Seit der Renaissance gibt es Utopien, nach denen die Menschen ohne den Zwang eigener Erwerbsarbeit leben können. Als bedingungsloses Grundeinkommen feiert der Gedanke...
. Versorgt sein ohne Gegenleistung; arbeiten dürfen und nicht müssen; Teilhabe statt Ausgrenzung; Recht auf Müßiggang. Die Debatte um ein bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) macht keine Unterschiede zwischen Realpolitik und Utopie. Die Pro- und Contra-Linie zieht sich quer durch die Parteien. Obwohl Arbeitsmarktexperten für die nächsten Jahre faktische Vollbeschäftigung vorhersagen, der Fachkräftemangel sich verschärft und mit 45 Millionen Beschäftigten in Deutschland abermals eine Rekordmarke erreicht wurde, melden sich sogar weitere Befürworter. Und sie nennen neue Argumente. Zumal ausgerechnet in den Wohlstandsländern Schweiz und Finnland Bürger Sympathien für eine Grundrente entwickeln.
Jetzt erzwingt laut Philosoph Richard David Precht und Wirtschaftsprofessor Thomas Straubhaar die Digitalisierung neues Denken in der sozialen Frage. Befeuert wird der Gedanke einer Alimentierung vom Kind bis zum Greis, vom Obdachlosen bis zum Millionär auch durch die Forderung nach einer Reform der Hartz-Gesetze.
Christoph Butterwegge kann verstehen, wenn Langzeitarbeitslose angesichts von „Schikanen und Kontrollen“ mit dem Grundeinkommen sympathisierten, für die Idee an sich hat er kein Verständnis. Der Kölner Professor ist wegen der Agenda 2010 aus der SPD ausgetreten, hat 2017 gegen Frank-Walter Steinmeier für das Amt des Bundespräsidenten kandidiert, mit Unterstützung der Linken.
Für ihn als Armutsforscher bedeutet die Idee, einem Bürger bedingungslos 1000 Euro im Monat zu schenken, das Ende des Sozialstaats. Dabei macht er keinen Unterschied zwischen dem Modell Straubhaars oder dem des Drogeriemarkt-Königs Götz Werner. Beide surfen aus seiner Sicht auf einer neoliberalen Trendwelle, die „eingeübte Mechanismen der kollektiven Absicherung von Lebensrisiken“ in Frage stelle. Kurzum, hier sei das Solidaritätsmodell in Gefahr. Ungewollt erhält der Ex-Sozialdemokrat Schützenhilfe von der alten Arbeiterpartei. Für die SPD-Bundesvorsitzende Andrea Nahles gibt es ein Recht auf Arbeit, aber kein Recht auf bezahltes Nichtstun. Ihr Stellvertreter Torsten Schäfer-Gümbel hat sich intensiv mit der Digitalisierung beschäftigt und kommt zu dem Schluss: „Die Arbeit geht uns nicht aus, sie wird sich verändern.“ Damit nimmt er dem Philosophen Precht den Wind aus den Segeln. Der nämlich spricht von einem digitalen Tsunami, der die Erwerbsarbeit in weiten Teilen der Gesellschaft vernichte und verbindet seine Schreckensvision einer roboterdominierten Wirtschaft mit der Forderung nach einer Maschinensteuer. Grünen-Chef Robert Habeck sympathisiert ebenfalls mit einem Grundeinkommen. Ihn stört Nahles harsche Antwort: „Was Arbeit ist, wird in Zukunft anders beantwortet werden müssen.“
BGE-Kritiker Butterwegge sieht bei solchen Überlegungen die Sockel des Wohlfahrtsstaates unterspült: Bedarfs-, Leistungs- und Verteilungsgerechtigkeit. 1000 Euro im Monat klinge gut, berücksichtige aber weder die Bedürfnisse eines Kranken noch die Unterschiede der Lebensverhältnisse zwischen Köln und Cottbus. Ungerecht sei das Geld, weil es unabhängig von erbrachter Leistung bezahlt werde und damit ein Grundprinzip unserer Gesellschaft verletze.
Schließlich, so der überzeugte Sozialist, gebe es keine Umverteilung von Reich zu Arm, weil sogar der Milliardär Empfänger des Grundeinkommens sei.
Und wie sollen die Grundeinkommen finanziert werden? Ökonom Straubhaar spricht sich für eine negative Einkommensteuer aus. Sein Steuersatz liegt bei 50 Prozent, alle Einkünfte werden an der Quelle abgeschöpft. Götz Werner möchte die Mehrwertsteuer auf 50 Prozent erhöhen, dafür aber alle direkten Steuern abschaffen. Precht wünscht sich eine internationale Finanztransaktionssteuer, mit der alle virtuellen Geldbewegungen in der Europäischen Union belegt werden sollen.
Von Stefan Schröder