Man könnte meinen, vor 300 Jahren hätte es einen höfischen Wettbewerb gegeben: Wer komponiert die meisten Noten pro Minute und welcher Pianist hat die schnellsten Finger?...
HOCHHEIM. Man könnte meinen, vor 300 Jahren hätte es einen höfischen Wettbewerb gegeben: Wer komponiert die meisten Noten pro Minute und welcher Pianist hat die schnellsten Finger? Rolf Sieren ist ein hervorragender Klaviervirtuose und hat Freude am Spiel der flinken Hände. Schließlich hatte er die Stücke für diesen Abend selbst ausgesucht.
Rolf Sieren gibt seit 2017 jedes Jahr ein Klavierkonzert in der Kapelle des Antoniushauses. Mit der leidigen Pandemiepause. Am Sonntag, den 3. September 2023 begrüßte er nun wieder rund 30 Freunde der klassischen Klaviermusik. Bekannt ist der vielseitige Musiker auch als Leiter des Katholischen Singekreises St. Peter und Paul in Hochheim. In der Pfarrkirche steht allerdings kein Flügel. Der Pianist brachte seine Mikrofone für das Aufnahmegerät in Position, moderierte und erzählte Hintergründe zu den einzelnen Werken. Der Abend begann mit dem Präludium und Fuge in Cis-Dur, BWV 872 von Johann Sebastian Bach. Es folgten die Präludien fis-moll BWV 883 und C-Dur BWV 870. Sie sind Teil der Sammlung „Das Wohltemperierte Klavier”, Teil 2 von 1744. Sieren erklärte, dass „wohltemperiert“ nichts mit warm oder kalt zu tun hat. Der Begriff bezieht sich auf die 1681 von Andreas Werckmeister erfundene, von ihm sogenannte wohltemperierte Stimmung. Dabei wurde die mitteltönige Wolfsquinte auf Kosten der reinen Terzen entschärft, um das Spielen in allen Tonarten zu ermöglichen. Daran hatte Bach solche Freude, dass er gleich 48 Satzpaare in allen Dur- und Moll-Tonarten, chromatisch aufsteigend angeordnet, von C-Dur bis h-moll komponierte. Sie sind eine Art Schatzkiste für ehrgeizige Pianisten.
Von einem Spätwerk von Wolfgang Amadeus Mozart erwartet man eigentlich ein etwas gemäßigtes Tempo. Nicht so in der anschließenden Klaviersonate Nr. 15 in F-Dur, KV 533. Sie besteht aus drei Sätzen und wurde am 3. Januar 1788 vollendet. Das Rondo des dritten Satzes hatte Mozart übrigens bereits 1786 als Einzelwerk mit der KV-Nummer 494 geschrieben.
Vor dem vorläufig letzten Werk des Abends gönnte Rolf Sieren sich erst einmal eine Pause. Die Klaviersonate h-Moll von Franz Liszt gilt als bedeutendes und technisch besonders anspruchsvolles Werk der Romantik. Es entstand zwischen 1849 und 1853 und wurde am 22. Januar 1857 in Berlin von Hans von Bülow uraufgeführt. Das Werk beginnt mit einem düster klingenden absteigenden Oktavmotiv und endet auch damit. Die Sonate ist eine technische Herausforderung für jeden Pianisten. Rolf Sieren beherrschte sie virtuos.
Dem großen Beifall folgte als Zugabe das Intermezzo in A-Dur, Op. 118, Nr. 2, von Johannes Brahms. Es ist eines von sechs Klavierstücken, die er 1893 komponierte. Es ist eines seiner bekanntesten und beliebtesten Klavierwerke und ein typisches Beispiel für Brahms lyrischen Stil und seine Fähigkeit, tiefe Emotionen in Musik auszudrücken. Das Stück ist in einem ruhigen, nachdenklichen Tempo geschrieben und hat eine zarte, fast gesangliche Melodie.
Diese Brahms-Komposition war ein wunderschöner und harmonischer Abschluss des Klavierrecitals. Einige Klaviermusikfreude schüttelten Rolf Sieren begeistert die Hände und bedankten sich. Auf die Frage, was mit der Tonaufnahme des Konzertes geschehen wird, antwortete er bescheiden: „Die ist nur für mich, für das stille Kämmerlein.“