So geht Willkommenskultur

Beim Internationalen Begegnungstreff gibt es auch mal spontane Musikeinlagen, wenn Cem zur Gitarre greift und Lieder aus seiner Heimat vorträgt. Foto: Edda Syborg

Es ist kurz vor 19 Uhr und Jörg Weiser und Christian Liewig stellen an diesem lauen Mittwochabend Tische und Stühle in den Durchgang vor dem Familienzentrum Mamma Mia auf....

Anzeige

HOCHHEIM. Es ist kurz vor 19 Uhr und Jörg Weiser und Christian Liewig stellen an diesem lauen Mittwochabend Tische und Stühle in den Durchgang vor dem Familienzentrum Mamma Mia auf. Katrin Plocher-Weiser bereitet in der Zwischenzeit schon mal den Tee zu. Kurz darauf trudeln die ersten Gäste ein, man kennt sich und jeder Ankommende wird herzlich begrüßt. Die meisten haben etwas für die abendliche Gesprächsrunde mitgebracht und so biegen sich schon bald die Tische unter frischem Obst, den Süßigkeiten, Knabbereien und alkoholfreien Getränken. Jörg Weiser stellt eine Schüssel mit Spundekäs und Brezeln dazu. „Spundekäs, kennt ihr das?“, fragt er in die Runde. Gemeinschaftliches Kopfschütteln als Antwort.

Die Menschen aus der Türkei, Afghanistan und der Ukraine sind mit den hessischen Essensgewohnheiten noch nicht so vertraut. Fast alle probieren das Traditionsgericht, es scheint zu schmecken. „Meistens haben wir 9 bis 15 Gäste“, erklärt Katrin Plocher-Weiser, eine der Mit-Initiatorinnen dieses Projekts. An diesem Abend finden krankheitsbedingt nur drei Männer und zwei Frauen den Weg zum Begegnungstreff in der Hintergasse, was der Intensität der Gespräche aber keinen Abbruch tut.

Internationaler Begegnungstreff als offenes kostenloses Angebot für Erwachsene

Im Herbst 2021 hatte Katrin Plocher-Weiser die Idee und Bitte um die kostenlose Bereitstellung eines Raumes für ein niedrigschwelliges Kontaktangebot für Hochheimer Bürgerinnen und Bürger in die Stadtverordnetenversammlung eingebracht. Sie und viele Bekannte aus ihrem Umfeld hatten überlegt, einen Rahmen zu schaffen, der es Menschen möglich macht, außerhalb von Gastronomie, Vereinen oder Kirche, einen Raum für zwanglose Begegnung zu finden. Angesprochen dürfen sich alle Bewohner Hochheims fühlen, die den Wunsch nach Austausch und Begegnung haben. Der Magistrat unterstützt nun dieses Projekt und übernimmt die Raummiete vorläufig für ein Jahr.

Anzeige

Seit April dieses Jahres kommt der internationale Begegnungstreff jeden Mittwoch von 19 bis 21 Uhr in (oder vor) den Räumlichkeiten bei „Mamma Mia“ zusammen. Es gibt kein festes Programm für die Treffen, manchmal überlegen sich Katrin Plocher-Weiser und ihr Mann aber auch ein Thema, oder bringen einen aktuellen Zeitungsartikel mit, der für die Gruppe interessant sein könnte. Grundsätzlich lässt man aber lieber den Teilnehmern den Raum, um auf deren Bedürfnisse und Wünsche einzugehen. Oft haben aber auch die Menschen aus Eritrea, Äthiopien, Syrien, Iran, Irak oder auch aus Deutschland ein Thema, welches sie mit den anderen an diesem Abend teilen wollen.

Feigen, feige sein und ein türkisches Sprichwort

Der Teller mit frischen Feigen geht herum und Katrin Plocher-Weiser nutzt die Gelegenheit für eine spontane Deutschkurs-Einlage. Sie erklärt „Feige“, das Obst und die Bedeutung des Verbs „feige sein“. Ismail, der aus politischen Gründen aus der Türkei geflüchtet ist, kennt ein türkisches Sprichwort zum Thema „Feige“. „Willst du einen Feigenbaum in meinen Garten pflanzen?“ ist tatsächlich gar nicht so freundlich gemeint, wie es sich anhört, sondern bedeutet: „Willst du mich fertigmachen?“ Denn die Wurzeln des Feigenbaums können auf ihrer Suche nach Wasser auch das härteste Gestein durchdringen und so auch Häuser beschädigen. Wieder was gelernt!

