldig gemacht haben, bleibt weiter offen: Die Kammer unter Vorsitz von Richter Andreas Janisch hat den Prozess am Donnerstag in zwei separate Verfahren aufgeteilt. Entscheidungsreif war jener Teil, der den Hauptangeklagten betraf. Aus Gründen der Prozessökonomie in pandemiebedingt auch organisatorisch komplizierten Zeiten sei die Abtrennung gegeben. Gegen die beiden Männer wird am 31. Juli weiter verhandelt.
Noch gemeinsam waren vorher zwei weitere Zeugen gehört worden: die Vernehmungsrichterin des Hauptangeklagten und einer seiner Mitangeklagten sowie ein Polizeibeamter, der eine genaue Analyse der Telefon- und SMS-Kontakte der drei Männer untereinander vorstellte. Einen relevanten Höhepunkt der sechsmonatigen Auswertung der Kommunikation stellte er für den Tattag fest.
Für die folgenden Plädoyers gegen den 28-Jährigen Hauptangeklagten sollte das keine Rolle spielen. Für den ausgegliederten Prozess hingegen dürfte es dies schon, erlaubt die Auswertung doch die Annahme, dass die Tat nicht ganz so spontan und aus alleinigem Bestreben des Hauptangeklagten heraus ausgeführt wurde, wie dieser es im Prozess dargestellt hatte.
Dass es unbewältigte Emotionen und Gefühle waren, die den Mann letztlich den Entschluss zum Mord fällen ließen, zeigten die drei Plädoyers. Das Tatgeschehen, umfänglich vom Angeklagten gestanden und ermittlungstechnisch in seinen Ausführungen bestätigt, fasste Staatsanwalt Daniel Faß nur kurz zusammen: Hasan Yildiz habe mit seinem Bruder an diesem 1. September 2019 spontan eine Beerdigung eines entfernten Verwandten in Wetzlar besucht. Danach seien beide zum Essen in den Magdalenenhäuser Weg eingeladen worden, wo sie einige Stunden verbrachten. Unmittelbar vor der Abfahrt sei dann der Hauptangeklagte auf den Porsche zugetreten und habe durch das Beifahrerfenster das Feuer eröffnet. Nach seiner Aussage sechs, laut Ermittlungen sieben Schüsse lösten sich, drei trafen das Opfer, einer führte zu innerlichem Verbluten.
Beifahrer "wie durch ein Wunder" von Kugeln nicht getroffen
"Wie durch ein Wunder wurde der Beifahrer nicht getroffen", sagte Faß. Tatsächlich fanden sich am Bruder des Opfers nicht einmal Glassplitter. Dass er aber tatsächlich im Wagen saß, sah Faß durch Aussagen als bestätigt an. Der Angeklagte habe billigend in Kauf genommen, ihn auch zu treffen - Hinweise für einen versuchten Mord aber sah Faß keine.
Anders der Anwalt der Nebenklage: "Der Angeklagte hätte mit dem Tod des Bruders rechnen müssen", führte er aus. Ein Steckschuss in der Tür habe laut Ermittlern das Potenzial zum Treffer gehabt, hätte die Tür ihn nicht gestoppt. Zudem seien Querschläger nicht kalkulierbar. Anders argumentierte Verteidiger Frank Richtberg: Sein Mandant habe nah am Wagen gestanden und sich selbst als guten Schützen eingeschätzt. Er habe den Beifahrer nicht treffen wollen - und traf ihn auch nicht.
Warum Hasan Yildiz sterben musste: Plötzlich sprudelt es aus dem Angeklagten heraus
Gleichwohl sei die Tat ein heimtückischer Mord an Hasan Yildiz. Sie liege begründet in den Geschehnissen in der Türkei, als im April 2017 in einem Wahllokal im Heimatdorf der Yildiz-Großfamilie drei Menschen erschossen wurden. Als der Nebenklage-Anwalt auf diese Taten zu sprechen kam, wurde es nochmals emotional im Gerichtssaal. Plötzlich sprudelte es aus dem sonst schweigsamen, bedächtig lauschenden Angeklagten heraus, dass der Dolmetscher Probleme mit der raschen Übersetzung bekam. 18 seiner Neffen hätten keine Väter mehr, seine Familie sei enteignet und vertrieben worden, rief er unter Tränen. Der Gerechtigkeit würde nicht Genüge getan, die Verantwortlichen säßen im Zuschauerraum, sagte er in Richtung des Sohnes wie des Bruders von Hasan Yildiz. Unmittelbar entbrannte ein Wortgefecht zwischen dem jungen Yildiz und der Frau des Hauptangeklagten, das Andreas Janisch unterbinden musste, bevor er den Angeklagten fragte: "Was hat Hasan Yildiz mit der Sache in der Türkei zu tun?"
Der, so der Angeklagte, habe am Tag vor dem türkischen Referendum in Nachrichten an Familienmitgliedern mit fließendem Blut gedroht, sollte nicht für Präsident Erdogan gestimmt werden. Tags darauf floss dann gleich dreimal Blut. "Wegen einer politischen Sache wird meine Familie ausgelöscht", sagte der Mann unter Schluchzen. Ihm sei seine eigene, darauf folgende Tat auch nicht einfach gefallen - er habe Frau und Kind. Es herrsche bis heute viel Angst in seinem Teil der Familie.
Auf diese Worte setzte Rechtsanwalt Richtberg sein nicht minder emotionales Plädoyer, in dem er auch an die Familienangehörigen beider Konfliktseiten appellierte: "Es muss ein Ende haben!" Er hoffe, dass diese nunmehr zwei Verfahren ihren Teil dazu leisten könnten. Das Lösen von Konflikten im Gerichtssaal "ist eine kulturelle Errungenschaft, die uns hier in Europa viel Frieden gebracht hat", sagte er. Beide Seiten sollten sich für eine Moment in die jeweils andere Seite hineinversetzen. "Warum sterben für eine Stimme bei einer Wahl Menschen aus der eigenen Familie?", fragte er. Die Yildiz-Großfamilie müsse ihre eigenen Fehler aufarbeiten, ihre eigene Schuld anerkennen. "Das hat der Angeklagte hier getan, ohne Wenn und Aber", sagte Richtberg über seinen Mandanten.
Mit dem Urteil ist dieser Teil der Familienfehde vorerst abgeschlossen. Ob das alle Beteiligten so sehen, ist offen. Die massive Polizeipräsenz um und im Limburger Gerichtsgebäude an jedem einzelnen Prozesstag zeigt, dass die Ermittlungsbehörden nicht nur auf das Verständnis der Familienmitglieder für den Rechtsstaat vertrauen wollen.
Von Malte Glotz