Unter lautem Protest hat die prorussische Demonstration in Frankfurt begonnen. Trotz aufgeheizter Stimmung kam es zunächst nicht zu Zwischenfällen.
FRANKFURT. „Schikane, Schikane“, schallt es der Polizei entgegen. Und: „Freiheit, Freiheit!“ Als die Beamten zwei Teilnehmer der Demonstration wegen gezeigter Sowjetfahnen kontrollieren, droht die ohnehin aufgeheizte Stimmung zu kippen. Die Polizei informiert per Lautsprecherdurchsage, dass kein Demonstrant mehr in „polizeilicher Gewalt“ sei: „Sie können weiterlaufen!“
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Rund 800 Teilnehmer, schätzt die Polizei, sind am Sonntag dem Aufruf eines einzelnen Anmelders gefolgt, „gegen Hetze und Diskriminierung der russischsprachigen Mitbürger/gegen Krieg – für Frieden“ zu demonstrieren. Nach einer – von lautstarken Protesten begleiteten – Auftaktkundgebung an der Alten Oper mit mehreren Rednern führt der Zug zum Hauptfriedhof. Vor dessen verschlossenen Türen – die Stadt hat das Gelände wegen einer Sturmwarnung gesperrt – legt man Blumen „für russische, deutsche und ukrainische Opfer des Faschismus“ während des Zweiten Weltkriegs nieder, wie eine Rednerin zu pathetischer Musik erklärt.
Demo-Teilnehmer mit Reizgas angegriffen
Auf dem Rückweg kommt es zu besagten Kontrollen, weil die mehrfach gezeigte Flagge der UdSSR geeignet sei, der Ukraine die Souveränität abzusprechen, informiert ein Polizeisprecher. Es bestehe der Anfangsverdacht einer Straftat, ebenso bei den „Donbass gehört zu Russland“-Rufen, die russischsprachige Polizisten aus der Demonstrationsmenge vernehmen.
Ansonsten gibt es laut Polizei keine Verstöße gegen die Auflagen des Ordnungsamtes, unter die es die umstrittene prorussische Demonstration gestellt hatte: etwa das Zeigen des „Z“-Symbols oder des Sankt-Georgs-Bändchens. Der laut Polizei einzige schwerwiegende Zwischenfall ereignet sich, als eine Person von außen Demonstrationsteilnehmer mit Reizgas attackiert. Die Polizei ermittelt wegen des Verdachts der gefährlichen Körperverletzung.
Selenskyj als „Pädophiler und Satanist“ verunglimpft
Die Atmosphäre ist von Anfang an emotional: An der Alten Oper, wo sich die Teilnehmer, darunter zahlreiche russische Nationalisten mit Putin-Shirt oder Zaren-Fahne, Vertreter der putinnahen Rockergruppe „Nachtwölfe“, Querdenker und Impfgegner, aber auch friedensbewegte Biodeutsche versammeln, schallt den Rednern, die sich auf russisch und deutsch an die Demonstranten wenden, Protest entgegen. „Putin – Kriegsverbrecher“, wird gerufen, aber auch „Putin – Hurensohn“. Auf Plakaten ist unter anderem „Russland verrecke“ zu lesen. Mehrere Dutzend Polizisten trennen die beiden Gruppen. Einzelne prorussische Demonstranten diskutieren mit der Polizei über Länge und Material von Fahnenstangen. Ein Teilnehmer mit Russland-Fahne klärt eine Passantin darüber auf, dass der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sterben müsse, weil er wie US-Präsident Joe Biden ein „Pädophiler und Satanist“ sei.
Es gibt aber auch nachdenkliche Stimmen unter den Demonstranten: Sascha aus Darmstadt etwa. Der 47-Jährige ist mit mehreren Freunden nach Frankfurt gekommen, um „für die russische Seite einzustehen“. „Krieg ist scheiße, egal wo“, sagt er mit russischem Akzent. Seine 13-jährige Tochter, die das Gymnasium besuche, habe zwar noch keine Diskriminierung erfahren, aber man werde als Russe nicht akzeptiert. „Warum schauen sie immer so genau nur auf uns“, fragt Sascha. Nach einem kurzen Wortgefecht mit einem Gegendemonstranten am Straßenrand, der ihn als „Vollpfosten“ bezeichnet, wird er von Polizisten mit Nachdruck aufgefordert, wieder im Demonstrationszug mitzulaufen und nicht zu „provozieren“. Von den Organisatoren möchte keiner mit der Presse reden, eine Interviewanfrage wird mit „Später!“ beschieden.
Die Studenten Lisa und Jakob stehen unterdessen mit ukrainischen Fahnen an der Route der Demo, die von blau-gelben Schildern gesäumt ist. Den Anspruch der Demonstration, für Frieden einzutreten, halten die beiden für „lächerlich“, sagt Jakob. Und „ganz schlimm“ findet Lisa, die mit neun Jahren aus der Ukraine nach Deutschland kam, die lauten „Russland“-Sprechchöre und das Meer aus Fahnen der Nation, die ihr Heimatland Ende Februar überfallen hat. Eine ältere Passantin kommentiert diese patriotischen Bekenntnisse mit typisch Frankfurter Schlappmaul: „Ei, dann solle se halt heimgehe.“ Von Balkonen rufen manche Anwohner „Pfui“ oder zeigen den Daumen nach unten.
Auf dem Römerberg und dem Roßmarkt protestieren zeitgleich rund 2500 proukrainische Demonstranten. Blau-gelbe Fahnen werden geschwenkt, auf Plakaten ist in Englisch unter anderem zu lesen: „Stoppt Russland“, „Kein Gas von Russland“ und „Stoppt den Genozid“.
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