Mal nachdenklich, mal amüsant: Der Künstler Sam Khayari verarbeitet Corona in einem „Covidiary“. Zu sehen ist es auf Instagram und Facebook.
RÜSSELSHEIM. Was macht ein Künstler während der Corona-Krise, wenn Workshops, Ausstellungen, oder Gespräche unmöglich sind? Sam Khayari, der Rüsselsheimer „Kreativ-Nomade“, zeichnet. Das mag für einen Künstler nicht ungewöhnlich erscheinen, aber in seinem Kunstprojekt „Covidiary“ verarbeitet der 41-Jährige seinen derzeitigen Tagesablauf und damit verbunden auch seinen Gemütszustand.
„Im letzten Jahr war viel los mit Projekten im Kultursommer, der Eröffnung des Chausseehauses und zahlreichen Veranstaltungen“, erzählt Khayari, der bereits Anfang des Jahres, noch vor Beginn der Corona-Krise ausgebremst wurde. Nach gesundheitlichen Problemen sollte es eigentlich losgehen, als der Lockdown auch Rüsselsheim lahmlegte, sodass sich Khayari nun wie andere selbstständige Kulturschaffende in der Zwangspause befindet.
„Natürlich fängt man da an zu grübeln: Schafft man das?“, erzählt der Künstler, der sich mit seinem „Covidiary“, einem aus Zeichnungen bestehenden Tagebuch, selbst aus dem Loch befreite. Denn während der „Kreativ-Nomade“ sonst aus seinem Umherziehen und der Begegnung mit Menschen schöpft, ist ihm das jetzt verwehrt. Deshalb fing er an, Zeichnungen mit einem passenden Text und sogar passenden Musikstücken zu versehen und das spezielle Tagebuch im Netz zu veröffentlichen. Als Stichtag wählte Sam Khayari bewusst den 19. Tag: „Weil das Virus ja offiziell als Covid 19 bezeichnet wird.“
Aus seinen Instagram- und Facebook-Beiträgen verfasste der Rüsselsheimer Künstler einen Blog. „Jeder meiner Texte endet mit einer Frage und irgendwann begannen die Leute zu antworten“, erzählt Khayari über den Austausch, der sich während der vergangenen Wochen entwickelte und der für Khayari enorm wichtig ist. „Es tut einem selbst gut zu sehen, wie andere mit der schwierigen Situation des Lockdown umgehen“, erklärt der 41-Jährige, der seine Tage mit Zeichnen beginnt.
Woher Khayari seine Ideen schöpft? „Manchmal aus den Ereignissen des Tages, aus alltäglichen Situationen, manchmal aus der Stimmung heraus“, sagt der Rüsselsheimer, der in seinen Zeichnungen und den Texten tief in seinen eigenen Gemütszustand blicken lässt. Unter den mittlerweile mehr als 20 „Covidiary“-Beiträgen befindet sich neben Nachdenklichem auch reichlich Amüsantes. Etwa in „Episode 35“, in der Khayari, der stets selbst zu sehen ist, einem Huhn hinterherjagt. Als Kind der 80er und 90er erinnere er sich, abgesehen von Tschernobyl, an keine Krise, die annähernd so tangiert hätte, wie die aktuelle Pandemie, so Khayari im Text. Als Lieblingszeichnung bezeichnet Khayari „Episode 26“, in der er mit Gesichtsmaske und Kopfbedeckung einen Zettel präsentiert, auf dem steht: „Das ist kein Überfall!“ Vielleicht werde sich dieses Motiv sogar auf T-Shirts wiederfinden, erklärt der Künstler, dem das besondere Tagebuch vor allem auch dabei half, seinen Gedankenstrudeln zu entkommen. „Die Kommentare und Likes machen Mut, denn man sieht, dass man nicht alleine dasteht“, sagt der Künstler, der durch sein „Covidiary“ viele neue Menschen kennenlernt. Neben der Idee, aus den Zeichnungen des „Covidiary“ ein Buch oder eine Ausstellung entstehen zu lassen, ist Sam Khayari noch eines wichtig: „Das Tagebuch soll anregen, darüber nachzudenken: Was nehme ich mit aus dieser Krise und werde ich künftig in meinem Tun und Handeln vielleicht anders sein?“, erklärt Khayaris, der seine Einsamkeit in positive Kreativität umwandelt. Auch wenn das sehr schwerfällt.