Kein Verkauf des Rüsselsheimer Karstadt-Areals an Investor -...

Auf die Schließung des Kaufhauses im Jahr 2000 folgt Jahrelanger Stillstand. Bei einer Begehung des ehemaligen Karstadt-Gebäudes nach dem Kauf durch die Gewobau offenbart sich 2016 der Verfall. Bald soll ein Abriss einem Neubau Platz machen. Den wird die Gewobau selbst in die Hand nehmen - Investoren sind nach einem Beschluss des Aufsichtsrates außen vor. Foto: Vollformat/Volker Dziemballa

Immer deutlicher sind die Spuren des Verfalls an dem ehemaligen Kaufhaus zu sehen, das in Rüsselsheim einst für florierendes Geschäftsleben stand. Inzwischen ist das...

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RÜSSELSHEIM. Immer deutlicher sind die Spuren des Verfalls an dem ehemaligen Kaufhaus zu sehen, das in Rüsselsheim einst für florierendes Geschäftsleben stand. Inzwischen ist das Karstadt-Areal zum Symbol des Niedergangs geworden. Nach langem Warten, viel Hoffnung und diversen Runden durch die Manege der Politik sollte jetzt der Weg für einen Investor frei werden, der den Schandfleck in ein attraktives Stück Innenstadt verwandelt. Doch es kommt anders: Nach Forderungen aus dem Dreierbündnis, das Areal nicht zu verkaufen, übernimmt jetzt die Gewobau selbst die Entwicklung. Das hat der Aufsichtsrat beschlossen. Die Wohnbaugesellschaft werde das Gesamtareal behalten und darauf ein Wohn- und Gewerbegebäude entwickeln und bauen, teilt der Aufsichtsratsvorsitzende, Oberbürgermeister Udo Bausch (unabhängig), mit.

Unerwarteter Großauftrag

20 Millionen Euro Investitionssumme stehen für das Projekt im Raum. Ein echter, unerwarteter Großauftrag an die städtische Gesellschaft. Nicht nur aufgrund dieser Summe, sondern auch wegen des enormen Aufwands hatte Gewobau-Geschäftsführer Torsten Regenstein bereits kurz nach den Forderungen vonseiten der Grünen und Linken/Liste Solidarität erklärt, dass ein solches Projekt für die Gewobau eine Herausforderung und nicht nebenbei zu stemmen sei. „Die Gewobau kann diese neue Aufgabe umsetzen, wenn die Rahmenbedingungen stimmen“, erklärt Regenstein. Dazu gehöre beispielsweise eine deutliche Unterstützung der Stadt bei der Vermietung der Büroräume, die im Erdgeschoss des künftigen Gebäudes geplant sind. Der städtebauliche Rahmenplan sieht vor allem ab dem ersten Obergeschoss Wohnungen vor. „Die Wirtschaftlichkeit im Projekt ist gegeben, wenn wir außerdem bestimmte Wohnungsbauvorhaben, die wir uns für die nächsten zwei bis drei Jahre vorgenommen hatten, zeitlich verschieben können.“ Regenstein warnt vor: Wenn die Gesellschaft das Karstadt-Areal entwickelt, müssen andere Vorhaben warten – die Gewobau kann Modernisierungen und Wohnungsneubauten also nicht in gleichem Tempo und Umfang leisten wie bisher geplant.

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Andere Projekte sollen erst abgeschlossen werden

Bereits Begonnenes soll trotz Eile beim neuen Großprojekt aber zuerst an ein Ende geführt werden. Den Mitgliedern des Aufsichtsrats sei bewusst, dass begonnene Wohnungsbauvorhaben und –modernisierungen, zum Beispiel das Projekt „Wohnen am Vernapark“ oder die Großmodernisierung im Stadtteil Königstädten in der Kohlseestraße, Im Reis und im Spessartring, abgeschlossen werden, sagt Regenstein. Das gelte auch für die Umsetzung des geplanten Nachbarschafts- und Familienzentrums im Stadtteil Böllensee-Siedlung. Andere geplante und gewünschte Modernisierungs- und Neubauprojekte müssten dann aber zeitlich gestreckt werden, macht Regenstein deutlich.

Welche Last der Gewobau mit der Karstadt-Entwicklung zukommt, benennt auch Bausch als Aufsichtsratsvorsitzender. „Wir vertrauen der Gewobau in vollem Umfang bei der Umsetzung dieses für die Stadtentwicklung sehr ehrgeizigen Projektes, brauchen hierfür aber auch eine unbedingte Verlässlichkeit in der Begleitung durch die Stadtgesellschaft und aller dort engagierten Akteure“, wird der OB in einer Pressemitteilung zitiert.

