Tödlicher Messerstich nach Banalitäten: Prozess-Start mit drei Angeklagten in Wiesbaden
Vor der Schwurgerichtskammer des Landgerichts in Wiesbaden hat die Hauptverhandlung gegen drei junge Männer begonnen. Einem 25-Jährigen aus Niedernhausen wird vorgeworfen, in der Nacht zum 11. Juni 2017 in der Wiesbadener Fußgängerzone nach einem Streit um Banales einen 19-Jährigen erstochen und zwei seiner Begleiter durch weitere Stiche verletzt zu haben. Unter den Angeklagten ist auch ein 23-jähriger ehemaliger Polizeianwärter.
Von Wolfgang Degen
Mitarbeiter Lokalredaktion Wiesbaden
Der Tatort mit Einsatzkräften im Juni 2017. Archivfoto: wiesbaden112.de/Michael Ehresmann
Jetzt teilen:
Jetzt teilen:
WIESBADEN - Die Nacht zum 11. Juni 2017 endet für die Familie von Marlon in einem Albtraum. Er wird für ewig anhalten. Ihr Kind, 19 Jahre alt, verblutet in jener Nacht in Höhe Karstadt auf dem Pflaster der Wiesbadener Fußgängerzone. Getroffenen von einem einzigen Messerstich, dieser Stich trifft den jungen Albaner direkt ins Herz. Zwei seiner Freunde werden ebenfalls niedergestochen und verletzt. Sie haben überlebt, aber ihr Leben ist seither ein anderes geworden. Der Tat folgt das Trauma.
Begleitet von einem großen Zuschauerinteresse hat am Montagnachmittag vor der Schwurgerichtskammer des Landgerichts der Prozess gegen Benedict S., den mutmaßlichen Messerstecher, begonnen. Totschlag und zwei Fälle des versuchten Totschlags wirft die Anklage dem jetzt 25 Jahre alten Studenten aus Niedernhausen vor. Mit ihm auf der Anklagebank sitzen Luca D’A. und Maximilian S., den beiden 23-Jährigen aus Niedernhausen und Wiesbaden wird gefährliche Körperverletzung vorgeworfen.
Verhandelt wird ein Verbrechen, das im Nichts wurzelt. Der Auslöser liegt, bei allem was man bislang weiß, in Banalitäten, zu denen Maximilian S. durch dummes Geschwätz seinen Teil beigesteuert haben soll, durch Sätze wie „Ich bin gerade bei den Pissern“ oder „Da sind die Pisser“. Er meint die Gruppe um Marlon, mit denen er dem Grunde nicht wirklich etwas zu schaffen hatte. Warum hat er sich nicht getrollt? Er ruft stattdessen seine Kumpels Benedict und Luca herbei, und soll gewusst haben, dass sein Kumpel Benedict ein Messer in der Tasche stecken hatte. Dummes Geschwätz und Enthemmung, das reicht, dass der hinzugerufene Luca D’A. laut Anklage mit seinem aggressiven Auftritt die Banalität in eine gefährliche, weil eskalierende Richtung getrieben haben soll.
Versuche, die Luft raus zu nehmen, zu beschwichtigen, bringen nichts, zumal Maximilian S. auch noch ein Glas durch die Gegend geworfen haben soll. Es gibt ein wildes Durcheinander, ein Gerangel. Und dann wird aus einer idiotischen Streiterei ein Verbrechen – Benedict S. soll unvermittelt ein Messer gezogen und zugestochen haben. Dann flüchten er, Luca und Maximilian. Ohne sich um die Verletzten zu kümmern.
Die Beteiligung von Luca machte aus dem Fall ein Politikum – der junge Mann war zum 1. Februar 2017 als Kommissarsanwärter bei der hessischen Polizei. Innenminister Peter Beuth wird im Zuge der Aufarbeitung später darlegen, dass der Bewerber Luca D’A. wegen der im Einstellungsgespräch bereits bekannten Vorbelastungen gar nicht erst hätte eingestellt werden dürfen. Seiner Einstellung sei eine „Fehlbewertung“ vorausgegangen. Verteidiger Jens Dörr wertet diese vom Minister verkündete Tatsache als Folge einer „Skandalisierung in der Berichterstattung“. Bereits vor dem rechtskräftigen Ende des Strafverfahrens hatte sich die Polizei von ihrem Kommissarsanwärter getrennt.
Traumatisierung der Opfer
Die Polizei sei „sein Ding“ gewesen, sagt der 23-Jährige zum Prozessauftakt. Dann redet er von „Gemeinschaft“ und dem „Team“, was ihn an der Polizeiarbeit fasziniert habe, und „dass der eine für den anderen da“ sei. Er könnte noch heute bei der Polizei sein, wenn er sich und seine Aggressionen in jener Nacht im Griff gehabt hätte. Maximilian S. hat das Verbrechen sprachlich zu einer „Sache“ gemacht, wie er es nennt. Mehr Distanz geht nicht. Georg, eines der niedergestochenen Opfer, lässt über seinen Anwalt aufzeigen, was die „Sache“ tatsächlich bedeutet - der Tod eines jungen Menschen und die Traumatisierung anderer. Unvorstellbares Leid.
Die Verteidigung hat zum Prozessauftakt eine Aussetzung des Verfahrens beantragt: Aktenteile seien erst kurzfristig von der Polizei übermittelt worden, so dass eine sachgerechte Vorbereitung der Verteidigung nicht möglich gewesen sei. Statt Aussetzung gibt es erst einmal eine Unterbrechung - die für Mittwoch und Donnerstag vorgesehenen Prozesstage entfallen. Fortgesetzt wird der Prozess am 29. Januar.