Die Sucht nach Alkohol zerstört Karrieren und Leben. Der Weg zurück in einen normalen Alltag ist schwer. Ein Netzwerk bietet den Betroffenen auch im Kreis Groß-Gerau Hilfe an.
KREIS GROSS-GERAU. Hilbert Kapps hat die Abgründe des Lebens hinter sich. Jahrelang war er dem Alkohol verfallen, hat unkontrolliert getrunken, dadurch seine Ehe ruiniert und den größten Teil seines Freundeskreises verloren. Der Alkohol wurde sein ständiger Begleiter und bester Freund. Jahrelang. Das Lotsennetzwerk Rhein-Main, das Kontakte unter anderem zum Kreuzbund, den Guttemplern, dem Blauen Kreuz oder den Anonymen Alkoholikern vermittelt, will solchen Menschen helfen.
Physische und psychische Belastungen haben Hilbert Kapps zum Trinker gemacht. Er lebte im Dauerrausch. "Ich wollte nicht mehr mit den alltäglichen grausamen Dingen konfrontiert werden", beschreibt er heute den Weg in die Abhängigkeit. Probleme wurden im Alkohol ertränkt, negative Erlebnisse aus der Kindheit auf diese Weise verarbeitet. Kapps beschönigt nichts, wenn er von dieser Zeit erzählt. Er steht dazu. Auch mit seinem Klarnamen. Denn er hat es geschafft, aus diesem Sumpf herauszukommen. Mit viel Disziplin und mithilfe anderer Menschen. Er hat einen neuen Freundeskreis und engagiert sich heute ehrenamtlich, um anderen, die ebenfalls der Sucht verfallen sind, zur Seite zu stehen und ihnen aus dem Elend der Abhängigkeit herauszuhelfen.
Der Wendepunkt kam eines Nachts, als er plötzlich zusammenbrach und ins Krankenhaus kam. "Einen Tag später, und wir hätten Sie beerdigen können", sagte ihm der Arzt damals. Kapps bezeichnet diese Erfahrung als "göttliches Erlebnis". Für ihn war das der Tag der Rückkehr in ein normales Leben.
Immer wenn das Verlangen kam, griff er zum Telefon
Über das Krankenhaus kam der Kontakt zur Caritas, die ihm Hilfen anbot. Kapps war bereit, diese Hilfe anzunehmen. Nicht immer selbstverständlich bei suchtabhängigen Menschen. "Ohne Hilfe schafft das keiner", stellt Kapps klar, der inzwischen seit acht Jahren keinen Tropfen Alkohol mehr angerührt hat. Vor allem in den ersten Wochen nach der Entscheidung, keinen Alkohol mehr zu trinken, komme immer wieder das Verlangen. Das kann auf der Straße sein, wenn einer eine Bierflasche ansetzt. Oder in der Kneipe, wo sich jemand ein Glas Wein schmecken lässt. Aber auch zu Hause, wenn Angehörige nach wie vor Alkohol trinken.
Immer, wenn ihn das Verlangen nach Alkohol überkam, hat Hilbert Kapps sofort jemanden aus der Selbsthilfegruppe angerufen, hat geredet, sich Kraft geholt, um der Sucht zu widerstehen.
"Wenn es einem besonders schlecht geht, muss man einfach mal raus, da geht es schnell wieder besser", erzählt er aus seiner Erfahrung mit dem Bemühen, dem größten Feind seines Lebens zu entsagen. "Mein Suchthirn ist heute eine Kammer mit einem großen Riegel davor. Ich habe das vollkommen im Griff", erzählt Kapps. "Ich habe Ekel vor Wein und Cola." Vor Cola deshalb, weil er damit viele alkoholische Getränke gemixt hat. Und er weiß: "Ich bin nach wie vor Alkoholiker. Aber ich bin trocken."
Heute spricht Kapps von einer "unverantwortlichen Zeit", weil er sich volltrunken hinter das Steuer seines Autos gesetzt hat, um sich irgendwo Alkoholnachschub zu besorgen. Er ist dankbar, dass dabei nichts passiert ist.
Hilbert Kapps hat Hilfe beim Kreuzbund gefunden, eine jener Organisationen, die alkoholkranken Menschen helfen. Er hat mehrere Seminare besucht und arbeitet heute als Suchtlotse." Ich will etwas von der Menschlichkeit und Hilfe, die ich damals erfahren habe, zurückgeben", begründet er seinen Einsatz, der ihm gleichzeitig dabei hilft, nicht mehr rückfällig zu werden.
Kapps weiß, dass drei Viertel aller Suchtkranken, die meinen, alleine aus der Misere rauszukommen, wieder rückfällig werden. "Alleine schafft man das nicht." Wobei Kapps nicht nur das Suchtmittel Alkohol meint, sondern auch die modernen Partydrogen, die immer mehr junge Menschen abhängig machten.
"Selbsthilfegruppe heißt, dass jeder sich selbst hilft", umschreibt Kapps die Aufgaben beim Kreuzbund und in den anderen Gruppen. Jeder müsse seine Probleme selbst in den Griff bekommen, erhalte dabei aber Hilfe.
Doch offenbar nutzen immer weniger Menschen die Hilfsangebote, um aus dem Kreislauf der Sucht auszubrechen. Deshalb hat sich in der Region Südhessen das "Lotsennetzwerk Rhein-Main" gebildet. Es wird von Christine Müller von der Caritas Darmstadt geleitet, die selbst seit 1986 eine Selbsthilfegruppe in Raunheim leitet. Kapps arbeitet in einer Rüsselsheimer Gruppe, betreut aber auch Suchtkranke, die in den Vitos-Kliniken in Riedstadt eine Entziehungskur machen.
"Die Menschen haben Angst, als haltlose Säufer oder Taugenichtse stigmatisiert zu werden", umschreibt Müller die Zurückhaltung vieler Suchtkranker bei der Suche nach Hilfe. Das Lotsennetzwerk stellt diesen Menschen Lotsen zur Seite, die sich den Betroffenen in Einzelgesprächen annähern. Da die Lotsen in der Regel selbst aus der Abhängigkeit kommen, können sie gut auf die Probleme ihrer Probanden eingehen. "Lotsen haben die Betroffenenkompetenz", sagt Müller und betont: "Die Freiheit beginnt dort, wo die Sucht endet." Das Lotsennetzwerk ist unter der Rufnummer 6151-50 02 840 erreichbar.