Dauerhaft attraktive und zukunftsorientierte Entwicklung

Doch warum folgt der Aufsichtsrat dann den Forderungen aus Kreisen der Politik, statt wie geplant an einen Investor zu verkaufen? Der Aufsichtsrat habe sich nach ausführlicher Diskussion zu diesem Schritt entschlossen, um eine dauerhaft attraktive und zukunftsorientierte Entwicklung in diesem zentralen Innenstadtbereich sicher zu stellen, sagt Bausch. Dies könne dann auch Strahlkraft auf andere private Eigentümer entfalten, damit die städtebauliche Entwicklung im Innenstadtbereich endlich dauerhaft weiter vorankommen könne.

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Neben der Sorge, ein privater Investor könnte die „zukunftsorientierte Entwicklung“ nicht leisten, wird ein weiterer Grund für das Umdenken ins Feld geführt. Ein Wertermittlungsgutachten, das die Gewobau anfertigen ließ, habe gezeigt, dass nur 1,9 Millionen Euro mit einem Verkauf zu erzielen seien. Allerdings seien bislang bereits 3,2 Millionen Euro investiert worden, wie die Gewobau erklärt. Das Unternehmen hatte vor drei Jahren sukzessive begonnen, Teilbereiche des ehemaligen Karstadtgebäudes und der anschließenden Gebäude anzukaufen. Dass der Wert bei einem Wiederverkauf nun um einiges niedriger liege, habe auch damit zu tun, dass es hohe Kosten verursachen werde, die Fläche erst einmal baureif zu machen, sagt Bausch auf Nachfrage.

Nach der Schließung im Jahr 2000

Nun wird die Gewobau also selbst zur Bauherrin. Geld und der Wunsch nach Kontrolle darüber, dass die Grundstücke nicht zum Spielball kurzfristiger Interessen von Investoren werden könnten, sind Argumente für diese Entscheidung. Eines erklären sie jedoch nicht: Wieso erst zwei Jahre nach dem Kauf des ehemaligen Kaufhauses durch die Gewobau und eineinhalb Jahre, nachdem erste Entwürfe von Investoren auf dem Tisch lagen, Überlegungen dieser Art auf den Tisch kommen.

Schon lange wartet die Stadt darauf, den markanten Klotz endlich aus den Augen zu bekommen. Nach der Schließung des Kaufhauses im Jahr 2000 passierte jahrelange nichts. Nach seiner Entkernung stand das leere Gebäude bis auf wenige Aktionen ungenutzt da. Die ersehnte Einigung mit den Eigentümern, einer Erbengemeinschaft, gelang schließlich der Gewobau. Die Stadt selbst nahm die Zügel in die Hand. Das blieb nicht ohne Kritik, wurde doch nie bekannt, welchen Preis die städtische Gesellschaft gezahlt hat. Begründet wurde dies mit vertraglichen Vereinbarungen.

Großes Umdenken, Investoren außen vor

Trotz aller Kritik, vor allem vonseiten des Viererbündnisses, stand hinter dem Kauf jedoch auch Hoffnung, dass endlich der Abriss des alten Baus einen Neuanfang markieren würde. Ab der Beurkundung des Kaufs durch die Gewobau im Januar 2016 hätte es schnell gehen können. Doch Investoren, die ihre Entwürfe vorlegten, wurde der Stuhl vor die Tür gestellt. Das Viererbündnis forderte einen städtebaulichen Ideenwettbewerb, der dafür sorgen sollte, dass Filetstück und umliegende Flächen der Innenstadt ein stimmiges Gesamtbild werden. Die Gewobau bereitete unterdessen einen Investoren- und Architektenwettbewerb vor. Nach ihm sollte der Weg frei werden für einen Investor, der kauft, entwickelt und baut. Ein Vorgehen, das die Gewobau auch im Aufsichtsrat klärte. Ihm gehören neben vier Sachkundigen der Branche OB Bausch als Vorsitzender, Nils Kraft, Dennis Grieser und Marianne Flörsheimer als Stadträte an. Einspruch gegen das Verfahren gab es nicht.

Nun also das große Umdenken. Investoren sind außen vor. Die Überarbeitung des Konzeptes und die Auslobung als reiner Architektenwettbewerb werde bei der Gewobau nun ungefähr weitere acht Wochen in Anspruch nehmen, so Geschäftsführer Regenstein, sodass ein Ergebnis des Wettbewerbes erst für Anfang 2019 vorliege. Danach könne man in die Vor- und Ausführungsplanung einsteigen. Der Aufsichtsrat habe dazu nicht ausgeschlossen, dass die Gewobau zur Umsetzung des Vorhabens eine Kooperation mit privaten Projektentwicklern eingehen könne. Das gelte vor allem für den Gewerbebau, ergänzt Bausch.

Trotz erneutem Richtungswechsel im Prozess soll nach Wunsch des Aufsichtsrats möglichst wenig Zeit vergehen, bis ein Neubau entsteht – der Abriss wurde bereits in einem Zug mit dem städtebaulichen Wettbewerb beschlossen.

Von Heike Bökenkötter und Stephan Crececlius