Ein 25-köpfiges Team bietet ehrenamtlich Klettertraining für Menschen mit Behinderung an. Für die Klettergruppe gab es schon mehrfach Preise.
FLÖRSHEIM. „Ich hatte vorher nie Berührungspunkte mit Menschen mit Behinderungen gehabt“, gesteht Anna-Lena Würbach. Seit knapp vier Jahren leitet die gebürtige Flörsheimerin mittlerweile schon die inklusive Klettergruppe „hoch hinaus – Klettern mit Handicap“, die sich jeden Freitagnachmittag in der Kletterhalle „Wiesbadener Nordwand“ trifft.
Das Schlüsselerlebnis ereignete sich für die Wahl-Mainzerin vor sechs Jahren, als sie in der Kletterhalle in Kelkheim einen Mann im Rollstuhl reinkommen sah. Damals habe sie sich noch nicht vorstellen können, dass sich der Mann trotz seiner Behinderung an die Kletterwand wagen und dort auch tatsächlich klettern würde. „Das hat mich so fasziniert, dass ich noch am selben Tag gefragt habe, wie ich mithelfen kann“, erinnert sich die 30-Jährige. Zu dieser Zeit studierte Würbach noch Sportwissenschaft, was sie auf die Idee brachte, die Verbesserungen und positiven Einflüsse durch das Klettern mit ihrer Bachelorarbeit zu kombinieren. „Multifaktorielle Potenziale einer Klettertherapie“ lautete der Titel ihrer Arbeit, die sich mit Fallbeispielen und den Vorteilen einer Klettertherapie für den Alltag beschäftigte.
„Sowas muss es nochmal geben“, sagte sich die passionierte Sportlerin und machte sich auf, eine eigene Klettergruppe für Menschen mit Handicap zu gründen, um einen Rahmen zu schaffen, in dem gemeinsames Klettern möglich ist. Nach einem Jahr Vorarbeit war es dann soweit: Unter dem Dach der Sektion Wiesbaden des Deutschen Alpenvereins und unter Würbachs Leitung nahm im September 2015 die inklusive Klettergruppe ihre Arbeit auf. Mittlerweile sind es drei Gruppen, die sich freitags für jeweils 90 Minuten in der „Wiesbadener Nordwand“ treffen: Zwei Kinder- und Jugendgruppen und eine Erwachsenengruppe. Kinder mit körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen waren die ersten, die sich der Gruppe anschlossen.
Erst nach und nach trauten sich auch Erwachsene an die Herausforderung an der Kletterwand heran. „Nur, weil jemand nicht laufen kann, heißt es nicht, dass er nicht klettern kann“, macht Würbach allen Mut, die sich bislang diesen Sport aufgrund ihres Handicaps nicht zugetraut haben. Das ehrenamtliche Trainerteam, das sich um die insgesamt drei Gruppen kümmert, ist mittlerweile auf 25 Personen angewachsen, darunter Ergo- und Physiotherapeuten sowie Sozialpädagogen. Maximal 12 Personen fassen die Gruppen, um einen entsprechenden Betreuungsschlüssel zu garantieren. „Wir nehmen jeden auf“, betont die studierte Sportwissenschaftlerin.
Auf zwei Kletterer kommt in jeder Gruppe ein Trainer. Wie sie es schaffe, so viele ehrenamtliche Helfer ins Boot zu holen? „Keine Ahnung, wir sind halt eine tolle Truppe“, zeigt sich Würbach dankbar und stolz, dass sie so viele Menschen bei ihrer Arbeit unterstützen. Die Verbesserungen, die durch das gemeinsame Klettern im sozialen, konditionellen, koordinativen und muskulären Bereich der Kletterer erzielt werden, neben einem gesteigerten Selbstwertgefühl, seien nicht von der Hand zu weisen.
Die öffentliche Anerkennung hat sich mittlerweile auch eingestellt. So gewann die inklusive Klettergruppe den Heinz-Lindner-Preis 2016 für vorbildliche inklusive Arbeit im Sport des Landessportbundes, den IFB-Inklusionspreis 2018 sowie den Schlappekicker Sport- und Inklusionspreis der Frankfurter Rundschau 2018.
Wer einmal einen Schnupperkurs besuchen möchte, um sich an der Kletterwand zu versuchen, sollte sich vorab per Mail (handicapklettern@dav-wiesbaden.de) an das Trainerteam wenden.