Letzte Generation: Heiligt der gute Zweck die Mittel?

VRM-Live-Talk zum Klimaschutz: Mit den Moderatoren Dennis Rink (ganz links) und Tobias Goldbrunner (ganz rechts) haben diskutiert (von links): Sabine Yacoub (BUND Rheinland-Pfalz), Tanjev Schultz (Uni Mainz), Michael Ebling (SPD, Innenminister Rheinland-Pfalz) und Jakob Beyer (Letzte Generation).
© Sascha Kopp

Wie weit darf Klima-Aktivismus gehen? Beim VRM-Live-Talk prallen die Meinungen aufeinander: Innenminister Ebling spricht von Selbstüberhöhung, Aktivist Beyer von einer Art Notwehr.

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Mainz. Nach wenigen Minuten wird es emotional: Der rheinland-pfälzische Innenminister Michael Ebling (SPD) wirft dem Klima-Aktivisten Jakob Beyer vor, seine Leute hätten „das Grundgesetz besudelt”. Der Attackierte antwortet mit dem Hinweis: „Nach zehn Minuten war alles wieder sauber.” Nicht die Debatte über die vielen Straßenblockaden offenbarte den tiefen Graben zwischen den Diskutanten auf dem Podium, sondern eine Aktion der Letzten Generation, bei der am Wochenende in Berlin eine Glasskulptur mit Grundgesetzartikeln mit Öl beschmutzt wurde. Der SPD-Politiker Michael Roth hat die Aktivisten daraufhin mit den afghanischen „Taliban” verglichen – wovon sein Parteifreund Ebling sich an diesem Abend ausdrücklich distanziert.

Ebling wirft der Letzten Generation vor, „das Grundgesetz zu besudeln”

Damit ist der Rahmen gesetzt: Höflich im Ton, prallen die Ansichten in aller Härte aufeinander. Im Kern geht es um die Fragen, ob die Protestformen der Letzten Generation legitim und damit letztlich zu tolerieren seien, und ob sie dem Ziel der Klimaneutralität dienen oder eher das Gegenteil erreichen. Ebling und Becker bilden die Pole, während der Mainzer Kommunikationswissenschaftler Tanjev Schultz und die rheinland-pfälzische BUND-Vorsitzende sich bemühen, Brücken zu bauen.

Es gibt Grenzen, und die sind längst überschritten.

ME
Michael Ebling Innenminister von Rheinland-Pfalz

Wie weit darf Klima-Aktivismus gehen, fragen die Moderatoren Tobias Goldbrunner und Dennis Rink den Aktivisten Beyer. „Der Protest muss und wird immer friedlich bleiben”, antwortet dieser. Die Frage sei eher, wie weit Politik noch gehen dürfe. Das 1,5-Grad-Ziel sei völkerrechtlich bindend, die Bundesregierung habe sich mit ihrem Klimagesetz dazu verpflichtet, es einzuhalten. „Dennoch werden sämtliche selbst gesteckten Ziele nicht erfüllt, das zwingt uns zum Handeln.” Und weiter: „Wir brauchen riesige Veränderungen, doch nicht einmal die einfachsten Dinge werden umgesetzt, und wir haben kaum noch Zeit.”

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Die Störungen sollen so groß werden, dass man daran nicht mehr vorbeikommt und wirklich über die Inhalte geredet wird.

Jakob Beyer Sprecher der Letzten Generation

Ebling antwortet, für ihn seien bei den Protesten die Grenzen des Hinnehmbaren längst überschritten. Er könne zwar gut nachvollziehen, dass es vielen nicht schnell genug gehe. Doch heiße das nicht, dass man sich „gegenüber anderen selbst überhöht und Gesetze bricht. Es gibt Grenzen, und die sind längst überschritten”. Aktionen wie die in Berlin kenne er sonst „nur von abgedrehten radikalen Gruppen in der Welt”. Beyer erwidert, die Grundgesetztafeln seien erst einmal nur Tafeln, die Politik müsse das darauf Geschriebene mit Leben füllen. „Die Bundesregierung ist lauf Verfassung verpflichtet, auch die Lebensgrundlagen künftiger Generationen zu schützen. Das tut sie nicht, und darauf wollten wir aufmerksam machen.”

