WORUM GEHT‘S?
Der Geschäftsmann Biedermann echauffiert sich über Brandstifter, die sich als Hausierer tarnen, in Häusern einnisten – und sie schließlich anzünden. Bis der Hausierer Schmitz bei ihm auftaucht und klagt, dass er stets für einen Brandstifter gehalten wird. Biedermann, seiner Freundin Babette und der Hausangestellten Anna gelingt es nicht, ihn loszuwerden. Eisenring, ein Freund von Schmitz, findet ebenfalls Unterschlupf. Die Benzinkanister, die plötzlich überall herumstehen, hält Biedermann lange für einen Scherz. Zu lange.
WIESBADEN - Liebe Kinder: Bitte nicht nachmachen. Das wäre eine der Folgerungen aus einem der Klassiker deutscher Schullektüre: Max Frischs Drama „Biedermann und die Brandstifter“ eignet sich wie kaum ein anderes Stück als Parabel auf eine Gesellschaft, die alle Vorboten der Katastrophe vor der Nase hat – und sich dennoch weigert, darauf zu reagieren. Auch wenn Frisch selbst im Untertitel ziemlich resigniert ein „ohne Lehre“ hinzufügt, ist das doch zu allen Zeiten ein Lehrstück. Und gerade heute scheint der „Biedermann“ brandaktuell zu sein.
Die Inszenierung von Jan Philipp Gloger im Kleinen Haus jedenfalls ist es. In einer schicken Altbau-Wohnung mit hohen Wänden und coolen, puristischen Möbeln (Bühne: Franziska Bornkamm) leben Max Biedermann und seine Freundin Babette ein Hipster-Leben: Er trägt Mütze und Wohlfühlsocken, raucht Selbstgedrehte und hat eine Art Start-Up-Unternehmen. Sie ist Veganerin und beschäftigt die südamerikanische Haushaltshilfe Anna, mit der sie nur Englisch spricht. Schicke Dreier-WG der Generation Y.
Das ist die Fallhöhe, die Gloger mit Ironie grundiert: Man schäkert sich lässig durchs sonnige Leben. Fast eine Komödie. Bis das eigene, gerade noch so gemütliche Zuhause durch zwei Unbehauste gestört, dann zerstört wird: Zuerst zieht der Hausierer Schmitz ein, der geschickt an den Gutmenschen und den Kneipenschwadronierer in Biedermann appelliert. Dann kommt auch noch Schmitz’ Knast-Freund Eisenring dazu. Und immer öfter wird es Nacht. Hinter geschlossener Schlafzimmertür streiten Biedermann und Babette nur noch darüber, wer denn jetzt endlich mal die dreisten Dauergäste rauswirft. Aber dann wird lieber doch noch eine Runde Bullshit-Bingo gespielt: Die von Gloger dazu erfundene Szene, in der Biedermann Eisenring auf den Zahn fühlen will und stattdessen minutenlang zugetextet wird mit Plattitüden wie „Das ist jetzt so. Was willst du da machen?“ und „da steckst du nicht drin“ ist eine feine Persiflage auf nichtssagende Gespräche. Auch die Idee, diesem Meister der Verdrängung die eigene Vogel-Strauß-Politik vor Augen zu führen, indem Schmitz und Eisenring den Biedermanns quasi als Theater auf dem Theater noch mal vorspielen, wie sich Schmitz Zugang verschafft hat, ist eine gute.
Nächtlich herumgeisternde Alptraumgestalten
Aber nicht jede an diesem Abend zündet: Bei den nächtlich herumgeisternden Alptraumgestalten als Chor können sich die Zuschauer ihre Parallele selbst aussuchen – im Angebot sind Trump, eine vollverschleierte Muslima, ein Militär und ein Flüchtling. Das trägt ebenso zu dick auf wie die wüste Party, mit der Biedermann die beiden Brandstifter als Freunde gewinnen will.
Maximilian Pulst, der aus diesem Biedermann bis dahin eine wirklich echte, zeitgemäße Figur macht, muss sich dann als nackter Abonnenten-Schreck gebärden. Llewellyn Reichman ist als seine Freundin Babette eine eifrige, zunehmend vollberauschte Bedenkenträgerin. Und Haushaltshilfe Anna (Kruna Savic) wünscht man weniger hohe Kreischfrequenzen.
Dagegen völlig fokussiert auf ihren Plan sind die beiden Brandstifter: Michael Birnbaum liefert hier als Ringer Schmitz eine Glanzleistung ab, was Timing und Pointe betrifft, und Rainer Kühn ist ein wunderbar wandelbarer Eisenring.
Das Ganze hat bei Gloger übrigens kein Nachspiel: Der von Frisch selbst nach der Uraufführung 1958 angeschlossene Epilog schwänzt hier einfach. Aber schließlich: Die Hölle hat die Biedermann-WG schon hinter sich. Starker Beifall für diese zweistündige, hoch explosive Schulstunde.