Bedingungsloses Grundeinkommen als konkrete Utopie

Geld als Geschenk: Das bedingungslose Grundeinkommen soll es ohne Gegenleistung geben. Grafik: Archiv
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Diskussionsabend der Arbeiterwohlfahrt in Flörsheim zu dem umstrittenen Konzept. Arbeiter seien dann nicht mehr erpressbar.

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FLÖRSHEIM. Im Rahmen der Veranstaltungsreihe „QuerGedacht“ der Arbeiterwohlfahrt Flörsheim-Hochheim war Wolfgang Gerecht, Vorsitzender der Erwerbsloseninitiative „Hartz IV-Café – Verein für Selbsthilfe & Solidarität“ aus Hattersheim zu einem Vortrag eingeladen. Im Restaurant „Die Henne lacht“ referierte Gerecht seine zusammengetragenen Thesen zum bedingungslosen Grundeinkommen: Grundeinkommen für jeden, ohne Sozialstaat, ohne Arbeitszwang?

Höhere Belastung für Durchschnittsverdiener

Zuvor fasste der 71-Jährige, der sich seit fünf Monaten in die Materie einarbeitet, den „Zustand der Gesellschaft“ nach der Agenda 2010 zusammen. Die habe zu einem großen Niedriglohnsektor, gelockerten Kündigungsvorschriften und dem nicht ausreichenden Mindestlohn gesorgt, der nicht für einen Rentenbezug über den Regelsatz hinaus reiche.

Die Vermögenssteuer sei abgeschafft, der Spitzensteuersatz reduziert, die Umsatzsteuer 2006 von 16 auf 19 Prozent gestiegen, wodurch die Durchschnittsverdiener mehr als die Reichen belastet werden, „Die multinationalen Konzerne drücken sich vorm Steuerzahlen. Es herrscht ein Steuerwettbewerb unter den einzelnen EU-Staaten“, konstatierte Gerecht.

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Die Mehrung von Profit und die Mehrung von Herrschaft über Menschen bewirke Armut und ökologische Schäden. „Mit einem garantierten, bedingungslosen Grundeinkommen von 1200 Euro im Monat für jeden – auch den Millionär – ist der Arbeiter über die Marktschiene nicht mehr erpressbar“, sagte Gerecht. Der Mensch könne nach seinen Bedürfnissen leben, richte sich nicht mehr nach Marktinteressen aus. Das Verhältnis von acht Stunden Arbeit, acht Stunden Menschsein und acht Stunden Schlafen, könne sich so freiwillig auch zu „12 Stunden Menschsein verschieben“. Wolfgang Gerecht ist überzeugt, dass „der Mensch arbeiten und nicht in der Hängematte liegen will“. Vorausgesetzt, die Arbeit ist sinnvoll und er macht sie gerne.

AWO-Vorsitzender Klaus Störch wies auf die Einführung der 35-Stundenwoche in den 1980er Jahren hin. Da seien die gleichen Argumente angeführt worden. Er nannte als Beispiel Ludwig van Beethoven: „Seine kreativsten Werke waren keine Auftragsarbeiten.“ Von seinen Erfahrungen der Hattersheimer Tafel, wisse er, dass „die Leute Arbeit haben wollen“. Das Projekt „Bedingungsloses Grundeinkommen“ nannte er eine „konkrete Utopie“, die Kritik an bestehenden Verhältnissen übe. Wolfgang Gerecht wies auf ein Finanzierungsmodell der Linken hin, das im Internet nachzulesen sei. Demnach koste die Umsetzung 750 Milliarden Euro – „fast eine Billion“. Und ist damit teurer als die jetzigen Sozialausgaben. Dafür fallen aber Bürokratie und Sozialämter weg. Für die Schweiz ist bereits berechnet worden: Würde der Staat nur 0,07 Prozent Steuern auf Geldtransfers nehmen, könnte jeder Schweizer Bürger ein Grundeinkommen von 2500 Franken erhalten. Weitere Argumente, die an diesem Abend für ein Grundeinkommen aufgezählt wurden, waren: Förderung von Kreativitätspotenzialen durch die Möglichkeit der Muße, größere Verteilungsgerechtigkeit, Wahrung der Würde aller Menschen, Beseitigung von Stigmatisierungen, Humanisierung der Arbeit, Förderung der Familien und Stärkung der Familien. In der anschließenden, rege geführten Diskussion der 20 Anwesenden wurde die „ethische Frage“ ausgeklammert und nach Geldquellen gesucht, die für das soziale Projekt „angezapft“ werden könnten. Durch Cum-Ex-Geschäfte gingen allein in Deutschland 30 Milliarden Euro verloren, die Vermögenssteuer sollte wieder eingezogen werden, die Steuereinnahmen gerechter geregelt. Vor allem sollten die fehlenden Steuereinnahmen durch die „Schonung der Multis“ endlich eingefordert werden.