Martinsgemeinde in Rüsselsheim - Turmsanierung als große Aufgabe
Spenden sind in der Martinsgemeinde derzeit sehr willkommen. Denn die Sanierung des Stadtkirchenturms wird 875.000 Euro kosten. Und auch wenn die die Gemeinde "nur" 20 Prozent aufbringen muss, fühlt sie sich finanziell "überfordert".
Von Michael Wien
Lokalredakteur Main-Spitze
Bei der Sanierung des Kirchturms sollen auch Kriegsschäden beseitigt werden. Foto: Vollformat/Dziemballa
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RÜSSELSHEIM - Die evangelische Martinsgemeinde, am 1. Januar 2013 erst durch Fusion der Matthäus- und der Stadtkirchengemeinde entstanden, hat – noch im Zusammenwachsen – bereits weitere Prüfungen zu bewältigen. Beherrschende Themen beim Jahres-Rück- und -Ausblick waren jetzt der Stand zum anstehenden Abriss des Gemeindehauses am Böllenseeplatz sowie die Sanierungen von Orgel und nun auch noch Turm der Stadtkirche. Das berichtete nach der Gemeindeversammlung Pfarrer Andreas Jung in einem Gespräch mit der „Main-Spitze“.
Der Schrumpfungsprozess der Kirchengemeinden setze sich auch in Rüsselsheim fort, erklärt Jung. „Wie bekannt, hat der Gemeindeverband, dem alle evangelischen Liegenschaften in dieser Stadt gehören, mit Unterstützung der Landeskirche beschlossen, dass alle Gemeinden ihren Immobilienbestand halbieren müssen.“ Die Martinsgemeinde hat bereits das Gemeindehaus und ihr zweites Pfarrhaus in der Innenstadt an das Dekanat abgegeben. „Rüsselsheim ist zwar nicht ausdrücklich zum Sitz der Zentrale des evangelischen Dekanates Groß-Gerau/Rüsselsheim erklärt, aber alle Mitarbeiter haben hier nun Platz finden können“, stellt Jung dazu fest. Am Böllenseeplatz bleiben wie berichtet Kirche und Pfarrhaus erhalten, das übrige Grundstück gehört künftig der Stadt beziehungsweise Gewobau.
Aus Gemeinderäumen wird Nachbarschaftszentrum
Die darauf stehenden Gemeinderäume werden Ende Januar kommenden Jahres abgerissen. Ab März wird an ihrer Stelle das Nachbarschaftszentrum errichtet. Dass dieses unter der Mitregie der Martinsgemeinde betrieben und genutzt werden wird, dann beispielsweise der um eine Gruppe erweiterte renommierte Kindergarten zurückkehrt, versöhne ein wenig Frauen und Männer der Gemeinde, denen der Abschied vom alten Gebäude Schmerzen bereitet, sagt Jung. Es gehe hier nicht um ein Weichen der Kirche, man wirke auf neue Weise am Zusammenwachsen der Bewohner des Quartiers mit. „Einige hier haben allerdings damals am Gemeindehaus mitgebaut. Ich kann ihre Gefühlslage gut verstehen“, bekundet der Seelsorger.
Die Gemeinde
Sanierungen in der Innenstadt und Abriss des Gemeindehauses am Böllenseeplatz sollen zu keinem Zeitpunkt ein Grund für Schließungen der beiden Gotteshäuser sein, erklärt Jung.
Die Stadtkirche wird künftig für weitere Nutzungen auch in Zusammenarbeit mit anderen Veranstaltern offen stehen. Gedacht ist an Lesungen, Konzerte, andere kulturelle Ereignisse.
Durch Wegzug und weitere Umstände ist die Zahl der Mitglieder des Kirchenvorstandes von zehn auf sieben geschrumpft. Wer mitwirken möchte, ist eingeladen, sich von den Mitgliedern in das Gremium nachberufen zu lassen.
In der Martinsgemeinde wie in der evangelischen und der katholischen Kirche überhaupt beruht der Schrumpfungsprozess nicht etwa auf einer Flut von Austritten, sondern trotz einiger positiver Zeichen auf noch immer geburtenschwachen Familien bei einer hohen Zahl von Sterbefällen.
Jung plagen derzeit keine Gedanken, zur Erweiterung der Kita mühsam zusätzliche Erzieherinnen finden zu müssen. „Bei uns läuft das verlässlich über bestehende Kontakte. Unser Kindergarten genießt einen guten Ruf, auch unter den Mitarbeitern. Wer einmal bei uns gewirkt hat, sagt anderen, wie es hier lief, und kehrt auch gerne selbst wieder.“
Von Kosten "überfordert"
Die Martinsgemeinde verliert ihre beiden Gemeindehäuser, wird aber den künftigen Neubau des Hauses der benachbarten Luthergemeinde mitnutzen. Im Pfarrhaus am Böllenseeplatz bleibt ein Zufluchtspunkt für Menschen erhalten, die Rat und Hilfe von Pfarrer Jung erwarten, der seine Hirtenaufgabe unverändert ernst nimmt. „Das war bei uns schon Familientradition und ich wäre nicht Pfarrer geworden, wenn ich darin nicht eine Lebensaufgabe für mich sehen würde.“ Sagt er und bleibt wöchentlich einmal auch in der Innenstadt der einfühlsame und hilfsbereite Ansprechpartner, als der er von seiner Gemeinde beschrieben und geschätzt wird.
Das andere Gotteshaus der Martinsgemeinde, die Stadtkirche, wird auch während der Orgelsanierung im 14-tägigen Wechsel (plus Aktivitäten des Dekanates) mit der Matthäuskirche am Böllenseeplatz Ort von Gottesdiensten sein, in denen dann sechs bis zwölf Monate lang (gewissenhafte Orgelbauer finden immer etwas zu tun) ein Klavier zur Begleitung erklingt. Bis es damit losgeht, wird bei weiteren Orgelkonzerten um Spenden gebeten. Danach darf gleich weiter gespendet werden: Der Turm muss nun dringend von Kriegsschäden und anderem befreit werden. 875.000 Euro sind veranschlagt, 20 Prozent davon hat die Gemeinde aufzubringen. „Damit sind wir eigentlich überfordert, müssen einen langfristigen Kredit aufnehmen“, erläutert Jung. Und hofft auf spendenfreudige Unterstützer.