Groß-Gerau: „Spießrutenlauf bis zum Schluss beim Spargel“
Willi Billau, Vorsitzender des Regionalbauernverbands Starkenburg, äußert sich im Interview zu Ernteaussichten, Ackerfolien und Fremdstoffen wie Dikegulac im Grundwasser. Bio-Anbau im Ried nennt er „schwierig“.
Ohne Folien gäbe es noch keinen Spargel: Erntehelfer stechen das Gemüse bei Groß-Gerau.
(Foto: Vollformat / Alexander Heimann)
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KREIS GROSS-GERAU - Der Winter ist vorbei, auf vielen Feldern im Kreis Groß-Gerau sieht man Landwirte und Erntehelfer bei der Arbeit. Insbesondere der Spargel wird in den kommenden Wochen eine große Rolle spielen. Zugleich gibt es Diskussionen über die Belastung des Grundwassers im Ried sowie über die Öko-Modellregion. Anlass genug für ein Gespräch mit dem Vorsitzenden des Regionalbauernverbands.
Herr Dr. Billau, obwohl das Frühjahr lange gefühlt eher kühl war, hat die Spargelernte begonnen. Ist schon absehbar, ob es eine gute Ernte wird?
Was ist eine gute Ernte? Für den Landwirt ein hoher Ertrag, den er zu guten Preisen absetzen kann. Im vorigen Jahr war der Ertrag beim Spargel zu hoch. Der Einzelhandel bekommt das natürlich mit und drückt dann die Preise bis an die Schmerzgrenze. So waren sie 2018 oft nicht kostendeckend – das hat wehgetan. Direktvermarktung hilft den Betrieben, reicht aber für einen Ausgleich zumeist nicht aus.
Deuten die Zeichen wieder auf einen hohen Ertrag?
Das kann man noch nicht sagen, es hängt bis zuletzt vom Wetter ab. Für uns Produzenten wäre es gut, wenn die frühen, mittleren und späten Pflanzungen schön nacheinander auf den Markt kommen. Und wenn sich auch die Ernten in Süd- und Norddeutschland nicht stark überschneiden. Das ist ein Spießrutenlauf bis zum Schluss.
Ohne Folien gäbe es noch keinen Spargel: Erntehelfer stechen das Gemüse bei Groß-Gerau. Foto: Vollformat / Alexander Heimann
Willi Billau baut auf seinem Hof in Lampertheim Kartoffeln und Spargel an. Archivfoto: Thorsten Gutschalk
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Ist der Norden eine Konkurrenz für hiesige Spargelbauern? Ist der Spargel dort nicht deutlich später erntereif?
Normalerweise etwa 14 Tage später. Aber auch dort wird die Ernte mit Kunststofffolien verfrüht, also zeitlich vorverlegt. Es gibt dort Betriebe mit 1000 Hektar Spargelanbaufläche. Das Schlimmste für uns ist, wenn alle in dieselbe Richtung produzieren, so wie zuletzt beim Spargel. Irgendwann ist die Sättigung erreicht, dann kippt die Situation.
Stichwort Folien: Gibt es da neue Methoden?
Eigentlich nicht, das Verfahren ist seit Jahren unverändert: Eine schwarz-weiße Folie liegt direkt auf dem Damm, etwa 40 bis 50 Zentimeter darüber ist eine Minitunnelfolie auf Drahtbügeln. Eine dritte Tunnelschicht spannt sich über drei bis vier Reihen. Wenn die Sonne scheint, wird es unter der Dreifach-Folie bis zu 30 Grad warm, selbst wenn die Außentemperaturen noch kühl sind.
ZUR PERSON
Dr. Willi Billau (60) ist promovierter Agrarwissenschaftler und Vorsitzender des Regionalbauernverbands Starkenburg, zu dem auch der Kreis Groß-Gerau gehört. (db)
Plastikmüll wird als großes Problem angesehen – was passiert mit den Folien nach der Ernte?
Sie werden zu 90 Prozent mehrfach verwendet – zwei Jahre auf alle Fälle, wenn sie nicht vom Wind zerrissen werden. Die schwarz-weiße Folie hält sogar sieben bis acht Jahre. Ausgemusterte Folie wandert ins Recycling. Das ist nicht das Problem. Ein Problem ist für uns Bauern Mikroplastik in Kompost aus kommunalen Kompostierungsanlagen.
Ein anderer Rückstand, der Probleme bereitet, ist die Substanz Dikegulac im Grundwasser im Ried. Wie gehen die Bauern damit um?
Zunächst einmal: Leider wird Dikegulac immer wieder als Pflanzenschutzmittel bezeichnet. Es ist aber als Industrie-Abfallprodukt in die Gewässer gelangt. Wenn wir Landwirte an etwas schuld sind, müssen wir da ran, aber mit dieser Substanz haben wir nichts zu tun. Die meisten Landwirte reagieren bislang abwartend auf die festgestellte Belastung.
Südhessen ist seit 2018 Ökolandbau-Modellregion. Sehen die Bauern im Umstieg auf Bio-Anbau für sich eine Chance?
Öko oder nicht – mit der Landwirtschaft muss Geld verdient werden. Auch die Bio-Schiene unterliegt den Marktgesetzen. Es gibt eine Nische für hochpreisige Bio-Produkte, da ist gut zu verdienen, aber die ist besetzt. Wenn Bio zur Massenware wird, dann werden auch dort die Preise von den Handelsketten gedrückt. Davor haben viele Landwirte Angst. Es gibt übrigens auch Kollegen, die nach dem Umstieg auf Bio wieder rückumgestellt haben. Darüber spricht man nicht so gern, weil man nicht zugeben will, dass man gescheitert ist. Dabei ist dies kein Scheitern. Das Thema wird euphorisiert – wenn die Ökonomie nicht funktioniert, hat Bio keinen Wert.
Gibt es außer den Altlasten in Gewässern noch weitere Hemmnisse für Bio-Landwirtschaft im Hessischen Ried?
Ja. Dies ist ein Realteilungsgebiet. So gibt es viele relativ kleine Ackerflächen, die wir Landwirte immer mal zur besseren Bewirtschaftung zeitweilig untereinander austauschen. Wenn ich nun Bio machen würde, könnte ich mit niemandem tauschen. Ein anderes Problem hat sich voriges Jahr bei den Zuckerrüben wieder gezeigt. Da mussten wir wegen Pilzbefalls spritzen, während das etwa bei den Kollegen am Donnersberg nicht erforderlich war. Bei Kartoffeln war es ähnlich. Wir sind hier im Rheintal sehr pilzgefährdet, viel stärker als in höheren und kühleren Lagen. Das macht Bio-Anbau schwierig.
Die EU macht Druck wegen der hohen Nitratbelastung des Grundwassers in Deutschland. Was würden verschärfte Grenzwerte für die Bauern in Südhessen bedeuten?
Wir sind bereit, die Auflagen einzuhalten. Bei der jüngeren Generation ist ohnehin ein Umdenken da. Es gibt aber im Ried nur wenige Brunnen, an denen der Nitrat-Grenzwert überschritten wird. Wir haben immer eine Ursachenforschung gefordert. Verschärfte Dünge- regeln sollten nur in diesen Bereichen gelten, in denen klar ein Einfluss der Landwirtschaft bewiesen ist. Wenn flächendeckend um 20 Prozent reduziert werden muss, würde das negative Folgen haben für Ertrag und Qualität unserer Produkte.