Wanderkorridor für die Unterwasserwelt

Ganz rechts das Kraftwerk, davor aus grauem Beton der Bypass zwischen den beiden Wanderwegen für die Fische. Links ein Teil des im Bau befindlichen Dotationskanals. Fotos: Dietmar Elsner

Wer den Main an der Kostheimer Schleuse auf dem Fußgängersteg überqueren möchte, hat derzeit keine Chance. Eine Großbaustelle auf Hochheimer Seite versperrt den Weg. Ein...

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HOCHHEIM. Wer den Main an der Kostheimer Schleuse auf dem Fußgängersteg überqueren möchte, hat derzeit keine Chance. Eine Großbaustelle auf Hochheimer Seite versperrt den Weg. Ein großes Poster am Zaun erklärt, warum hier Baucontainer und ein riesiger Kran stehen, warum Erde im großen Stil ausgehoben wird und warum schwere Beton-LKW über die Auwiesen fahren: Am Wasserkraftwerk der Staustufe Kostheim wird die Fischaufstiegsanlage erneuert.

Ganz rechts das Kraftwerk, davor aus grauem Beton der Bypass zwischen den beiden Wanderwegen für die Fische. Links ein Teil des im Bau befindlichen Dotationskanals. Fotos: Dietmar Elsner
Ein Poster erklärt die Baustelle und zeigt, wie der Fischaufstieg und der Fischabstieg am Wasserkraftwerk an der Kostheimer Schleuse in Zukunft aussehen werden. Neun beteiligte Firmen sind unten genannt, es gibt weitere, die an dem Projekt mitwirken.
Hinter den eisernen Spundwänden liegen die beiden Einstiege für die Fische. Der linke für den bereits vorhandenen Aufstieg, rechts am Turbinenauslass der neue für die schwimmstarken Wanderfische.

Staustufen und Wasserkraftwerke sind zu oft unüberwindbare Hindernisse für wandernde Fische. Denn funktionierende Fischaufstiegs- und Abstiegsanlagen zu bauen, scheint eine schwierige Aufgabe zu sein. Doch diese Umgehungen sind wichtig für die Gesundheit aller im Wasser lebenden Tiere. Ein leider negatives Beispiel ist gleich die erste Staustufe vom Rhein in den Main mit dem Wasserkraftwerk der „WKW Staustufe Kostheim/Main GmbH und Co. KG.“ Es steht zwar auf Hochheimer Gemarkung, gehört jedoch den Stadtwerken Ulm und seinen angegliederten Gesellschaften. Die „Kleinwasserkraftwerke GmbH und Co. KG“ in Egelsee bei Memmingen besitzt seit 2002 hier die Wasserrechte.

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Das 20-Millionen-Euro-Wasserkraftwerk Kostheim ging im Oktober 2009 in Betrieb. Die Eröffnungsansprache hielt der Ulmer Oberbürgermeister Ivo Gönner. Die Stadtwerke Ulm hatten sich vorgenommen, ihren Kunden nur „grünen“ Strom zu liefern. Also Strom aus Solarenergie, Windkraft und aus Wasserkraftwerken. Als die Möglichkeiten an Donau und Iller erschöpft waren, wandte man sich dem Main zu und baute hier weiter. Das Kostheimer Kraftwerk mit seinen 4,9 Megawatt-Generatoren erzeugt jetzt jährlich 13,5 Millionen Kilowattstunden Strom für 5.200 Haushalte. Dieser wird ins Netz der Stadtwerke Mainz eingespeist und nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz vergütet. Das Kraftwerk arbeitet vollautomatisch und wird von einer Leitwarte in Ulm überwacht. Techniker der Frankfurter Mainova AG übernehmen die Wartungsarbeiten an Ort und Stelle.

Interessante Fotos vom Bau sind bei den Beratenden Ingenieuren Dr. Hutarew & Partner auf hutarew.com zu sehen. Dort steht allerdings auch: „Die ökologischen Rahmenbedingungen waren in der Genehmigung von 2002 nur ungenügend festgeschrieben worden.“ Kritik an der dann gebauten Aufstiegshilfe für Fische gab es reichlich. Umweltschützer und Fischereiverbände bezeichneten sie von Anfang an als ungeeignet. 2011 gaben die Stadtwerke Ulm eine Langzeitstudie zur tatsächlichen Passierbarkeit der Wanderhilfen in Auftrag. Das 2012 veröffentliche Ergebnis war deprimierend: „Funktion klar verfehlt“.

Gemeinsam mit der Wasserstraßen- und Schiffsverwaltung des Bundes wurde eine neue Fischaufstiegs- und Abstiegsanlage erarbeitet. Sie soll nun die von der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie geforderte Gesamtdurchlässigkeit verwirklichen.

Zu beachten sind recht unterschiedliche Fischarten, kleine, große, junge, fortpflanzungsbereite, an der Oberfläche schwimmende oder sich am Boden schlängelnde, wie Aale. Und es gibt neben langsamen Dauerschwimmern auch starke Sprinter. Die Planungsbüros verwenden derzeit 3D-Modelle, in denen die Strömungsverhältnisse simuliert und durch Wassermengenregulierungen die optimalen Strömungen hergestellt werden.

2017 wurden die Pläne dem Regierungspräsidium Darmstadt als Obere Wasserbehörde vorgelegt und genehmigt. Seit 2021 wird gebaut. Der Aufwand ist erheblich. Das Bauunternehmen Eiffage Infra Südwest und das Wasserbauunternehmen P. Engels richteten eine Großbaustelle um das Kraftwerk herum ein.

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Da sich die Fische nach der Strömung richten, wird ein zweiter Einstieg in der Nähe des Turbinenauslaufs geschaffen. Schwimmstarke Wanderfische werden hier von der Strömung angelockt und in den neuen Kanal und die vorhandene Aufstiegshilfe geleitet. Zusätzlich wird ein 150 Meter langer und acht Meter tiefer sogenannter Dotationskanal gebaut. Dotationskanäle werden in Fließgewässer gebaut, um durch eine künstliche Wasserzugabe eine Mindestabflussmenge zu gewährleisten.

Zwischen dem alten und dem neuen Fischwanderweg gibt es eine Verbindung. Der Bypass ist 40 Meter lang, zwei Meter breit, fünf Meter tief und bleibt offen. Mit dem Dotationskanal werden die Wassermengen und die Strömungsgeschwindigkeiten dynamisch geregelt und an den unteren Wasserstand des Rheins angepasst. Zwischen zwei und vier Kubikmeter pro Sekunde fließen durch den Wanderkorridor neben dem Kraftwerk.

Ein fischökologisches Fachinstitut begleitet die Planung und den Bau und wird die Wirksamkeit dieses zweigliedrigen Kanalsystems überprüfen. Die Anlage soll im Winter 2022 fertiggestellt sein. Sie wird 4,8 Millionen Euro kosten. 65 Prozent übernimmt der Bund, den Rest trägt der Kraftwerksbetreiber.