Sprung im Panzerglas: Bisher fühlten sich Marc und Ivonne Eichhorn sicher, ihr Dach war schon geklammert. Jetzt haben sie ein ungutes Gefühl. Foto: Jens Etzelsberger
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FLÖRSHEIM - Für Vildan Senol geht es am Donnerstagnachmittag um Leben und Tod. Nur ein Reflex, ein kurzes Zusammenzucken, schützt sie davor, von einem herunterstürzenden Dachziegel getroffen zu werden. Die 45-Jährige sitzt an diesem Nachmittag, zusammen mit ihrer Schwester, auf deren Terrasse in der Rheinallee 45. Mit dabei sind auch die beiden Töchter ihrer Schwester, 15 und 19 Jahre alt. Es ist laut, denn bei Ostwind donnern die Flugzeuge aus Westen über Flörsheim heran. Die Eddersheimerin Vildan Senol ist Lärm gewohnt, und sie weiß, dass es bei ihrer Schwester immer noch ein deutliches Stück lauter ist. Dann wird es gegen 14.30 Uhr aber plötzlich viel lauter, es kracht. „Ich dachte, das Nachbarhaus bricht zusammen“, erzählt Vildan Senol. Instinktiv zuckt sie zusammen und der herabstürzende Ziegel rauscht an ihrem Kopf vorbei. „Hätte ich mich nicht geduckt, hätte ich den Ziegel direkt gegen den Kopf bekommen“, sagt Vildan Senol.
Der Ziegel, der sie beinahe getroffen hätte, stammt aber noch nicht mal vom Dach des Hauses, in dem ihre Schwester zur Miete wohnt, sondern vom Dach des Nachbarhauses, der Rheinallee 47. Dort wohnen Ivonne und Marc Eichhorn. Das Haus, in dem Marc Eichhorn aufgewachsen ist, gehört der Fraport, die es nach der Eröffnung der Landebahn Nordwest im Rahmen des Casa-Programms gekauft hatte. Das Paar wähnte sich bisher sicher vor herabfallenden Ziegeln, denn das Dach wurde als eines der ersten in der Stadt geklammert und mit Schneefallgittern versehen, die auch Ziegel aufhalten sollen, berichtet Marc Eichhorn.
Dass es dort, wo er wohnt, einmal Ziegel zu Boden reißen würden, hätte er nie gedacht. Marc Eichhorn war am Donnerstagnachmittag, seinem 30. Geburtstag, gar nicht Zuhause, als die Wirbelschleppe eines landenden Flugzeugs etwa zwölf Ziegel aus beiden Seiten des Satteldachs riss. Die krachten nicht nur auf die Terrasse der Nachbarin, sondern auch auf das Glasdach der Terrassenüberdachung, wo sie für Sprünge im Panzerglas sorgten, sowie auf den Rasen. Ein ganzer Ziegel sei sogar unversehrt in der breiten Hecke gelandet, die die beiden Gärten voneinander trennt, berichtet Ivonne Eichhorn. Einige Ziegel haben auch die Schneefallgitter davor bewahrt, auf den Bürgersteig vor dem Haus zu fallen.„Wir haben gedacht das kann nicht passieren, weil unser Dach geklammert ist“, sagt Marc Eichhorn.
Sprung im Panzerglas: Bisher fühlten sich Marc und Ivonne Eichhorn sicher, ihr Dach war schon geklammert. Jetzt haben sie ein ungutes Gefühl. Foto: Jens Etzelsberger Foto: Jens Etzelsberger
Dieser Ziegel ist auf die Terrasse des Nachbargrundstücks gekracht. Foto: Jens Etzelsberger Foto: Jens Etzelsberger
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Damit ist die Schadensliste aber noch lange nicht komplett. Der Sog der Wirbelschleppe hat die zwei Dachflächenfenster auf beiden Seiten das Daches, die leicht geöffnet waren, mit solcher Wucht nach oben gerissen, dass die Scharniere zerstört wurden. Eines der Fenster wurde dabei so weit überdehnt, dass das Metallscharnier auseinandergesägt werden musste, um es wieder schließen zu können. Die Dachluke mit der ausklappbaren Leiter wurde aus der geschlossenen Stellung aufgedrückt. „Ich dachte, es wären Einbrecher da, als ich nach Hause kam“, sagt Ivonne Eichhorn.
Der Schadensbearbeiter der Fraport informierte das Paar, dass die Ziegel wohl unsachgemäß geklammert seien, berichtet Marc Eichhorn. In der kommenden Woche wären sie zwecks eines Kontrolltermins angerufen worden. Bis zur fachgerechten Sicherung des Daches sollten sie sich im Freien zur Sicherheit nur unter dem Panzerglasdach bewegen. „Das geht gar nicht, wir haben doch auch einen Hund“, sagt Ivonne Eichhorn. Und ob die Geburtstagsfeier ihres Mannes, die für den heutigen Samstag im Garten geplant war, auch tatsächlich stattfindet, war für Ivonne und Marc Eichhorn Freitagmittag noch unklar.
MEHR PFUSCH ALS GEDACHT
Die Zahl der nicht ausreichend gesicherten Dächer ist offenbar viel größer als bisher von Fraport eingeräumt. Im Frühjahr 2018 sprach der Flughafenbetreiber noch von 24 mangelhaft gesicherten Dächern in Raunheim und Flörsheim. 2015 war davon die Rede, dass rund 100 Dächer kontrolliert werden müssten. Am Freitag sagte ein Sprecher, mittlerweile seien rund 100 tatsächlich mangelhafte Dachsicherungen identifiziert worden. Aufgefallen seien diese bei weiteren Kontrollen. Anlass für diese weiteren Kontrollen sei „Qualitätssicherung“ gewesen. Während man zunächst davon ausging, dass nur eine Kolonne einer Dachdeckerfirma falsch gearbeitet habe, nehme man mittlerweile an, dass alle von der Firma gesicherten Dächer die Anforderungen nicht erfüllen, so der Sprecher. Auch bei dem betroffenen Haus in der Rheinallee 47 soll es sich um ein solches Haus handeln.
Warum die Eigentümer und Mieter der betroffenen Häuser bisher nicht informiert wurden, konnte der Fraport-Sprecher nicht sagen. Dies soll nun nachgeholt werden. Dass noch weitere Dächer betroffen sein könnten, sei nicht auszuschließen. (etz)
„Gau für Fraport“
Bürgermeister Michael Antenbrink hält angesichts der genauen Zeitangaben einen Airbus A 320 neo oder eine Boeing 737-800, beides relativ kleine Flugzeuge, für den Auslöser der Wirbelschleppe. Dass ein schon geklammertes Dach der Belastung nicht standhält, ist für ihn ebenso bemerkenswert wie der Umstand, dass die Bewohner nicht informiert wurden.
Für Hans Jakob Gall, den Vorsitzenden des Klagevereins „Für Flörsheim“ ist der Vorfall ein „GAU für Fraport“, der auch bei den noch anstehenden Klagen Beachtung finden müsse. „Das berührt unsere Verfahren im Kern“, sagte Gall. (etz)
Ivonne Eichhorn hat die Flughafenproblematik schon seit Jahren verfolgt und bisher wenig Sympathie für die Demonstrationen gegen Ausbau und Fluglärm gehabt. Das ist nun anders: „Nach gestern versteh’ ich das. Ich bin kein Typ für Demos, aber irgendwann hört der Spaß auf.“