Automobilgeschichte in Geräuschen bei "Opel Classic" in Rüsselsheim
Ein Besuch in der Oldtimersammlung von „Opel Classic“ zeigt, dass sich Automobilgeschichte auch als Geräusch-Historie schreiben lässt. Sie reicht vom tuckernden Patent-Motorwagen bis zum aktuellen Ampera-e, bei dem man gar nichts mehr hört.
Von Stephan A. Dudek
Akustisch markieren der rote Kapitän aus dem Jahr 1956 und der blaue Ampera-e aus aktueller Produktion zwei Welten. Foto: Guido Schiek
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RÜSSELSHEIM - Wenn die kleinen Buben mit ihren Modellautos spielen, kann es schon mal laut werden. „Brumm, brumm“ lässt sie die Fantasie im Falsett schreien, als seien sie dabei, Sebastian Vettel en miniature auszubremsen. Das Auto, das ist Gefühlssache – für die Kleinen wie für die Großen, denen man ablauschen kann, wie sehr sie daran glauben, dass erst ein ordentlicher Sound am Auspuff den Mann vollendet. Das war schon immer so, aber das wird nicht ewig währen. Ein Besuch in der Oldtimersammlung von „Opel Classic“ zeigt, dass sich Automobilgeschichte auch als Geräusch-Historie schreiben lässt. Sie reicht vom tuckernden Patent-Motorwagen bis zum aktuellen Ampera-e, bei dem man gar nichts mehr hört.
Leise und schnell – ein Widerspruch von Anfang an
Schon 1907 warb Opel, die Marke sei „siegreich bei Rennen und Tourenfahrten“, gleichzeitig hieß es, Opel-Motorwagen „laufen geräuschlos“. Zwei Verheißungen, die bis heute nicht richtig zueinander passen: Wer jemals das beim Start eines Autorennens entfesselte Erdbeben miterlebt hat, weiß von der Faszination und rohen Gewalt röhrender Motoren. Die Kraft der Maschine konkurriert mit kultivierter Laufruhe. Im Auto materialisiert sich ein Freiheitsversprechen, dem grenzenlose Bewegungsfreiheit innewohnt, aber auch das Recht, den dicken Max zu markieren.
Bei „Opel Classic“ begegnet das „Grüne Monster“, ein Rennwagen von 1914 mit einem gigantischen Triebwerk mit 12,3 Litern Hubraum dem eher zierlichen „Doktorwagen“ von 1910. Zwei Welten möchte man meinen, doch der kleine, für den Mittelstand gebaute Zweisitzer besitzt als Hightech-Feature der frühen Jahre ein zweites Gesicht: Betätigt man eine Auspuffklappe, brüllt das Wägelchen wie ein waidwundes Tier zur Warnung an Hahn, Hund und Mensch, gefälligst Platz zu machen.
Geräuschminderung wurde erst 1970 zum Thema
Wesentliche Krachmacher im Auto sind der Motor, der Wind und die Reifen. Bei „Opel Classic“ verfestigt sich der Eindruck, als hätte all dies bei der Konstruktion neuer Fahrzeuge lange Zeit keine Rolle gespielt. Ein weinroter Kapitän von 1956 stochert mit einer halbmeterbreiten Luftklappe in der Welt herum, und man möchte sich das vom eindringenden Luftzug verursachte Rauschen lieber nicht vorstellen. Beim zwischen 1995 und 2002 gebauten B-Vectra ragt eine Reling fürs Dachgepäck starr in den Himmel, erst nach dem Modellwechsel wurden die Halterungen unter Klappen versteckt, die Außengeräusche durch eine geglättete Außenhaut vermieden.
Doch es finden sich auch grenzenlosen Luxus verströmende Gegenbeispiele: Der Admiral von 1937, eine durch und durch designte Art-déco-Wunderkammer auf vier Rädern, hat das Zeug zur schalldichten Kabine. Ist der Motor abgestellt, möchte man die lärmige Umwelt am liebsten ganz vergessen. Nie mehr aussteigen...! Mit Konsequenz wurde im Automobilbau das Thema „Geräusch“ erst ab 1970 bearbeitet. Uwe Mertin, Leiter von „Opel Classic“, und sein Mitarbeiter Jens Cooper weisen auf einen goldenen A-Commodore von 1971, in dem die erste Dämmmatte aus Gummi verbaut wurde. Mehr noch: Bitumenmatten unter dem Bodenteppich sorgten für weitere Laufruhe. Viel Schaum wurde in Leerräume gefüllt, und Cooper zeigt im Kofferraum auf dem Kotflügel eine grisselige Schicht Anti-Dröhn-Masse. Mittlerweile sind die Methoden ausgereift. Ein Akustiklabor dient dazu, ganz bestimmte Geräusch-Charakteristiken zu kreieren. Dabei beschreibt „leise“ längst nicht mehr das Ideal. Stattdessen geht es darum, ein „akustisches Innenraumklima“ zu kreieren, das den Fahrer psychologisch auf der Fahrt begleitet. Wer im aktuellen Insignia keine unerklärlichen Geräusche wahrnimmt, der vertraut seinem Fahrzeug.
Und die Emotionen? Sie könnten auf der Strecke bleiben, wenn sich die Elektromobilität erst einmal durchsetzen sollte. Im Ampera-e vernimmt der lauschende Lenker allenfalls noch das zupackende Klacken der Bremsscheiben. Schon wird darüber nachgedacht, ob es nicht sinnvoll sein könnte, Elektroautos mit künstlichen Geräuschen zu versehen, um Passanten zu schützen. Vielleicht der Lärm einer Auspuffklappe des Jahres 1910 vom Band?
Die Zeiten und Geräusche ändern sich, ein Besuch bei „Opel Classic“ weist dies schlagend nach. Doch die Frage bleibt: Was werden die kleinen Buben in zehn Jahren rufen, wenn sie mit ihren E-Auto-Modellen spielen? Vielleicht „Psst, psst“!?