RÜSSELSHEIM - "Liebe in den Zeiten der Ungewissheit" hätte letzten Endes das Stück "Ist schon ok" (Türkisch: Üstü Kalsin) heißen können, das am Sonntag vom "Tiyatro Frankfurt" im Rüsselsheimer Stadttheater aufgeführt wurde. Die Liebe hatte dabei unterschiedliche Gesichter: das eines ganz jungen Paares, eines Paares im mittleren Alter und eines älteren Ehepaares. Die Ungewissheit aber kannte nur ein Gesicht: den Militärputsch 2015.
Im Mittelpunkt stehen Çinar und Lara, er freier Astronom, sie Autorin für Film und Fernsehen, er Patriot und Anhänger der Erdogan-Regierung, sie Verteidigerin der Demokratie und Kritikerin des Präsidenten. Beide führen eine augenscheinlich sehr unbekümmerte, diskussionsfreudige und leidenschaftliche Beziehung, doch irgendwann kippt die Stimmung.
Widersprüche in widersprüchlichen Zeiten
Zuerst wird noch darüber debattiert, wie der dritte Jahrestag der Beziehung zelebriert werden soll - ginge es nach Çinar, würden Unanständigkeiten die Hauptrolle spielen, Lara möchte sich aber nicht von ihrer Arbeit ablenken lassen. Schließlich nimmt die Unterhaltung eine ganz besondere Wendung: Lara spricht vom Heiraten, Freigeist Çinar möchte davon nichts wissen, er will sich lieber amüsieren, institutionelle Bindungen lehnt er ab. Lara beschließt, die Beziehung zu beenden, doch bevor sie das Haus verlassen kann, erfahren beide vom Putschversuch.
Im Haus neben dem ungleichen Paar geht das Licht aus. Die Eheleute Nevin und Kâmil sind gerade erst aus Deutschland zurück in die Türkei gekommen, Kâmil hatte bereits den Militärputsch des Jahres 1980 miterlebt, in dessen Zuge er über 400 Tage lang in Haft war, angeblich, weil seine Gedichte verdächtig gewesen seien. Sie suchen Zuflucht bei ihren Nachbarn.
"Ist schon ok" ist ein Stück voller Widersprüche, das in einer widersprüchlichen Zeit in einem widersprüchlichen Land spielt. Seine Dialektik führt zwar nicht zu einem politischen Konsens, schließlich aber zu einer alle Grenzen überwindenden Botschaft: In einer Zeit ohne Kontinuität schafft die Liebe ein allem anderen übergeordnetes Kontinuum, ohne das jede andere Stabilität zerbricht.
Die unterschiedlichen Generationen an Liebespaaren, die schließlich, so zumindest der Ausblick, ihre Unstimmigkeiten im Angesicht des Schreckens überwinden, bieten eine ganze Reihe möglicher Interpretationsansätze, die aber keineswegs eine eindeutige Stellungnahme herausarbeiten können.
"Ist schon ok" ist weniger ein politisches, als vielmehr ein menschliches Statement, ein Plädoyer dafür, Unterschiede zu überwinden und in Dialog zu treten. Angenehm ist dabei, dass sowohl im humoristischen Auftakt, als auch im düsteren Finale, die Figuren ernst genommen und nur wenig karikiert wurden. Besonders deutlich wurde das am Spiel von Emrah Elçibo a, der den vielschichtigen Çinar nur in den witzigen Szenen überspitzte und es verstand, den türkischen Patrioten mit echtem Leben zu erfüllen, ohne ihn lächerlich zu machen. Ein finsteres Stück mit einem liebevollen Lichtblick.