Ich wundere mich, wie rechtsstaatlich eingeengt viele Sozialdemokraten argumentieren, Sie waren schonmal mutiger.

Tanjev Schultz Kommunikationswissenschaftler

Tanjev Schultz diagnostiziert ein „Kommunikationsproblem”. Es sei schwierig, „dass hier gerade etwas eskaliert”. Für die einen gehe es darum, die Menschenwürde zu beschützen, die anderen sähen sie im konkreten Fall besudelt. Schultz riet Ebling zu mehr Gelassenheit und einem Blick auf die Geschichte seiner Partei. Auch Sozialdemokraten hätten immer wieder mit Gesetzesbrüchen für den Fortschritt gestritten, ziviler Ungehorsam habe in der Bundesrepublik eine lange Tradition. Und an Ebling gerichtet: „Ich wundere mich, wie rechtsstaatlich eingeengt viele Sozialdemokraten argumentieren. Sie waren schonmal mutiger.”

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Protest muss spürbar sein, sonst wird er nicht wahrgenommen.

Sabine Yacoub BUND Rheinland-Pfalz

Die Aktionen der Letzten Generation helfen, sagt die BUND-Vorsitzende Yacoub

Nutzen die Aktionen der Letzten Generation im Kampf gegen den Klimawandel? „Ja, es hilft”, sagt Sabine Yacoub vom BUND. Das Thema sei heute viel mehr präsent als vor einem Jahr. Jede Gruppe müsse über ihre Protestformen entscheiden, einzige Bedingung sei Gewaltfreiheit. Die Reaktionen auf die Straßenblockaden nennt Yacoub „übertrieben”. Auch frühere Umweltproteste hätten den Verkehr gestört und lange Staus verursacht. Beyer betont, man werde weiter Straßen blockieren: „Die Störungen sollen so groß werden, dass man daran nicht mehr vorbeikommt und wirklich über die Inhalte geredet wird.” Für den einen oder anderen werde diese Form der Selbstermächtigung mit einer Gefängnisstrafe enden, prophezeit Ebling. Beyer ist das klar, vor einigen Monaten saß er 23 Tage in Haft. „Wir stehen mit unserem Gesicht für das, was wir machen. Ich werde nicht wegrennen.”

Um die Dringlichkeit zu illustrieren, zitiert Beyer ein Bild, mit dem der Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber das Nichthandeln der Politik illustriert habe: „Wir setzen unsere Kinder in einen globalen Schulbus, der zu 99 Prozent tödlich verunglücken wird.” Bei Ebling sorgt das für Kopfschütteln: „Ich weiß nicht, ob es irgendwie hilft, die Bilder möglichst drastisch, blutig und damit übertrieben zu zeichnen. Das ist nicht mein Bild von Zukunft und Zuversicht.”

Der Klima-Live-Talk im Re-Live.

Wie man auf diese Auseinandersetzung mal in einigen Jahren schauen werde, hält Schultz für offen. Viele Protestbewegungen scheiterten zwar mit ihren unmittelbaren Forderungen, lösten aber langfristige Veränderungen aus. Als Beispiel führt Schultz die Friedensbewegung in den achtziger Jahren an. Yacoub betont: „Protest muss spürbar sein, sonst wird er nicht wahrgenommen.” Demokratische Institutionen merkten oft nicht, dass sie nicht mehr funktionieren, deshalb brauchten sie Nachhilfe von der Straße.

Zum Ende der Diskussion überrascht Beyer mit einer Prognose. Auf die Frage, ob es die Letzte Generation in einem Jahr noch geben werde, antwortet er: „Sie gibt es dann nicht mehr, weil wir auf der Straße solch einen Druck kreieren konnten, dass die Politik endlich ins Handeln gekommen ist. Dann braucht es einen solchen Protest nicht mehr.” Ebling verspricht zur Unterstützung viele neuen Windräder und Photovoltaikanlagen in Rheinland-Pfalz.