In den letzten 23 Jahren entwickelte sich, von den meisten unbemerkt, eine bedeutende Schule für Erwachsenenbildung in Hochheim. Erst in der Altkönigstraße, dann im...
HOCHHEIM. In den letzten 23 Jahren entwickelte sich, von den meisten unbemerkt, eine bedeutende Schule für Erwachsenenbildung in Hochheim. Erst in der Altkönigstraße, dann im Weststadtcenter und nun im Neubau Rheingaubogen 21. Hier werden aktuell 150 Studierende in den beiden Fachrichtungen Heilerziehungspflege und Sozialpädagogik ausgebildet. Beide sind offiziell anerkannte Berufe mit einem festen Lehrplan und einem staatlich anerkannten Abschluss.
Träger der Fachschule ist die Lebenshilfe im Landesverband Hessen mit den beiden Standorten Marburg und Hochheim. Hochheims Einzugsbereich geht weit über den Main-Taunus-Kreis hinaus und reicht derzeit bis Gießen, Limburg, Mainz, Wiesbaden und Offenbach. Jedes Jahr startet für jede Fachrichtung ein dreijähriger Ausbildungsgang.
Heilerziehungspfleger/-innen assistieren, begleiten, beraten und pflegen ganzheitlich und individuell Menschen mit physischen, psychischen oder kognitiven Handicaps. Dies können Menschen aller Altersklassen mit Beeinträchtigungen sein. Theorie und Praxis sind kontinuierlich verzahnt. Das bedeutet fachpraktischen Einsatz an drei Tagen der Woche in Einrichtungen der Behinderten-, Kinder- und Jugendhilfe. Oft wird mit Kooperationspartnern zusammengearbeitet, wie dem Antoniushaus und anderen Trägern der Behindertenhilfe. Sie übernehmen üblicherweise einen Teil der Studiengebühren.
In der Fachrichtung Sozialpädagogik werden Erzieher/-innen ausgebildet. Die Studierenden sollen anschließend Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene begleiten und betreuen. Und zwar in U3-Einrichtungen für Krabbelkinder, in Kitas oder weiteren Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe. Die Ausbildung erfolgt in Teilzeit. In einem anschließenden Berufspraktikum erwerben die Studierenden ein breites Fachwissen und methodische Kompetenzen in Pädagogik, Recht, Psychologie und Gesundheit. Das Zertifikat „Fachkraft inklusive Pädagogik der Lebenshilfe Hessen“ ergänzt diese erworbene Qualifikation. Auch hier ist ein Schulgeld fällig. Alle Details dazu stehen im Internet auf der Seite lebenshilfe-hessen.de.
Die Pandemie bremste die Entwicklung der Fachschule ein wenig. Vor allem die Zugangsbeschränkungen zu den Praxisstellen erschweren die Planungen. Trotz erheblichem Personalmangel in den Pflegeberufen ist die Nachfrage in der Fachschule derzeit stagnierend.
Die Unterrichtsmethoden und die Ausstattung der Räume sind ungewöhnlich flexibel und fortschrittlich. Das ist kein Zufall. Schulleiterin Susanne Baum erklärt: „Die Berufe der Studierenden verlangen eine große Flexibilität, um sich interaktiv ständig neu zu organisieren, erfordern häufigen Perspektivwechsel und ein ständiges Umdenken. Dazu passen keine fest zugeordneten Arbeitsplätze und geschlossene Räume. Wir erarbeiteten ein offenes Konzept, wollen Begegnungen, Interaktion und übergreifendes Denken. Diese Flexibilität und Offenheit soll sich auch hier in der Fachschule abbilden.“
Am konsequentesten ist dies gleich im ersten Unterrichtsraum verwirklicht. Hier gibt es keine Stühle und Tische mehr, sondern nur rechteckige und quadratische Pixelboxen. Jeder stellt sich seinen Sitz- und Arbeitsplatz flexibel zusammen, indem er die einzelnen Teile neben- oder übereinander anordnet. So entstehen je nach Bedarf individuell gestaltete Hocker, Stehhocker, Tische und Bänke.
Die Unterrichtsräume sind unterschiedlich ausgestattet. Manche halten einfache Stühle mit klappbaren Schreibablagen bereit. Oder es stehen übliche Schreibtische und Bürostühle darin, alles auf Rollen und somit flexibel anzuordnen. Der mittlere große Raum mit dem großen Gemälde an der Wand („Helden“ von Tina Herchenröther) ist noch nicht endgültig eingerichtet. Er ist für Kleingruppen oder für Pausengespräche gedacht. Vorne soll es lebendig zugehen, hinten gemütlicher mit Sofa und bequemen Sesseln. Im zweiten Stock stehen in einem Raum die alten Schulmöbel aus den bisherigen Standorten. Überall gilt: Alle Türen sollen offenbleiben, alles soll ständig bereit für Begegnungen und Gespräche sein, sogar die Büros. Aber es gibt auch irgendwo immer einen kleinen Bereich für persönliche Gespräche. Für manche Erzieher/-innen und Studierende ist das Konzept mit den Rollcontainern ohne einen festen Platz allerdings noch recht gewöhnungsbedürftig.
In jedem Unterrichtsraum ersetzen große interaktive Displays mit Touchscreen-Funktion die früheren Schultafeln. Hier geht alles: Zeichnen oder Texteingabe mit den Fingern, alle Funktionen eines Computers mit dem Aufruf oder Abspeichern von beliebigen Dateien oder Powerpoint-Präsentationen. Man kennt diese Displays von der Wettervorhersage im ZDF. Außerdem besteht über WLAN voller Zugang zum Internet, mit allem, was es weltweit bereithält. Oben auf dem Display sitzen die Lautsprecher und eine Kamera. Für Videokonferenzen oder Homeschooling.
Im Gegensatz zu etlichen anderen Schulen beantragte die Lebenshilfe die im Digitalpakt der Bundesregierung vorgesehenen Mittel und finanzierte damit diese vorbildliche Ausstattung. Interessant: Von den bereitgestellten 6,5 Milliarden Euro des „DigitalPakt Schule“ wurde bisher von allen deutschen Schulen noch nicht mal eine einzige Milliarde abgerufen.
Eigentümer des mit Erdwärme beheizten Gebäudes ist die Brömer & Sohn GmbH. Das Erdgeschoss mietete die gemeinnützige Kita moomo, den ersten und zweiten Stock seit März 2021 die Fachschule der Lebenshilfe. Zum pandemiegerechten Lüften des Gebäudes müssen übrigens keine Fenster geöffnet werden. Die Belüftungsanlage tauscht die Raumluft dreimal pro Stunde gegen Frischluft aus.
Schulleiterin Susanne Baum, verantwortlich für die beiden Standorte Marburg und Hochheim, fasst die Aufgaben und Ziele der Fachschule und die Schwerpunkte des neuen Unterrichtskonzeptes so zusammen: „Die Begriffe Inklusion, Teilhabe und Selbstbestimmung dürfen keine leeren Worthülsen sein, ihre Inhalte müssen mit Leben gefüllt werden. Wir arbeiten daran. Mit allen Grenzen und Stolpersteinen. Wir machen überzeugt Erwachsenenbildung, denken dabei ganzheitlich inklusiv und bilden dieses integrative Konzept deshalb auch bei uns hier im Haus ab.“