Der junge Mann beeindruckt durch seine guten Deutschkenntnisse, die er andauernd verbessert. In seinem „ersten Leben“, wie er es nennt, war er Notfallarzt. Sein Ziel ist es, seine Sprachkenntnisse zu perfektionieren und dann wieder als Arzt zu arbeiten. In der Zwischenzeit hilft er mit seinem Freund Ümit Mehmet, der in der Türkei wegen seiner politischen Überzeugung in Haft war, bei der Hattersheimer Tafel aus. Ümit ist IT-Ingenieur, seit einem Jahr in Deutschland und seit sechs Monaten in Hochheim. Der junge Mann sagt: „Ich bin sehr glücklich, aber auch traurig.“ Er schildert der Gruppe seine Träume, die ihn oft um den Schlaf bringen und man spürt seine Belastung.

Auch für ernste Themen ist an diesem Sommerabend Platz und die Vergangenheit der Teilnehmer wird nicht ausgespart. Für Entspannung sorgt Cem, der wie seine Freunde aus der Türkei flüchtete, als er seine Gitarre auspackt und ein Lied des türkischen Rockmusikers Teomen Yakupoglu anstimmt. Schon oft hat er die Treffen mit seiner Musik bereichert, spontan wird auch mal getanzt.

Anzeige

Valentyna, die im März aus der Ukraine flüchtete, ist die Ruhigste an diesem Abend. Die Unternehmerin, deren Tochter in Hochheim lebt, nutzt ihr Handy, um mit anderen zu kommunizieren. Mit Hilfe des Übersetzungsprogramms teilt sie ihre Gedanken und Sorgen. Neue Wörter notiert sie direkt in ihr Notizheft, denn sie möchte schnell Deutsch lernen, um hier leben und arbeiten zu können. Auch Ghul Ghotai, die vor sechs Jahren mit Ehemann und nun sieben Kindern aus Kandahar, Afghanistan, nach Deutschland kam, freut sich auf ihren nächsten Deutschkurs, der im September startet. Sie musste hier zunächst einmal lesen und schreiben lernen. Jetzt, wo die Kinder auf einem guten Weg sind, kann sie sich auch einmal um sich selbst kümmern. Ihr größter Wunsch? „Ich möchte Führerschein und Auto“, sagt sie leise und zögerlich. Man merkt, dass sie es nicht gewöhnt ist, nach ihren Wünschen gefragt zu werden. In dieser Runde ist Platz für die Träume jedes Einzelnen. Obwohl jeder in der Gruppe seine je eigenen Probleme hat, unterstützen sie sich gegenseitig so gut sie können. Alle Teilnehmer sind in einer gemeinsamen Whatsapp-Gruppe verbunden, so kann der Kontakt auch außerhalb der Treffen gehalten werden.

Nice people welcome – nette Menschen sind willkommen!

Die Organisatoren und Teilnehmer des internationalen Begegnungstreffs freuen sich, wenn noch mehr Hochheimerinnen und Hochheimer den Weg mittwochs abends zu Mamma Mia finden. Es ist keine Anmeldung erforderlich, wer vorab noch Fragen hat, kann eine Mail an Begegnungstreff-Hochheim@web.de schicken. Die Teilnahme an den Treffen ist kostenlos.

Was würde sich das Orga-Team noch wünschen? „Ich fände es toll, wenn noch mehr jüngere deutsche Menschen zu unseren Treffen kommen“, meint Katrin Plocher-Weiser. „Klasse wäre auch eine Führung durch Hochheim mit einem Stadtführer. Oder der gemeinsame Besuch eines Konzerts in Hochheim.“ Erfüllbare Wünsche, sollte man meinen.