Viele Wetzlarer gedenken der Opfer des Holocausts

Die Songgruppe der Freiherr-vom-Stein-Schule singt zur Kranzniederlegung am Denkmal auf dem August-Bebel-Platz.  Foto: Steffen Gross

Am 75. Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz haben viele Wetzlarer der Opfer gedacht.

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WETZLAR. Auschwitz ist das Synonym für den Massenmord der Nazis an den europäischen Juden, Ausdruck des Rassenwahns und Kainsmal der deutschen Geschichte. Am 75. Jahrestag der Befreiung des NS-Vernichtungslagers gedachten am Montag zahlreiche Wetzlarer bei der Kranzniederlegung am August-Bebel-Platz der Opfer.

In einer eindringlichen Rede appellierte Oberbürgermeister Manfred Wagner (SPD) an die Verantwortung der heutigen Generation. Erinnern sei unverzichtbar, eine Verpflichtung sei es, all denen entgegenzutreten, die dieses Grauen als "Vogelschiss" abtun wollen.

Gegen 9 Uhr erreichten am 27. Januar 1945 Soldaten der Roten Armee das Nebenlager Auschwitz-Monowitz. Ihr Auftrag hatte gelautet, einen Fabrikkomplex einzunehmen. Stattdessen trafen die Soldaten auf ausgemergelte Menschen und Leichen überall. 7000 Inhaftierte warteten auf ihre Befreiung. Mehr als eine Million Männer, Frauen und Kinder waren zu diesem Zeitpunkt in Gaskammern getötet, erschossen oder durch Zwangsarbeit und Hunger in den Tod getrieben worden. Die meisten der Opfer waren Juden. Auch nicht-jüdische Polen, Sinti und Roma, Homosexuelle, politische Gegner oder Kriegsgefangene wurden getötet. Das Ausmaß der Vernichtungsmaschinerie der Nazis wurde erst später durch Zeitzeugen, Gerichtsprozesse und die Forschung deutlich.

75 Jahre nach der Befreiung leben nur noch wenige der Opfer, die das Vernichtungslager überlebt haben, wenige Täter und nur noch wenige der Befreier. Umso wichtiger sei es, diese Zeitzeugen zu Wort kommen zu lassen, ihre Lebensgeschichte mit allen Möglichkeiten der digitalen Welt für künftige Generationen zu dokumentieren, sagte Wagner: "Vergangenheit lässt sich nicht bewältigen. Sie ist Vergangen- heit. Doch ihre Spuren und vor allem ihre Lehren reichen bis in die Gegenwart." Der frühere Bundespräsident Roman Herzog, auf dessen Initiative der seit 1996 bundesweit begangenen Holocaust-Gedenktag zurückgeht, hatte gesagt: "Ohne Erinnerung gibt es weder eine Überwindung des Bösen noch Lehren für die Zukunft."

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Umfrage: Zu viel Erinnerung für jeden vierten Deutschen

Dass nach einer vor wenigen Tagen veröffentlichten Umfrage jeder vierte Deutsche die Erinnerung an die Zeit und die Gräueltaten des Nazi-Regimes als "zu viel" empfinde, müsse mehr als nachdenklich stimmen, mahnte Wagner. In Zeiten, "in denen bei uns wieder etwas ins Rutschen gerät", dürfe in der Erinnerung nicht nachgelassen werden. Dass dies der Fall sei, werde angesichts des politischen Mordes an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübke deutlich. Daran, wenn jüdische Kinder auf den Schulhof bespuckt werden und wenn nur eine schwere Holztür verhindere, dass ein Rechtsterrorist in einer Synagoge in Halle ein Blutbad anrichtet.

In Wetzlar geschehe das Erinnern in unterschiedlichen Formen, etwa durch die Zeitzeugenarbeit von Gisela Jäckel, die am Montag ebenfalls an der Gedenkveranstaltung teilnahm, durch Publikationen über jüdisches Leben in Wetzlar etwa von Karsten Porezag oder Doris und Walter Ebertz, oder durch die Stolpersteine und Gedenktafeln, die auf den Einsatz des Vereins "Wetzlar erinnert" zurückgehen.

Oder durch das städtische Gedenken mit Kranzniederlegung an der abgebrochenen Marmorsäule auf dem Bebel-Platz. Wegen Dauerregens war die Gedenkveranstaltung diesmal kurzfristig in den Saal des Alten Rathauses verlegt worden. Vertreter von Magistrat, Stadt-, Kreis- und Landespolitik, Behörden, Gewerkschaften, Schulen und Vereinen nahmen teil. Die Songgruppe der Freiherr-vom-Stein-Schule setzte mit dem "Buchenwaldlied" und Dietrich Bonhoeffers "Von Guten Mächten wunderbar geborgen" - besondere Zeichen der Verantwortung.